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»Was soll das heißen?« fuhr Skudder auf. »Sind wir Ihre Gefangenen?«

»Natürlich nicht«, antwortete Krämer eine Spur zu hastig. »Niemand kann im Moment aus der Station heraus. Das gilt nicht nur für Sie, sondern für alle. Selbst für mich.«

»Wieso?« fragte Charity.

Krämer seufzte. »Ich weiß nicht genau, was dort draußen vorgeht«, sagte er. »Aber ich habe niemals zuvor so viele Gleiter gesehen. Glauben Sie mir - wenn wir auch nur die Nase ins Freie strecken, schießen sie uns über den Haufen.«

»Dann vergessen Sie die Idee mit dem Hubschrauber«, schlug Charity vor. »Geben Sie uns irgendein Fahrzeug.«

»Das hätte keinen Sinn«, entgegnete Krämer. »Sie kämen nicht einmal in die Nähe der Stadt. Außerdem - vergessen Sie nicht, daß Sie mit einem Helikopter hergebracht wurden. Der Flug hat vielleicht nur zehn Minuten gedauert, aber wir sind hier über hundert Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Und die Straßen sind in einem miserablen Zustand. Sie würden zwei Tage brauchen, um zur Stadt zu kommen.«

»Das ist unser Problem, oder?« fragte Skudder.

»Nein«, antwortete Krämer ruhig. »Nicht, wenn es um die Sicherheit meiner Leute und dieser Station hier geht. Ich fürchte, Sie begreifen immer noch nicht. Das hier ist vielleicht der letzte Ort auf der Welt, bis zu dem sich ihre Herrschaft noch nicht erstreckt.«

»Sie haben Angst, daß wir Sie verraten? Das ist lächerlich.«

»Hören Sie auf!« unterbrach ihn Krämer ärgerlich. »Sie sind dort draußen aufgewachsen, oder? Muß ich ausgerechnet Ihnen erklären, daß Sie Mittel und Wege haben, alles aus jedem herauszuholen? Ich zweifle weder an Ihrer Loyalität noch an Ihrer Tapferkeit, aber Sie würden ihnen keine zehn Minuten standhalten. Und das wissen Sie genausogut wie ich!«

Skudder schürzte zornig die Lippen, und Charity warf ihm einen raschen Blick zu, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Sie haben natürlich völlig recht«, sagte sie. »Aber glauben Sie mir - wir haben gar keine andere Wahl, als mit Gyell zu reden. Wie viele von Ihren Soldaten befinden sich in diesem Zustand? Zweitausend? Dreitausend?«

Krämer schwieg, aber der Ausdruck auf seinem Gesicht sagte ihr, daß diese Schätzung eher noch zu vorsichtig gewesen war.

»Sie werden sterben, wenn Sie nichts unternehmen«, fuhr sie fort. »Wollen Sie das?«

»Nein«, antwortete Krämer. »Das will ich ganz gewiß nicht. Aber ich bin darüber hinaus noch für achttausend gesunde Manner hier unten verantwortlich. Wollen Sie, daß ich ihr Leben aufs Spiel setze - auf eine bloße Vermutung!«

»Ihnen bleibt gar nichts anders übrig«, sagte Skudder. Kampflustig beugte er sich vor, stemmte die Fauste auf den Schreibtisch und blickte auf den Generalmajor hinab. »Wir werden nämlich gehen - ob es Ihnen paßt oder nicht.«

»Nein«, sagte Krämer. »Das werden Sie ganz bestimmt nicht.« Er wandte sich mit einer Kopfbewegung an Hartmann. »Nehmen Sie sie fest, Leutnant.«

Hartmann sah überrascht auf. Dann machte er einen Schritt in Skudders Richtung und blieb wieder stehen, als sich der Hopi zu ihm herumdrehte und die Fäuste hob.

»Ich bitte Sie, Mister Skudder«, sagte Krämer. »Ich weiß, daß Sie Leutnant Hartmann körperlich überlegen sind. Aber Sie sollten auch wissen, daß Sie hier nicht herauskommen. Nicht, wenn ich es nicht will.«

»Ach?« fragte Skudder lauernd.

»Und es hatte auch sehr wenig Sinn, sich auf mich zu stürzen und mich als Geisel zu nehmen«, fuhr Krämer mit einem milden Lächeln fort. »Glauben Sie mir - wir haben auch diese Möglichkeit vorausgesehen und entsprechende Vorkehrungen getroffen.«

Skudder sah ganz so aus, als wollte er ausprobieren, was an Krämers Behauptung dran war, aber Charity hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. Der Generalmajor gehörte nicht zu den Männern, die blufften.

