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Mehr aus bloßer Verzweiflung denn aus der wirklichen Hoffnung heraus, daß er wirklich etwas tun könne, drehte sie sich herum und winkte Gurk heran. Im ersten Moment ignorierte der Zwerg ihre Geste. Seit sie auf die Barbaren gestoßen waren, hatte er kein einziges Wort mehr gesagt, aber sein Verhalten hatte sich geändert. Gurk gefiel sich normalerweise darin, den Giftzwerg zu spielen, aber niemand nahm seine aufgesetzte Feindseligkeit wirklich ernst. Doch der Zorn, den sie jetzt in Abn El Gurks pupillenlosen, dunklen Augen las, war echt. Sie hatte fast das Gefühl, daß er ihr und den anderen die Schuld an ihrer mißlichen Lage gab.

»Was willst du?« fragte Gurk, nachdem er sich endlich bequemt hatte, näher zu kommen.

Charity stand auf und deutete gleichzeitig mit einer Geste auf den Bewußtlosen. »Kannst du irgend etwas für ihn tun?«

»Ja«, knurrte Gurk, »ihm die Kehle durchschneiden. Dann leidet er wenigstens nicht länger.«

»Ich meine es ernst«, antwortete Charity ruhig. »Hilf ihm.«

»Und wie?« Gurk verzog das Gesicht zu einer Grimasse, ließ sich aber trotzdem neben dem verletzten Techniker auf die Knie sinken und tastete mit seinen dürren, greisen Fingern über sein Gesicht und seine Schläfen. »Was erwartest du von mir? Ich bin weder Medizinmann noch Zauberer. Der Mann stirbt.«

»Vielleicht ist es das beste für ihn.«

Obwohl Charity wußte, wie Hartmanns Worte gemeint waren, drehte sie sich herum und blickte den Leutnant wütend an. »Halten Sie den Mund!« schnappte sie.

»Warum?« erwiderte Hartmann kühl. »Der Knirps hat recht. Der Mann stirbt. Und wahrscheinlich leichter und schmerzloser als wir.«

Charity setzte zu einer wütenden Antwort an, aber der Ausdruck in Hartmanns Gesicht überzeugte sie davon, wie sinnlos jedes weitere Wort war. Statt mit ihm zu streiten, wie sie es vorgehabt hatte, drehte sie sich demonstrativ weg und ging zu ihrem Beobachtungsposten an der Tür zurück.

Kurz bevor sie ihn erreichte, stieß sie beinahe mit Jared zusammen, der in Begleitung zweier Eingeborener zurückgekommen war. Einer von ihnen war ein Mann, dessen Alter unter dem wuchernden Bart und dem verfilzten, schulterlangen Haar unmöglich zu schätzen war, die zweite Gestalt war kleiner und schlanker und hatte blondes, langes Haar, es war ein Mädchen. Charity schätzte ihr Alter auf acht oder neun Jahre. Das zerfetzte Kleid, das das Mädchen trug, war über der rechten Schulter zerrissen. Und unter dem Stoff lugte etwas hervor, das auf den ersten Blick wie ein Buckel aussah. Doch in Wahrheit war es ein Wesen mit Chitinhaut und acht oder zehn Augen, die sich in einem verwirrenden Rhythmus und ununterbrochen öffneten und schlössen. Eine Unzahl von Tentakeln schien sich tief in die Haut des Kindes eingegraben zu haben.

»Großer Gott!« stöhnte Skudder. »Was ist...«

Charity brachte ihn mit einer raschen Handbewegung zum Verstummen. Jared und der andere Mann hatten ihr Erschrecken nicht bemerkt - aber das Mädchen sah beim Klang von Skudders Stimme auf und musterte den riesenhaften Hopi-Indianer aus wachen, durchdringenden Augen. Und Charity wußte, daß es jedes Wort verstand.

Mit aller Kraft unterdrückte sie den Widerwillen, mit dem der schreckliche Anblick sie erfüllte, und zwang sich zu einem Lächeln. Obwohl das Mädchen sie nicht ansah, lächelte es plötzlich ebenfalls - und der Blick der gräßlichen Kreatur auf ihrer Schulter richtete sich plötzlich auf Charitys Gesicht.

Es war nicht der Blick einer gehirnlosen Kreatur, es waren Insektenaugen: kalte, funkelnde Facetten, in denen das Leben aufblitzte, das sie in den Augen Jareds und der anderen vermißt hatte.

