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Es kostete Kyle all seine Kraft, den Blick von den gewaltigen Facettenaugen der Ameisenkönigin zu lösen und einen Schritt zurückzutreten. Im Inneren des zerstörten Domes befanden sich eine Unzahl Jared und Ameisen; in einiger Entfernung gewahrte er die schimmernde weiße Gestalt des Inspektors. Er stand reglos da, aber sein Blick war so unverwandt auf Kyle gerichtet, daß ihm klar war, daß er ihn erkannt hatte. Aus einem Grund, der Kyle unbegreiflich war, hatte er bisher darauf verzichtet, seinen Kriegern Befehl zu geben, ihn anzugreifen.

Langsam drehte der Megamann sich herum und ging zu Gurk zurück, der unter der Tür stehengeblieben war und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Ohren zuhielt. »Wo ist Gyell?« fragte Kyle.

Gurk nahm eine Hand herunter und deutete hinter sich. Seine Lippen bewegten sich, aber Kyle verstand überhaupt nichts. Jeder Laut ging im Kreischen der tobenden Königin unter. Als er der Geste des Zwerges folgte, erkannte er Gyell zwischen höchst aufgeregten Jared.

Während sich Kyle durch das Durcheinander in der Kathedrale auf den Jared zu arbeitete, war er sich die ganze Zeit der bohrenden Blicke des Inspektors bewußt, die jede seiner Bewegung verfolgten. Als er Gyell endlich erreicht hatte, zerrte er ihn unsanft an der Schulter. »Wo ist Helen?!« herrschte er ihn an. »Was habt ihr mit ihr gemacht?«

Der Jared hob den Arm und schob Kyles Hand mit erstaunlicher Kraft beiseite. »Jetzt nicht«, sagte er.

Er wollte sich wieder herumdrehen, aber Kyle ergriff ihn so fest am Arm, daß jeder andere vor Schmerz aufgeschrien hätte. In Gyells Gesicht zuckte nicht einmal ein Muskel. »Du wirst mir jetzt sofort...«

Gyell berührte ihn beinahe sanft an der Schulter, und ein furchtbarer Schmerz schoß durch Kyles Körper und ließ ihn mit einem Schrei zurücktaumeln. Hilflos sank er zu Boden und kämpfte einen Moment lang mit verzweifelter Kraft gegen die dunklen Schleier, die vor seinen Augen tanzten und sein Bewußtsein verschlingen wollten. Gyells Gestalt begann vor seinen Augen zu verschwimmen, als er den Kopf hob.

»Wir werden für das Mädchen tun, was getan werden muß« sagte Gyell ruhig. »Aber nicht jetzt. Die Königin stirbt.«

»Ich weiß«, stöhnte Kyle. »Aber was hat das mit...«

»Wenn sie stirbt, sterben auch wir«, sagte Gyell.

Kyle blickte ihn verwirrt an.

»Und auch das Mädchen«, fügte der Jared hinzu.

Während der Jared sich herumdrehte und mit ruhigen Schritten zu seinen Brüdern zurückging, plagte sich Kyle taumelnd in die Höhe. In seinem Kopf drehte sich noch immer alles, und er hatte das Gefühl, daß seine Knie das Gewicht seines Körpers kaum zu tragen vermochten.

»Was ist passiert?« fragte Gurk aufgeregt, während er abwechselnd ihn und den Jared anstarrte.

»Ich habe keine Ahnung«, murmelte Kyle. Selbst das Sprechen fiel ihm schwer. Kein Schmerz lähmte ihn, sondern vielmehr das Gefühl von Schwäche. Es war, als hätte der Jared ihm etwas von seiner Lebenskraft geraubt.

»Was ist los mit dir?« wiederholte Gurk seine Frage. Als er auch diesmal keine Antwort bekam, legte er den Kopf in den Nacken und blinzelte nachdenklich zu Kyle empor. »Anscheinend bist du doch nicht ganz so unverwundbar, wie ich dachte.«

»Möglich«, antwortete Kyle einsilbig. Wieder suchte sein Blick den Inspektor. Die riesenhafte, weiße Ameise war näher gekommen und starrte ihn noch immer unverwandt an. Neben den zahllosen Arbeiterinnen, die das zerstörte Kirchenschiff nach Eiern durchsuchten, die den Angriff überlebt hatten, gewahrte Kyle jetzt ein gutes Dutzend Soldaten. Die meisten waren mit Lasergewehren bewaffnet, aber einige trugen auch die kleinen, plump aussehenden Strahlenpistolen, von denen Kyle eine in Paris erbeutet hatte. Ein Schuß aus dieser Waffe würde auch ihn töten.

