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»Captain Charity Laird«, las Hartmann vor. »US-Space-Force.« Er sah sie fragend, aber ohne echtes Interesse an. »Ist das Ding echt?«

In der ersten Sekunde erschien es Charity nicht einmal der Mühe wert zu sein, auf diese Frage zu antworten. Aber sie beherrschte sich und schluckte die scharfe Entgegnung, die ihr auf der Zunge lag, herunter. »Ich glaube, ich wäre wahrscheinlich nicht mehr am Leben«, sagte sie statt dessen, »wenn Sie der Meinung wären, daß die Plakette nicht echt ist.«

Hartmann legte die Plakette mit einem Nicken auf den Schreibtisch zurück. »Das stimmt«, sagte er gelassen. »Wie lange sind Sie schon wach?«

Diesmal war Charity wirklich überrascht. »Sie ... wissen es?«

»Selbstverständlich«, antwortete Hartmann in leicht beleidigtem Tonfall. »Diesem Ausweis nach sind Sie sechsundachtzig Jahre alt, Captain Laird. Aber Sie sehen nicht so aus. Ich ...« Er brach ab, runzelte abermals die Stirn und sah sie mit neuem Interesse an. »Laird ...« wiederholte er in verändertem, nachdenklichem Tonfall. »Charity Laird ... Sie waren damals diejenige, die das Sternenschiff entdeckt hat.«

»Ich gehörte zur ersten Expedition, da haben Sie recht.« Sie blickte Hartmann mit einem humorlosen Lächeln an. »Manche behaupten, ich hätte es geholt.«

»Was für ein Unsinn«, sagte Hartmann. »Sie sind in einen Schlaftank entkommen. Wie viele außer Ihnen haben es noch geschafft?«

Charity antwortete nicht sofort. »In unserer Basis ... niemand. Niemand außer mir. Es war reines Glück.« Sie überlegte einen Moment, ob sie ihm von Stone erzählen sollte, entschied sich dann aber dagegen.

»Glück?« Hartmann lachte leise und nicht sehr humorvoll. »Nun ja ... Aber lassen wir das. Ihre Basis?«

»Survival Station 01«, erklärte Charity. »Der Regierungsbunker.« Sie machte eine fragende Handbewegung, die den ganzen Raum einschloß. »Was ist das hier? Etwas Ähnliches?«

Hartmann überging die Frage. »Seit wann sind Sie wach? Und wie kommen Sie hierher nach Deutschland?«

Etwas an Hartmanns Art irritierte Charity. Trotz seiner Kälte und Sachlichkeit wirkte er nicht unfreundlich. Doch Charity glaubte zu spüren, daß der Mann innerlich vor Nervosität fast krank war. »Das ist ... eine ziemlich lange Geschichte«, antwortete sie ausweichend. »Ich erzähle sie Ihnen gern, aber vielleicht nicht jetzt. Was ist mit meinen Begleitern?«

»Ihnen fehlt nichts«, sagte Hartmann. Zu ihrer Überraschung verzichtete er darauf, abermals eine Erklärung von ihr zu verlangen, sondern fügte hinzu: »Die meisten von ihnen sind noch bewußtlos. Sie sind die einzige, die bereits wach ist - außer diesem Jungen.«

»Kyle?«

»Wer ist er? Ein Dreckfresser?«

»Ich weiß nicht genau, was Sie mit diesem Wort meinen«, antwortete Charity scharf. »Er ist ein Freund.«

»Ein Freund? Hat man Ihnen noch nicht gesagt, daß man sich heutzutage seine Freunde genau anschauen sollte?«

Er hob befehlend die Hand, als Charity abermals auffahren wollte, und fuhr in nur leicht gemäßigterem Ton fort. »Bitte verzeihen Sie, Captain Laird, wenn ich etwas grob erscheine. Aber Sie werden mich verstehen, wenn Sie mir zuhören. Wir haben im Moment eine etwas...«

Er zögerte. »Eine etwas angespannte Situation«, sagte er schließlich.

»Und ich muß wissen, was Sie damit zu tun haben. Dieser Bombenangriff heute morgen - hat er mit Ihnen zu tun?«

Wieder flüsterte eine innere Stimme Charity zu, daß es vielleicht besser war, nichts zu sagen. Aber die gleiche innere Stimme erklärte ihr auch im gleichen Moment, daß Hartmann kein Mann war, den man so ohne weiteres belügen konnte.

»Ich fürchte, ja«, sagte sie. »Das galt uns.«

»Warum?« schnappte Hartmann.

