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Sie fuhren jetzt sehr viel schneller, und Felss erwies sich als ausgezeichneter Fahrer. Durch die schwierigste Trümmerlandschaft fand er seinen Weg. Offensichtlich nahm er diese Route häufiger und kannte die Gegend wie seine Westentasche.

Während sie sich weiter nach Westen bewegten, begann sich ihre Umgebung allmählich zu verändern. Die Straße wurde noch immer von niedergebrannten, ausgebombten Häusern flankiert, aber immer öfter sah Charity jetzt Flecken von Grün und Purpur. Bald tauchten auch in dem geborstenen Asphalt vor ihnen die ersten grünen Tupfer auf, und nach weiteren zehn Minuten rollte der Panzerwagen durch eine Ruinenstadt, die sich kaum noch von den Außenbezirken der Freien Zone in Paris unterschied. Aus den tiefen Rissen im Erdboden wuchsen Pflanzen, dürre Büsche, kleine verkrüppelte Bäume, aber auch das unheimliche, grün-violette Pflanzenleben Morons, das die Invasoren auch in dieser Stadt ausgesät hatten. Es gedieh hier nicht so gut wie in Paris; statt die einheimischen Pflanzen zu verdrängen, schien es sich mit den Nischen und Lücken zu begnügen, die der irdischen Flora nicht mehr genug Nahrung boten.

Plötzlich tauchte auf dem Bildschirm ein menschlicher Umriß auf, und Felss trat auf die Bremse.

Der Mann war klein und ging so stark nach vorn gebeugt, daß er fast verkrüppelt wirkte. Sein Haar war lang und verfilzt und hing ihm bis weit über die Schultern herab, und der größte Teil seines Gesichtes verbarg sich hinter einem Bart, der aussah, als wäre er Zeit seines Lebens noch nicht geschnitten worden. Bekleidet war die Gestalt mit ein paar Lumpen, unter denen hier und da eine dunkle Haut zum Vorschein kam, die mit Narben und großen, entzündeten Stellen übersät war.

»Wer ist das?« fragte Charity verblüfft.

Hartmann grunzte. »Ein Dreckfresser«, sagte er.

Die unüberhörbare Verachtung in seiner Stimme ließ Charity verwirrt den Blick vom Bildschirm wenden und Hartmann ansehen. Der Leutnant blickte die Gestalt auf dem Monitor mit einer Mischung aus Zorn und Ekel an.

»Dreckfresser? Sie meinen...«

»Überlebende?« Skudder kam neugierig näher und versuchte, zwischen Charity und Felss hindurch einen Blick auf den Bildschirm zu erhäschen. »Es gibt also noch andere Überlebende hier?«

Hartmann nickte. »Wenn Sie es so nennen wollen«, antwortete er. »Sie sind Tiere! Sie sehen vielleicht aus wie Menschen, aber sie sind keine, glauben Sie mir.«

Skudder wollte widersprechen, aber Charity warf ihm einen raschen, warnenden Blick zu. Der Ausdruck in Hartmanns Stimme war nicht einfach nur Verachtung. Sie hatte das sehr sichere Gefühl, daß es nicht besonders klug war, im Moment weiter auf dieses Thema einzugehen.

»Weiter!« befahl Hartmann, an Felss gewandt. »Aber vorsichtig!«

Fast behutsam ließ Felss den schweren Panzerwagen weiter rollen. Die Gestalt verschwand so schnell vom Bildschirm, wie sie erschienen war, aber Charity glaubte plötzlich, immer häufiger ein Huschen zwischen den Schatten der Ruinen zu gewahren.

Und es vergingen nur Minuten, bis eine zweite, verdreckte Gestalt vor ihnen auftauchte. Diesmal blieb sie einen Moment reglos stehen und blickte dem näherkommenden Panzerwagen entgegen, ehe sie sich mit einer überraschend behende Bewegung umwandte und wieder im Gebüsch verschwand.

Hartmann preßte zornig die Lippen aufeinander. »Verdammt!« sagte er. »Sie haben uns gesehen! Das hat uns gerade noch gefehlt!«

»Wieso?« erkundigte sich Kyle. Auch er war aufgestanden und lautlos näher gekommen. »Sie können uns doch unmöglich gefährlich werden - oder?«

Hartmann warf ihm einen zornigen Blick zu und wandte sich dann mit einem demonstrativen Ruck wieder dem Monitor zu.

»Wie viele von diesen Überlebenden gibt es hier?« erkundigte sich Charity.