»Es scheint allmählich brenzlig zu werden«, sagte Gurk neben ihm. Auch er hatte die Soldaten bemerkt. »Ergeben wir uns, oder gehen wir mit fliegenden Fahnen unter?« fragte er spöttisch.

Kyle antwortete nicht. Er hatte das sichere Gefühl, das alles, was jetzt geschah, längst nicht mehr in ihrer Entscheidung lag. Daß die Soldaten ihn bisher nicht angegriffen hatten, lag wahrscheinlich einzig an der gefährlichen Nähe der Königin, in der sie sich aufhielten. Ein einziger fehlgeleiteter Schuß könnte die Kreatur töten.

Unsicher sah Kyle sich nach Gyell um. Der Jared und ein Dutzend seiner Brüder näherten sich vorsichtig der tobenden Königin. Anders als zuvor den Ameisen gestattete sie es ihnen, nahe an sie heranzutreten. Kyle beobachtete mit einer Mischung aus Verwirrung und Faszination, wie die Jared einen Halbkreis um den riesenhaften Kopf des gigantischen Insekts bildeten. Ihre Hände vollführten langsame beschwörende Bewegungen, und Kyle glaubte, ein monotones Summen zu hören.

»Was tun sie da?« flüsterte Gurk.

Kyle achtete nicht auf den Gnom. Auch ihn verwirrte das Tun der Jared zutiefst - aber er glaubte zumindest zu wissen, was die sonderbaren Jared da taten. Zehn Minuten vergingen, in denen Gyell und die anderen einfach reglos da standen, mit den Händen Muster in die Luft zeichneten und dieses unmelodische Summen von sich gaben. Das Toben der Königin beruhigte sich allmählich, aber ihr gigantischer Leib zuckte noch immer vor Schmerz, und der Blick ihrer riesigen Augen wurde trüb.

Schließlich ließen die Jared einer nach dem anderen erschöpft die Arme sinken. Einige brachen kraftlos dort zusammen, einige andere taumelten noch ein paar Schritte zurück, ehe sie sich müde auf den Boden setzten. Auch Gyell wankte mit erschöpften Bewegungen zur Seite und griff blind und haltsuchend um sich. Kyle war mit einem Satz bei ihm und fing ihn auf, ehe er zusammenbrechen konnte. Instinktiv wartete er auf den gleichen, grausamen Schmerz, den er bei Gyells erster Berührung verspürt hatte. Aber diesmal geschah etwas völlig anderes. Für einen Moment hatte er das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen, einen bodenlosen, finsteren Schacht, in dem er all seine Kraft verlor. Dann trafen sich ihre Blicke, und der Jared las den Schrecken in Kyles Augen, und im gleichen Sekundenbruchteil erlosch die saugende Kraft.

»Tu es«, sagte Kyle leise.

Gyells Blick wurde fragend. Du weißt, was es bedeutet?

Kyle antwortete auf die gleiche, lautlose Art, und Gyells Hand schloß sich fester um seine Finger. Erneut spürte er, wie ein Strom unsichtbarer, pulsierender Kraft von ihm auf den Jared überging, wie sein eigener Körper an Stärke verlor, während sich die erschlafften Züge des Jared wieder strafften.

Eine Sekunde, bevor Kyle einfach zusammenbrechen konnte, hörte er auf, und plötzlich war es Gyell, der ihn stützen mußte, damit er nicht fiel.

»Ich danke dir«, sagte Gyell. »Du hast diesen Körper gerettet. Er wäre gestorben.«

Kyle befreite sich mühsam aus seinem Griff und mußte für eine Sekunde seine letzten Energiereserven mobilisieren, um überhaupt noch auf den eigenen Füßen stehen zu können. Gyell wäre gestorben, hätte er ihm nicht geholfen. Kyle mußte nicht einmal den Blick wenden, um zu wissen, daß keiner der anderen Jared noch am Leben war.

»Jetzt geht!« sagte Gyell.

Kyle deutete über die Schulter zurück auf die weiße Gestalt des Inspektors. Die Zahl der Soldaten in seiner Begleitung war auf fast zwei Dutzend angewachsen; sie bildeten eine breite, undurchdringliche Kette zwischen ihnen und dem Ausgang. Und selbst wenn es ihm gelungen wäre, ihre Front zu durchbrechen - er wußte, daß draußen weitere Soldaten auf sie warteten. »Sie werden es nicht zulassen.«

»Ihr steht unter unserem Schutz«, entgegnete Gyell. »Sie lassen euch gehen.«

»Und ... Helen?«