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Charity überzeugte sich hastig davon, daß keiner von ihnen schwer verletzt war, dann kroch sie auf Händen und Knien zurück zur Tür. Der Liftschacht lag vollkommen dunkel unter ihr, aber sie glaubte trotzdem einen huschenden, mißgestalteten Schatten zu sehen, der sich langsam zu ihr hinaufarbeitete. Sie war ziemlich sicher, daß diese Kreatur kein Stahlseil brauchte, um den Liftschacht hinaufzuklettern...

»Wir müssen die Tür schließen!« rief sie. »Helft mir!«

Sie schafften es mit vereinten Kräften und buchstäblich im letzten Augenblick. Die beiden Türhälften hatten sich kaum geschlossen, als etwas von innen mit solcher Wucht dagegenhämmerte, daß Charity erschrocken zurücktaumelte.

»Die Tür hält höchstens ein paar Minuten!« sagte Skudder. »Raus hier - schnell!«

Erst als Charity bereits an der Tür war, fiel ihr auf, daß der Soldat keine Anstalten machte, ihnen zu folgen. »Was ist los!« fragte sie ungeduldig. »Worauf warten Sie?«

»Ich ... kann nicht mehr«, stöhnte der Soldat. Er stand zitternd an der Wand neben der Lifttür. Sein Gesicht war bleich, und Charity sah erst jetzt die rasch größer werdende Blutlache, die sich unter seinem rechten Bein bildete. »Das Vieh hat mich erwischt, als ich ... am Seil hing«, stöhnte er. »Verschwindet! Ich ... versuche sie einen Moment aufzuhalten.«

Charity zögerte. Alles in ihr sträubte sich dagegen, den Mann hier zurückzulassen. Aber sie sah auch, daß er wirklich schwer verletzt war - und die Tür neben ihm erzitterte immer heftiger unter den Schlägen des Ungeheuers. Schließlich nickte sie Skudder zu. Der Hopi nahm das Gewehr von der Schulter und warf es zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurück. Der junge Soldat fing es auf, schob mit zusammengebissenen Zähnen ein neues Magazin in den Schaft und humpelte einige Schritte von der Lifttür weg.

»Viel Glück«, sagte Charity. »Und spielen Sie nicht den Helden. Wenn sie durchkommen, verschwinden Sie!«

Obwohl die Entfernung bis zu Krämers Befehlszentrale kaum zweihundert Meter betrug, brauchten sie fast zehn Minuten, um sie zurückzulegen. Die Höhlenstadt hatte sich in ein Irrenhaus verwandelt. Der Boden unter ihren Füßen erzitterte immer öfter unter schweren Explosionen, von denen einige eindeutig aus der Tiefe der Station herauf drangen. Charity schätzte, daß die Bunkerfestung dem Angriff keine halbe Stunde mehr Stand halten würde.

Zu ihrem Erstaunen trafen sie weder vor noch in dem kleinen Gebäude auf Wachen. Aber als sie sich Krämers Büro näherten, ging die Tür auf, und Hartmann trat heraus.

Ein ungläubiger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, als er sie erkannte. »Wie zum Teufel kommen Sie hierher?« fragte er fassungslos.

»Ist Krämer dort drinnen?« herrschte ihn Charity an.

Hartmann nickte. »Ja, aber...«

»Sie sind hier!« unterbrach ihn Charity. »Sie sind bereits in der Station, Hartmann!«

Sämtliche Monitore in der Wand hinter Krämers Schreibtisch waren zum Leben erwacht, als sie in den Raum stürmten. Jeder zeigte einen anderen Ausschnitt der unterirdischen Basis. Trotzdem ähnelten sich die Bilder auf schreckliche Weise: Fast alle zeigten eine Armee schwarzer, vielarmiger Insektenkrieger, die die Abwehr der Bunkerfestung so mühelos überrannten, als wäre sie gar nicht vorhanden. Auf den Bildschirmen flammte eine grellweiße Explosion nach der anderen auf und zeigte den Untergang von Krämers Abwehrstationen. Nur ein Dutzend der sorgsam getarnten Geschützstände feuerte noch, aber für jeden Gleiter, der in einer Explosion verglühte oder abstürzte, schienen zwei neue am Himmel aufzutauchen.

»Krämer - Sie sind hier!« Skudders Stimme war so schrill, als wolle sie jeden Moment umkippen. Mit einer zornigen Bewegung beugte er sich vor und streckte die Arme aus, wie um Krämer an den Schultern zu packen und herumzureißen, trat dann aber im letzten Moment wieder zurück und starrte aus entsetzt geweiteten Augen auf das apokalyptische Schauspiel, das sich auf den Bildschirmen bot.