»Zu viele«, antwortete Hartmann grob. »Vielleicht ein paar tausend, niemand weiß das so genau.«

»Tausende?« fragte Charity zweifelnd. »Aber wovon leben sie?«

»Von allem, was sie finden«, antwortete Lehmann an Hartmanns Stelle. »Schlimmstenfalls fressen sie sich gegenseitig. Oder ihre Kinder.«

Charity starrte den Soldaten entsetzt an. Lehmanns Stimme war so voller Verachtung und Haß, wie Charity es selten zuvor gehört hatte.

»Und ihr habt nie versucht, ihnen zu helfen?«

»Helfen?«

»Das da draußen sind Menschen!« sagte Charity. »Wie...«

»Nein, das sind sie nicht«, unterbrach sie Hartmann kalt. »Sie sehen nur so aus.«

Bevor Charity etwas erwidern konnte, sagte Skudder leise: »Manchmal frage ich mich, ob ich auf der richtigen Seite stehe.«

Hartmann fuhr mit einem Ruck in seinem Sitz herum und wollte den Hopi anfahren, doch in diesem Moment prallte etwas mit einem dumpfen Krachen gegen den Wagen, und sie alle blickten erschrocken wieder auf den Monitor.

Schatten bewegten sich am Straßenrand, huschten hin und her. Und dann prallten ein zweiter und ein dritter Stein gegen den Wagen.

Felss fluchte unterdrückt und gab wieder Gas. Der Wagen schoß mit einem Satz los und begann schlingernd die Straße hinunterzurasen. Aber das Bombardement von Steinen hörte nicht auf; einige waren so groß, daß das Fahrzeug spürbar unter ihrem Einschlag erzitterte.

Felss löste eine Hand vom Lenkrad und griff nach der Kontrolle der Waffen, aber Hartmann winkte hastig ab.

»Nicht schießen!« befahl er.

Felss zog die Hand mit sichtlichem Widerstreben zurück, widersprach aber nicht, sondern konzentrierte sich voll und ganz darauf, den immer stärker schlingernden Wagen unter Kontrolle zu halten. Es dauerte nur wenige Minuten, aber die Strecke bis zum Ende der schmalen Trümmerallee wurde zu einem regelrechten Spießrutenlauf. Mehr als einmal wurde der Wagen heftig getroffen, und einmal rollte ein riesiger Felsbrocken aus einem Schuttberg herab und verfehlte sie nur um wenige Meter. Dann endlich hatten sie die wütenden Dreckfresser hinter sich gelassen.

»Das war knapp«, sagte Charity und atmete auf. »Sie scheinen sich mit den oberirdischen Einwohnern dieser Stadt nicht besonders gut zu verstehen, Leutnant Hartmann.«

Hartmann lächelte humorlos.

»Es gibt gewisse Meinungsverschiedenheiten«, sagte er. »Aber meistens haben wir die besseren Argumente.«

Nach einer halben Stunde begann die Sonne wirklich zu sinken, und graues Licht mischte sich in die staubgeschwängerte Luft. Es war sehr still im Wagen geworden. Lehmann und Felss wechselten manchmal ein halblautes Wort miteinander, und dann und wann ließ der verletzte Techniker ein Stöhnen hören. Keiner von ihnen hatte ein Wort gesprochen, seit ihrer ersten Begegnung mit den Dreckfressern, aber Charity spürte genau, was in den anderen vorging. Sie war nicht die einzige, die sich immer mehr zu fragen begann, ob diese Männer wirklich ihre Verbündeten waren. Sie waren Feinde Daniels und seiner Handlanger - aber waren sie deshalb gleich ihre Freunde?!

Der Wagen wurde langsamer und hielt schließlich an. Charity sah alarmiert auf und begegnete zum ersten Mal seit einer halben Stunde wieder Hartmanns Blick.

»Was ist passiert?« fragte sie.

Hartmann hob wortlos die Hand und gebot ihr, hinter ihn zu treten. Das Licht war draußen bereits so schwach geworden, daß Charity ihre Umgebung nur noch schemenhaft wahrnehmen konnte. Felss wagte es nicht, die Scheinwerfer des Wagens einzuschalten, aber es gab einen zweiten Monitor, dessen Kamera offensichtlich mit einem Restlichtverstärker ausgerüstet war: Die Bilder darauf waren blaß und grobkörnig, so daß sie noch gespenstischer wirkten. Dabei wäre das, was sie zeigten, für sich allein schon unheimlich genug gewesen.