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Sie hörte Autos. Sah sie. Sah das Licht der Autos. Die Scheinwerfer strichen über den gegenüberliegenden Hang. Weißleuchtend. Die Autos bogen in die Hoteleinfahrt ab. Die Poolhalle lag auf dem Hügel über der Einfahrt. Wegen der Aussicht. Die billigen Zimmer waren unter der Poolhalle in den Hügel gebaut. So wie ihres. Sie lag hier oben, weil sie es nicht aushalten konnte, dass dieser pool über ihr war und nach links drei Zimmer weiter wieder Erde und auf der anderen Seite die Bierkisten und die riesigen Müllcontainer. Im Sommer musste das unerträglich sein. Im Sommer würde es noch riechen da hinten. Aber im Winter. Und da konnten alle lachen über sie, wie sie wollten. Da konnte man sie fragen, so viel man wollte. Dass sie doch mit der U-Bahn auch fahren könne. Oder mit dem Zug durch den Kanaltunnel nach London. Dass da ein ganzes Meer über ihr hinge. Und warum ihr das nichts ausmache. Die begriffen nicht, dass in einem Zug. Oder in der U-Bahn. Da bewegte sie sich. Da fuhr sie die ganze Zeit. Da blieb sie keinen Augenblick an einem Fleck. Da flüchtete sie fortwährend. Und dann. Im Zug. Oder in der U-Bahn. Da konnte sie selber gehen. Und stehen. Im Zug oder in der U-Bahn. Da lag sie nicht. Da musste sie nicht liegen. Und dann noch schlafen. Aufrecht. Im Stehen. Da ging das alles. Und mit Musik sowieso. In ihrem Zimmer hier. Da hatte sie die Musik im Ohr. Immer. Beim Schlafen sowieso. Und hier. Sie hatte immer dann schon etwas getrunken. Mit Gino und Heidi in der Bar. Wenn alle anderen endlich gegangen waren und Gino und Heidi Feierabend machten. Ein Glas Wodka, und es ging besser. Sie brauchte die Musik, und deshalb war sie auch keine Alkoholikerin. Obwohl die das nicht zugeben würden. In der Angehörigenunterstützungsselbsthilfegruppe in Stockerau. Da hätten sie das schon als Alkoholismus eingestuft. Weil sie das Glas Wodka brauchte, um in ihr Zimmer gehen zu können. Gino kam ja auch manchmal mit, oder sie schlief bei ihm oben unter dem Dach. Aber das war nur hier. Sie würde nicht ewig in diesem Wellnesshotel am Rand der Welt wohnen müssen, in das Leute nur zum öffentlichen Ficken kamen und wo man im pool nur am Mittwoch schwimmen konnte, weil da das Wasser dann von biologischen Substanzen gereinigt war. Weil die wasserlöslichen festen biologischen Bestandteile der Körpersäfte nach drei Tagen weggefiltert waren.

Sie ging aber trotzdem nicht hinein. Nie. Weil Gino jeden Tag schwimmen ging. Und Gino. Gino war schon sauber. So schon. Gino hatte nur Angst vor Ansteckungen für seinen Schwanz. Alles andere war ihm gleichgültig. Haare. Speichel. Schweiß. Das störte ihn nicht. Er glaubte an die Kraft der Desinfektion und behauptete immer, dass die Sammlung von Schamhaaren am Grund des pools. Dass diese Haare doch gewaschen wären, und sie solle nicht so eine Prinzessin sein. Er rannte dann auch mit seinen Damen direkt von der Sauna in den pool. Ohne Dusche. Und dann fielen sie übereinander her. Kleinkindertollereien wurden da gegeben. Bis es wieder mit der Angelegenheit begann. Es war nur gut, dass noch Donnerstag war und keine Wochenendgäste. Gregory zählte nicht. Sie wollte nicht aufstehen müssen. Sie wollte hier liegen bleiben und wissen, dass hinter der geheizten Panoramascheibe, auf der keine Eisblumen möglich waren, die Welt so groß sich ausbreitete und der Himmel darüber. Hier in der Wärme und hinausschauen und niemand sonst. Ganz tief über den Hügeln war noch ein grauheller Schein weit hinten.