Nur mühsam gelang es Charity, ihren Blick von den Spinnenaugen zu lösen. Das Kind blickte immer noch mit schräg in den Nacken gelegtem Kopf zu Skudder, drehte sich jetzt aber zu ihr herum und lächelte. Charity erwiderte dieses Lächeln, und schließlich überwandt sie ihren Ekel so weit, daß sie einen weiteren Schritt auf das Mädchen zutreten und die Hand nach ihm ausstrecken konnte. Der glitzernde Hornball auf der Schulter des Kindes zuckte und bebte, und eine Sekunde lang mußte Charity mit aller Gewalt gegen die furchtbare Vorstellung ankämpfen, es könne sich vom Körper des Kindes lösen und mit einem Satz auf ihre Hand springen. Doch da hob das Kind die Hand und berührte flüchtig Charitys Finger.

Es war ein Gefühl, das sie nicht in Worte fassen konnte; ähnlich wie damals im Sternenschiff, als sie die Gegenwart von etwas Fremdartigen gespürt hatte. Und doch war es gleichzeitig vollkommen anders, denn damals hatte sie Gefahr gespürt, eine körperlose, unsagbare Bedrohung, jetzt fühlte sie von alledem nichts. Was immer sie spürte, es war fremd, unsagbar fremd und anders.

Aber nicht feindselig. Das Mädchen blickte sie noch eine Sekunde lang mit dem gleichen, sonderbaren Lächeln an, dann drehte es sich herum und ging langsam durch den Raum zu Net, Helen und Gurk, die noch immer neben dem Verletzten knieten. Nets Augen weiteten sich entsetzt, als nun auch sie sah, was auf der Schulter des Kindes hockte. Und ihre Hand senkte sich ganz automatisch zu der Waffe in ihrem Gürtel. Aber noch bevor Charity sie zurückhalten konnte, hob Gurk erschrocken den Arm und machte eine abwehrende Bewegung.

»Was soll das?« fragte Hartmann. Er machte einen hastigen Schritt, als wolle er dem Mädchen den Weg vertreten, und blieb wieder stehen, als Charity hastig den Kopf schüttelte.

»Lassen Sie sie«, sagte sie leise.

Hartmann runzelte die Stirn, trat aber zu Charitys Überraschung gehorsam zurück, und auch Net und Helen erhoben sich, um dem Kind Platz zu machen. Gurk blieb reglos stehen, verfolgte jedoch jede Bewegung des Mädchens aus mißtrauischen, wachen Augen.

Das Kind kniete langsam neben dem Verletzten nieder, blickte fast eine Minute lang reglos auf sein Gesicht herab und streckte dann langsam die Hände aus. Hartmann sog scharf die Luft ein, sagte aber nichts.

Die Finger des Mädchens glitten langsam über das Gesicht des Technikers, tasteten über seine Wangen, seine Lippen, seine Nase und seine geschlossenen Augen, zeichneten Kreise und komplizierte, ineinanderfließende Muster auf seine Stirn und seine Schläfen. Weder Charity noch einer der anderen konnte erkennen, was es wirklich tat - aber nach einer Weile beruhigte sich der rasselnde Atem des Verletzten.

»Was tut sie?« fragte Charity. Unwillkürlich hatte sie ihre Stimme zu einem Flüstern gesenkt.

Ebenso leise antwortete Jared: »Euer Freund ... ist ... sehr krank.«

»Ich weiß«, antwortete Charity. »Er wird sterben.«

»Nein«, sagte Jared. »Er kann ... leben.«

Nicht nur Charity wandte sich verblüfft zu Jared um und sah ihn an. Wie bei ihrem ersten Zusammentreffen sprach Jared langsam und mit großen Pausen zwischen den einzelnen Worten. Aber jetzt erst fiel Charity auf, daß er englisch gesprochen hatte - in ihrer Muttersprache, die er eigentlich gar nicht beherrschen durfte.

»Wie meinst du das?« fragte sie verblüfft.

»Wenn ihr ... wollt«, antwortete Jared langsam, »dann ... lebt er ... weiter. Aber nicht als ... Blinder.«

»Als Blinder?« wiederholte Charity verwirrt. »Was...«

»Wir können ... ihn ... retten«, unterbrach sie Jared. »Er wird ... Jared. Als Blinder ... stirbt er.«

Nun verstand Charity überhaupt nichts mehr. Und ein rascher Blick in Hartmanns Gesicht zeigte ihr, daß es dem Deutschen nicht anders erging. Aber während sie einfach nur Verwirrung empfand, verdunkelte sich Hartmanns Gesicht vor Zorn und Mißtrauen. Rasch, ehe der Leutnant etwas sagen oder tun konnte, fuhr sie fort: »Ich fürchte, ich verstehe nicht. Wieso wird er zu dir?«

Jared schüttelte den Kopf. In einer übertrieben pantomimischen Geste hob er die Hand, spreizte die Finger und legte sie auf seine Brust.