Plötzlich öffnete sich die Tür hinter ihnen, und zwei bewaffnete Soldaten betraten den Raum. Krämer deutete mit einer Handbewegung auf Charity, Net und Skudder. »Bringen Sie unsere Gäste in ihre Quartiere. Sie stehen unter Arrest. Behandeln Sie sie mit dem nötigen Respekt - aber sie dürfen ihre Räume nicht verlassen.«

Charity starrte Krämer fassungslos an. »Ich hoffe, Sie bedauern diese Entscheidung nicht noch, Krämer.«

»Das hoffe ich auch«, antwortete Krämer.

Als Charity sich erhob, begannen überall in der Station die Alarmsirenen zu heulen. Krämer fuhr zusammen und blickte erschrocken auf die Monitorwand hinter sich. Auf den Bildschirmen war nichts Außergewöhnliches zu erkennen, aber in der gleichen Sekunde summte das Telefon. Krämer riß den Hörer von der Gabel, lauschte einen Moment, und plötzlich erbleichte er. Die Bewegung, mit der er nach einigen Sekunden den Hörer wieder einhängte, war von erzwungener Ruhe.

»Was ist passiert?« fragte Charity.

»Etwas, das vielleicht sogar Sie davon überzeugen wird, daß wir uns in Gefahr befinden«, antwortete Krämer. Seine Stimme zitterte leicht. »Wir haben den Kontakt zu allen unseren Außenstationen verloren.«

17

Die Stille fiel ihm auf. Er war noch nie zuvor hiergewesen, aber es war nicht das erste Nest, das er sah. Er hatte die Berichte über das, was in den vergangenen achtundvierzig Stunden passiert war, aufmerksam studiert. Der Platz und das Gebäude hätten vor Jared und Dienern nur so wimmeln müssen. Er hatte das Pfeifen und Klicken Tausender Insektenstimmen und das Starten und Landen von Gleitern erwartet und die aggressive Nervosität eines Nestes, dessen Königin im Sterben lag.

Statt dessen schlug ihm eine unheimliche Ruhe entgegen.

Der riesige Platz vor der Kathedrale bot einen Anblick der Verwüstung. In zahllosen Explosionskratern lagen tote Jared und die Kadaver von Ameisenkriegern. Auch die Kathedrale selbst war in Mitleidenschaft gezogen. Ein großer Teil des Daches war eingestürzt. Aber so schrecklich dieser Anblick war, die Stille, die über allem lastete, war schlimmer. Nirgendwo war auch nur eine Spur von Leben zu entdecken. Nicht einmal Aasfresser waren gekommen, um über die Leichen herzufallen.

Stone sah Luzifer alarmiert an. Auch der Moroni wirkte angespannt, fast nervös. Stones Blick tastete über die reglosen Gestalten der Jared und über das ausgeglühte Schiffswrack. Für einen Moment spürte selbst er Angst. Sie war so intensiv, daß er beinahe zum Schiff zurückgerannt wäre. Gleichzeitig fühlte er, daß er vor der Gefahr, die er spürte, nicht weglaufen konnte.

Mit klopfendem Herzen ging Stone weiter und zögerte noch einmal, ehe er mit kleinen, mühsamen Schritten die Treppe zum Portal hinaufging.

Drinnen angekommen, blieb er einen Moment mit geschlossenen Augen stehen, um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Als er die Lider wieder hob, bot sich ihm ein Anblick völliger Zerstörung. Was noch vor wenigen Tagen ein intaktes Nest gewesen war, der Ursprung eines neuen Volkes, war zerrissen und ausgebrannt. Hunderte von aufgeplatzten Eiern lagen auf dem Boden, dazwischen Dutzende von Jared und reglosen Ameisen.

Aber die Königin lebte.

Stone hielt erschrocken den Atem an, als er die schweren Verletzungen sah, die sie davongetragen hatte. Doch in ihren riesigen, schimmernden Facettenaugen glühte noch immer jenes unheimliche Feuer, das Stone jedes Mal aufs neue erschauern ließ, wenn er einer dieser gigantischen Kreaturen gegenüberstand. Und im gleichen Moment, als hätte sie seine Schritte gehört, hob sie den Kopf und starrte ihn an.

Die Bewegung brach den Bann, der für einen Moment von Stone Besitz ergriffen hatte. Er ging weiter und gewahrte erst jetzt die beiden riesigen, weiß schimmernden Ameisengestalten, die neben dem verstümmelten Leib der Königin standen. Der Anblick überraschte ihn. Ärgerlich wandte er sich zu Luzifer um. »Wieso hast du mir nicht gesagt, daß die Inspektoren hier sind?«