»Was ... was tun Sie hier?« stammelte Krämer.

»Sie sind bereits in der Station!« schrie Charity. »Krämer, wir müssen zu Gyell! Geben Sie uns eine Maschine!«

»Unmöglich!« rief Krämer. »Sie lügen. Wir ... wir sind hier vollkommen sicher. Sie können nicht hier herein! Sie kommen nie durch die Tore!«

Charity tauschte einen alarmierten Blick mit Skudder. Beide begriffen, daß Krämer kurz davor stand, den Verstand zu verlieren.

»Ich kann sie aufhalten«, sagte Charity. »Vielleicht kann ich sie daran hindern, sie alle umzubringen. Bitte, Krämer - wir brauchen einen Hubschrauber!«

»Nein«, antwortete Krämer. »Sie ... Sie lügen. Was tun Sie überhaupt hier? Sie ... Sie sind meine Gefangene!« Plötzlich sprang er auf, fuhr herum und deutete heftig gestikulierend auf Hartmann. »Nehmen Sie sie fest! Erschießen Sie sie, wenn sie fliehen wollen! Sie sind Verräter! Es ist ... es ist alles ihre Schuld!«

Skudder riß ihn mit einer zornigen Bewegung in die Höhe. »Sie...«

»Hören Sie auf!«

Skudder erstarrte, und auch Charity blickte einen Moment lang ungläubig auf die Pistole, die plötzlich in Hartmanns Hand lag.

Dann fing sie Hartmanns Blick auf und begriff.

»Lassen Sie ihn los, oder ich erschieße Sie gleich hier!« sagte Hartmann. »Sofort«

»Tu, was er sagt«, sagte Charity hastig. »Er hat recht, Skudder. Es ist alles unsere Schuld. Aber wir sind hier sicher. Krämers Leute werden sie besiegen.«

Skudder schien immer noch nicht zu begreifen. Eine Sekunde lang starrte er auch sie fassungslos an, aber dann fing er ihren fast verzweifelten Blick auf und ließ den kleinen Mann endlich los.

Krämer taumelte mit einem Keuchen zurück und fiel schwer in seinen Sessel. »Bringen Sie sie weg, Hartmann!« kreischte er. »Erschießen Sie sie! Ich verurteile Sie wegen Hochverrat und Konspiration mit dem Feind zum Tode!«

»Zu Befehl, Herr Generalmajor«, sagte Hartmann. Mit grimmigem Gesichtsausdruck wandte er sich an Charity und machte eine wedelnde Bewegung mit der freien Hand. »Raus hier! Los!«

Charity hob langsam die Arme, und auch Net und Skudder traten auf den Korridor zurück. Hartmann folgte ihnen mit der Waffe im Anschlag. Für einen winzigen Moment kamen Charity Zweifel, als sie den verbissenen Ausdruck auf Hartmanns Gesicht sah. Er war wirklich ein überzeugender Schauspieler.

Sie hoffte nur, daß er auch wirklich nur schauspielerte...

Sie hatten das Gebäude kaum verlassen, da senkte Hartmann die Waffe und steckte sie wieder ein. Charity atmete erleichtert auf, und auch von Skudders Gesicht wich der angespannte Ausdruck.

»Ist das wahr?« fragte Hartmann. »Sie sind wirklich schon hier?«

Charity blickte ihn einen Moment lang verständnislos an. »Sie ... wissen es wirklich nicht?«

»Was?!«

»Aber ... Krämer muß es doch gemerkt...« Skudder verstummte mitten im Wort. »Er hat nichts gesagt«, murmelte er. »Nicht wahr? Sie sind dabei, eure Festung von innen heraus aufzurollen, und er sagt kein Wort. Der Kerl ist ja wahnsinnig!«

»Vermutlich«, sagte Charity. »Aber darüber können wir uns später aufregen.« Sie wandte sich an Hartmann. »Was ist mit dem Helikopterlandeplatz? Haben sie ihn schon genommen?«

»Noch nicht.« Hartmann zögerte. »Aber ich weiß nicht, ob ich einen Piloten finde.«

Sie liefen los. Das Grollen der Explosionen hielt an, während sie die gewaltige Höhle durchquerten, und ein paarmal zitterte der Boden unter ihren Füßen so stark, als wolle die gesamte Höhle einstürzten.