»Wie viele Männer haben Sie hier unten?« erkundigte sich Charity.
Hartmann zögerte, gerade lange genug, daß Charity begriff, daß er nicht sicher war, ob er ihr diese Auskunft wirklich geben durfte. Dann zuckte er ganz sacht mit den Schultern und sagte: »Normalerweise ungefähr sechshundert.«
»Was soll das heißen - normalerweise?«
Hartmann wiederholte sein Achselzucken. »Sechshundert Mann ist die Zahl, die wir brauchen, um diese Station ständig bemannt zu halten«, antwortete er. »Ich habe Ihnen das System doch erklärt - ein Jahr Wache, zehn Jahre Schlaf.«
Charity sah ihn leicht überrascht an. »Sie meinen, Sie haben sechstausend Männer hier unten?«
Hartmann schüttelte den Kopf. »Nein. Es sind nicht ganz zehntausend.« Er zog eine Grimasse und seufzte hörbar. »Krämer wird mir den Kopf abreißen, wenn er erfährt, daß ich es Ihnen erzählt habe. Aber früher oder später erfahren Sie es ja doch.«
»Zehntausend Mann?! Aber das ist ... eine ganze Armee!«
»Was haben Sie erwartet?« Hartmann lächelte flüchtig. »Das hier ist eine militärische Einrichtung. Sie war ursprünglich dafür gedacht, einen Atomschlag zu überstehen und anschließend als Zentrum des Wiederaufbaus zu dienen.«
»Damit der ganze Wahnsinn von vorn losgeht?«
»Ohne diesen ganzen Wahnsinn«, sagte Hartmann betont, »wären Sie wahrscheinlich nicht mehr am Leben, Captain Laird.«
Sie legten die Hälfte des Weges schweigend zurück, ehe Charity abermals stehenblieb und mit einer Mischung aus Überraschung und Schrecken auf einen der kleinen Elektrokarren blickte, die beständig zwischen den einzelnen Gebäuden hin- und herfuhren. Auf der Ladefläche des kleinen Gefährts erhob sich ein Käfig aus verchromten Gitterstäben, in dem ein braungraues Pelzbündel hockte und sie aus dunklen, haßerfüllten Augen anstarrte.
»Keine Sorge, Miss Laird«, sagte Hartmann amüsiert, dem ihr Schrecken natürlich nicht entgangen war. »Diese Käfige sind völlig ausbruchsicher.«
Verwirrt blickte Charity dem Wagen nach, bis er im Tor einer der großen Hallen verschwunden war, das sich lautlos hinter ihm schloß. Erst dann sah sie Hartmann wieder an.
»Sie haben unsere kleinen Schoßtierchen ja schon kennengelernt«, fügte Hartmann hinzu.
»Ihre - was!« wiederholte Charity verblüfft.
»Vielleicht wäre Ihnen ein anderer Ausdruck lieber.« Hartmann forderte sie mit einer Geste auf weiterzugehen. »Ich hoffe, Sie gehören nicht zu denen, die schreiend auf einen Tisch springen, wenn sie eine Maus sehen. Wir haben nämlich eine ganze Anzahl von diesen kleinen Biestern hier unten.«
»Aber wozu?«
Hartmann seufzte. »Ich sagte Ihnen doch bereits - wir sind ziemlich viele hier unten. Was glauben Sie, wovon wir leben?« Er lachte leise.
»Ich glaube nicht, daß ich ... verstehe, was Sie meinen«, sagte Charity zögernd.
»Sie sind unsere Schöpfung«, entgegnete der Leutnant. »Sie müssen zugeben - sie sind nicht unbedingt hübsch, aber sie sind uns gelungen.«
»Wollen Sie damit sagen, sie haben sie erschaffen!« stieß Charity erschrocken hervor.
»In gewissem Sinne«, sagte Hartmann. »Wir haben sie sozusagen ein wenig verändert. Sie haben gesehen, wie sie sich auf die Biester gestürzt haben, die Sie und Ihre Freunde in dem Kanalisationsschacht angegriffen haben.«
Charity starrte ihn schockiert an. Die Erinnerung an die rasende Wut, mit denen sich die mutierten Riesenratten auf die Kreatur von Moron gestürzt hatten, stand ihr noch deutlich vor Augen. Sie hatte den Haß gefühlt, den die Ratten empfanden, ein Haß von solcher Intensität, daß ihr selbst bei der bloßen Erinnerung daran ein eisiger Schauer über den Rücken lief.