Warum war Cindy da. Hatte sie geschlafen. Gedöst. Eingenickt. Cindy saß am Rand ihres Ruhebetts und schaute sie an. Oder hatte sie Filmrisse. Cindy war im Bademantel. Im Hotelbademantel. Die dunkelgrünen Hirsche auf der Brust rechts und links. Sie verstand das nicht. Cindy war noch nie hier gewesen. Sie hatte Cindy hier noch nie gesehen. Cindy lächelte. Cindy lächelte sie an. Sie richtete sich auf. Aber Cindy schob sie wieder ins halbaufrechte Liegen zurück und hielt ihr eine Flasche Vöslauer hin. Sie bräuchte doch sicherlich etwas zu trinken, sagte Cindy und fügte dann» Amy «hinzu. Nach einer langen Pause sagte Cindy diesen Namen, und sie. Sie wusste plötzlich, dass sie so hieß, als habe sie sich nicht erinnern können, und wieder diese Weinerlichkeit. Eigentlich eine Weichheit. Sie nahm die Flasche und war dankbar. Sie war zittrig und musste die Flasche mit beiden Händen halten. Die Dankbarkeit füllte sie warm aus, und sie hätte sich in Cindys Arme fallen lassen können. Sie fühlte sich Cindy nahe und vertraut und hatte ein Bedürfnis, sich an Cindy zu drängen. Hinter Cindy zog Gregory seine Bahnen. Sie lächelte. Gregory nähme es wirklich ernst. Mit dem Schwimmen, sagte sie, und sie lachten beide. Ein einverständiges Lachen war das, und sie wollte, dass Cindy nicht aufstünde. Die richtete sich aber auf und warf sich auf das Ruhebett daneben. Cindy musste aber wieder aufstehen. Sie versuchte, den Verschluss der Wasserflasche aufzudrehen, und es gelang nicht. Cindy nahm ihr die Flasche aus der Hand und drehte sie auf. Mit einem Griff. Dann hielt sie ihr die Flasche wieder hin. Reichte sie ihr. Drückte sie ihr in die Hand, und sie trank.

Sie trank und hörte erst auf damit, als sie schon sehr dringend wieder Luft holen musste. Sie setzte die Flasche ab. Schnappte nach Luft. Trank wieder und fühlte die Augen übergehen. Ihre Augen wurden nass. Die Feuchtigkeit quoll zwischen den Lidern hervor, und sie musste die Augen abwischen. Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und den Mund und lehnte sich auf das Ruhebett zurück. Es war alles gut. Sie hielt die Flasche hoch. Sie hatte sie leergetrunken. Cindy griff vom Bett daneben herüber und nahm die Flasche. Sie hielt die Flasche gegen das Licht und lachte leise. Das wäre ja schon ein Durst gewesen. Ob Amy noch Wasser trinken wolle. Und sie nickte. Und lachte. Und Cindy ging weg. Sie schaute hinaus. Der Raum spiegelte sich auf der Panoramascheibe. Sie konnte Cindy sehen. Cindy war ein heller Schatten, der aus der Poolhalle hinausging. Gregorys Spiegelbild schwamm auf der Scheibe hinter Cindy her.

In ihrem Bauch sammelte sich Unruhe. Die Unruhe war zum Platzen dicht, und sie musste sich aufsetzen. Sie schaute Cindy nach. Gregory schwamm von rechts nach links. Sie zwang sich, sich wieder zurückzulegen. Zurückzulehnen. Sie zwang sich zu Ruhe. Sie sagte sich das vor.»Ruhig. Sei ruhig. «flüsterte sie sich selbst zu. Das war anders als sonst. Das war total anders als sonst. Hatte sie etwas anderes getrunken. Dann. In der Zeit, von der sie nichts wusste. In der Zeit. Diese Zeit. Im Kopf nichts. Nichts von dieser Zeit. Diesem Zeitraum. Nicht einmal eine leere Stelle. Sie konnte sich an das Trinken erinnern. Im Auto. Der Vogel. Ein riesengroßer Vogel war da gewesen. Auf der Fahrt zum compound. Das weitgespannte Tal. Der Schnee. Das Sitzungszimmer. Grotowski. Cindy. Cindys Gesicht. Gregory hinter ihr. Sie konnte Gregory hinter sich stehen fühlen. Und dann nichts. Aber sie musste funktioniert haben. Alles war in ihrem Zimmer. Das Auto draußen auf dem Parkplatz. Sie hatte hinausgeschaut. Gleich am Anfang des überdachten Parkplatzes draußen. Gerade eingeparkt.