»Ich vermute«, erwiderte Charity spöttisch, »die Ameisen schätzen es nicht besonders, wenn man ihnen ihre Gleiter stiehlt.«

Hartmann zog überrascht die linke Augenbraue hoch, antwortete aber nicht sofort, sondern lehnte sich bequemer in seinem Sessel zurück und legte die gespreizten Finger gegeneinander. »Sie waren in diesem Gleiter, der abgeschossen wurde?«

»Sie scheinen ziemlich gut informiert zu sein, Herr Leutnant«, sagte Charity.

Hartmann lächelte kalt. »Das ist der Grund, aus dem wir hier unten noch leben. Aber einen Gleiter zu stehlen ist in meinen Augen noch kein ausreichender Grund, eine halbe Stadt mit Atombomben einzuäschern.«

»Ich sagte Ihnen bereits«, erwiderte Charity vorsichtig, »es ist eine lange Geschichte.«

Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf die Ausweisplakette, die noch immer vor Hartmann auf dem Schreibtisch lag. »Sie hat etwas damit zu tun. Kann ich sie wiederhaben?«

Sie streckte die Hand aus, zögerte einen Moment und führte die Bewegung erst zu Ende, als Hartmann mit den Augen ein Kopfnicken andeutete. Ohne einen konkreten Grund dafür angeben zu können, fühlte sie sich sicherer, als sie die winzige Plakette wieder an der Kette um ihren Hals befestigte.

Der Intercom-Schirm an der Wand summte. Hartmann drehte sich mit seinem Sessel herum und streckte die Hand aus. Charity rechnete damit, daß er ihn einschalten wurde, aber statt dessen nahm er einen altmodischen Telefonhörer zur Hand und meldete sich mit einem knappen: »Ja?«

Er lauschte einen Moment, und sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich mit jedem Wort, das am anderen Ende der Leitung gesprochen wurde. Hartmann selbst sagte nichts, sondern hängte den Hörer nach einer knappen Minute zurück und wandte sich wieder zu Charity um.

Als er sie ansah, waren seine Züge so ausdruckslos wie zuvor; das Gesicht eines Geschäftsmannes, der einen Verhandlungspartner musterte, von dem er noch nicht ganz genau wußte, was er von ihm zu halten hatte.

»Ich fürchte, wir müssen den Rest unserer Unterhaltung auf später verschieben«, sagte er. »Vielleicht ist es sogar besser so. Ich bin sicher, Sie haben nicht nur eine Menge Antworten für mich, sondern auch eine Menge Fragen an mich. Und ich habe wenig Lust, alles fünfmal erklären zu müssen.«

Er stand auf und kam um den Schreibtisch herum; auch Charity erhob sich.

»Leutnant Felss wird Ihnen Ihr Quartier zeigen«, sagte Hartmann. »Ich fürchte, es wird nicht sonderlich luxuriös sein, aber doch ein wenig bequemer als das Wrack eines Moroni-Gleiters.«

6

Die Stadt lag wie ein Mosaik aus dunklen, schmutzigen Farben unter ihm. Aus einer Höhe von fast vier Meilen herab betrachtet, waren die Spuren der Zerstörungen kaum noch auszumachen. Der Feuersturm, der über Köln hinweggerast war, hatte jedes Leben und fast jedes Gebäude vernichtet, aber die Grundstruktur, nach der diese Stadt errichtet worden war, war erhalten geblieben. Stone konnte deutlich die Grundrisse der alten Festungsmauer erkennen, die noch aus der Zeit der Römer stammte, und das asymmetrische Muster der Straßen und Alleen, die nachfolgende Generationen erschaffen hatten. Es gehörte nicht einmal viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß das Leben dort unten noch immer so pulsierte wie vor fünfundfünfzig Jahren. Daß alles nur ein böser Traum gewesen war, aus dem man nur zu erwachen brauchte, um ihn ungeschehen zu machen.

Doch es war kein Alptraum, sondern grausame Wirklichkeit. Die Stadt hatte eine Anzahl neuer, schrecklicher Wunden davongetragen.

Die Strahlung der Bomben, die die Gleiter geworfen hatten, war extrem kurzlebig, aber auch extrem hart. In nicht einmal ganz zweiundsiebzig Stunden würde er das Gelände dort unten nur mit einem leichten Schutzanzug bekleidet betreten können; aber im Moment würde jedes Leben, das sich dem verseuchten Gebiet näherte, auf der Stelle erlöschen. Nicht einmal ein so unglaubliches Geschöpf wie der entkommene Megamann, konnte in dieser Hölle länger als einige Sekunden überleben. Er und Captain Laird und die anderen mußten tot sein.