»Sie haben sie genetisch verändert?«
Hartmann tat so, als müsse er einen Moment über dieses Wort nachdenken. »Fragen Sie mich bitte nicht nach Einzelheiten - aber es läuft darauf hinaus, daß die Biester gar nicht mehr anders können, als alles anzugreifen, was mehr als vier Beine hat und nicht von diesem Planeten stammt.«
»Das ist unglaublich«, murmelte Charity.
»Keineswegs. Ich bin nur ein einfacher Soldat, der außer Schießen nicht besonders viel gelernt hat, aber die Jungs in den Labors behaupten, daß es nicht einmal besonders schwer war. In den letzten Jahrzehnten sind immer mehr Mutationen aufgetreten. Es muß irgend etwas damit zu tun haben, was sie mit der Erde machen. Einige Spezies haben sich angepaßt, einige sind ganz verschwunden, und die Ratten sind ein bißchen größer geworden. Und ein bißchen schlauer.«
»Hören Sie auf, den Trottel zu spielen!« sagte Charity ärgerlich. »Diese Biester sind intelligent, Hartmann. Und Sie wissen das verdammt gut.«
Hartmann nickte. »Ein Grund mehr, sie auf unsere Freunde aus dem Weltraum abzurichten, finden Sie nicht?«
Sie hatten Krämers Gebäude erreicht, und Hartmann zog eine kleine Ausweiskarte aus Plastik aus der Tasche und schob sie in einen Schlitz neben der Tür, hinter der sie zwei bewaffnete Posten erwarteten. Der Generalmajor erwartete sie in dem kleinen Büro, in dem Charity auch das erste Mal auf ihn getroffen war. Net und Skudder waren bei ihm, und obwohl Krämer und der Hopi ihr Gespräch sofort unterbrachen, als Charity eintrat, hatte sie das sichere Gefühl, in eine Diskussion hineinzuplatzen, die kurz davor stand, in einen Streit auszuarten.
Als er sie erkannte, drehte sich Krämer mit einem Ruck herum, musterte sie kurz und fast feindselig und deutete dann mit einer abgehackten Kopfbewegung auf Skudder. »Captain Laird!« begann er im Befehlston. »Vielleicht würden Sie Ihrem Freund erklären, daß im Moment niemand die Station verlassen kann.«
»Gern«, antwortete Charity nach einem raschen, beruhigenden Blick in Skudders zorngerötetes Gesicht. »Wenn Sie es zuvor mir erklären.«
Krämers Miene verdüsterte sich noch mehr. »Ich glaube nicht, daß jetzt der richtige Moment für Scherze ist, Captain Laird«, antwortete er eisig. »Wir haben verdammt große Probleme, und Sie sind nicht ganz unschuldig daran. Das mindeste, was ich von Ihnen erwarten kann, ist ein wenig Kooperation.«
»Selbstverständlich«, antwortete Charity betont gelassen. »Aber Kooperation beruht immer auf Gegenseitigkeit. Wieso ist alles unsere Schuld? Wir haben nicht darum gebeten, von Ihren Männern entführt zu werden!«
»Das ganze verdammte Land dort draußen befindet sich in Aufruhr!« entgegnete Krämer in scharfem Ton. »Ihretwegen.«
»Und Ihre ganze schöne Station dazu«, sagte Charity.
Krämer erbleichte sichtlich. Einen Herzschlag lang starrte er sie durchdringend an, dann fuhr er herum und wandte sich wütend an Hartmann. »Sie verdammter...«
»Er hat kein Wort gesagt«, unterbrach ihn Charity ruhig.
Krämer blickte sie lauernd an. »Woher wissen Sie dann, was hier geschieht?«
»Man müßte schon ziemlich dumm sein, um nicht zu merken, daß hier irgend etwas nicht in Ordnung ist«, antwortete Charity freundlich. »Was ist passiert?«
Krämer biß sich unentschlossen auf die Unterlippe. Dann sagte er: »Sie haben recht. Wir haben tatsächlich Schwierigkeiten. Es hat mit den Bomben zu tun, die sie geworfen haben.«
Charity sah ihn fragend an, worauf Krämer sich nervös mit der Hand über sein Gesicht fuhr. »Sie sind ein bißchen zu nahe an der Station explodiert.«
»Und?« fragte Charity verwirrt.
»Das hier ist eine militärische Einrichtung, Captain Laird, haben Sie das noch immer nicht begriffen?« fragte Krämer schneidend. »Unter normalen Umständen haben wir hier nur eine Mindestbesatzung, gerade genug, diesen Riesenkomplex vor dem Verfall zu bewahren. Neunundneunzig Prozent der Arbeit wird von Computern verrichtet. Und die reagieren auf eine ganz bestimmte Weise auf einen Angriff mit Nuklearwaffen.«