Paranoia. Ging das los. War das möglich. Half ihr da die Erbschaft ihrer Mutter. Half es, dass ihre Mutter ein Junkie gewesen war und genadelt hatte. Während der Schwangerschaft. Hatte ihre Mutter ihr einen Schatz an Paranoia zurückgelassen, bevor sie wieder nach Amsterdam davongefahren war und nachdem sie sie dem Staat überschrieben hatte. Ihre Urgroßmutter hatte es auch so gesagt.»Das Staatsmündel. «hatte die gesagt. Oder war das alles in der Familienkette aufgehoben. Hatte ihre Großmutter das über die Betsimammi so behauptet, weil ihre Großmutter ihre Mutter, die Urgroßmama, hasste und ihre Tochter nur so in Schutz nehmen konnte. Sie hatte nie mit der gesprochen. Die hatte in Los Angeles gelebt und war dann gestorben. Gleich nachdem sie auf die Welt gekommen war. Sie war dann ihrer Großmutter weggenommen worden. Von Amts wegen. Und das war auch richtig gewesen. Das Mammerl war schon für ihre Mutter nichts gewesen. Ihre Mutter schon keinen Vater gehabt. Das Mammerl wusste den Vater von ihrer Mutter. Der war ein ehemaliger Liebhaber ihrer Urgroßmutter gewesen. Schien es. Ihre Mutter. Die arme Betsimammi. Die konnte nicht sagen, wer das gewesen war. Männer im Alter von Gregory. Die konnten alle ihre Väter sein. Das würde das Interesse von Gregory erklären. Der war ja wiederum sicherlich ein Liebhaber ihrer Großtante. Oder so etwas. Und mit dieser Unruhe und dem Gefühl, dass sie etwas nicht wusste. Da kam dieser Schatz zum Vorschein. Die Verlassenschaft ihrer Mutter. Sie hatten nun schon lange nichts gehört von ihr. Die Tante Schottola wusste etwas, aber die sagte es ihr nicht, und der Onkel Schottola stellte sich ans Blumenfenster und schaute starr hinaus und sagte dann so über die Schulter, dass sie es nicht zu wissen brauche. Es wäre nichts Wichtiges. Aber es wäre auch nichts Schlimmes, und man solle nicht zu früh hoffen. Sie machte sich dann gleich Bilder von ihrer Mutter, die wieder schön und gesund wie Barbie als Königin von Oceana zur Tür hereinkam und ihr Kleider mitbrachte, damit sie in Wien in all die tollen Lokale gehen konnten und bewundert werden. Aber da war sie klein gewesen. Wie sie sich das gewünscht hatte. Die Belastungen. In jedem psychologischen Gutachten vom Jugendamt stand das ganz oben. Dass ihre Mutter drogensüchtig gewesen war. Während der Schwangerschaft. Sie musste sich nicht wundern. Sie musste Ruhe bewahren. Es schoss ihr durch den Kopf, dass sie dazu Ruhe einmal haben musste. Um sie zu bewahren. Und was sie innen hatte. Das wusste sie nicht. Sie wusste nicht, was das war. Diese Unruhe. Vielleicht war das ihre Ruhe. Sie hatte das ja oft. Vielleicht hatte sie es falsch verstanden, und das war Ruhe und das, was sie sich als Ruhe vorstellte. Das war die Unruhe.