Выбрать главу

Sie stellte sich dann in die Dusche. Der Boden da noch kälter, und sie begann zu zittern. Im Badezimmer war es richtig kalt. Der kleine Heizkörper unter der Dachluke auf null gestellt. Sie konnte es von der Dusche aus sehen. Sie hatte gestern aufgedreht. Melvin musste wieder abgedreht haben. Wahrscheinlich hatte Melvin den strengen Auftrag, keinerlei Energiekosten zu verursachen. Sie musste ja auch in der Küche ganz unten bleiben. Alle übrigen Räume waren ungeheizt.

Sie zog das Nachthemd weg. Es war nicht so viel Blut. Sie versuchte zu glauben, dass das alles normal war. Der Versuch gelang nur kurz. Die Regel. Eine Menstruation. Menses. The Days. The Cycle. The Period. Der Besuch. Die Regelblutung. Monatsblutung. Blutung. Das war längst fällig gewesen. Sie hatte nicht genau gewusst, wann. Sie hatte nur gewusst, dass es ausgeblieben war. Sie hatte sich aber keine Sorgen gemacht. Sie hatte keinen Sex gehabt. Seit dem surfcamp im Sommer nicht mehr. Es konnte nichts sein, und sie hatte es genossen. Keine Verhütung. Keine Anstrengung. Kein Gedanke an das alles. Sex, das hatten alle anderen, und sie hatte sich abgewendet. Aber während sie das Nachthemd auseinanderfaltete und das Höschen hinunterzog. Das hier. Das war etwas anderes. Sie wusste nicht, was. Aber normal war da nichts. Das ließ sich nicht glauben. Sie ließ den Slip auf den Boden der Dusche gleiten und hockte sich auf den Rand der Duschtasse.

Es sah aus wie ein Stück Leber. Es war glattes Gewebe. Dunkelbraunrot. Glänzend. Und etwas hing weg. Sie hob dieses Ding auf. Beim Angreifen. Wie Leber. Es war warm und rutschig. Sie schaute genau. Dann war das Zittern zu stark. Sie musste wieder aufstehen. Sie wollte das Ding in die Toilette werfen. Sie hatte ein Handtuch zwischen die Beine geklemmt und stand vor der Toilette. Starrte in die Toilette. Dann nahm sie die Seifenschale vom Rand der Waschmuschel. Sie kippte die Seife in die Toilette. In der linken hielt sie das Ding. Vorsichtig. Auf der Handfläche. Sie konnte sich im Spiegel sehen. Ihre Haare wirr um den Kopf und die Schultern. Das graue Nachthemd vorne verballt und fleckig. Sie. Die linke Hand verdreht. Sie hielt die linke Hand ihrem Spiegelbild hin. Aber sie wusste nichts. Ihr war elend. Aber anders. Anders elend als in den letzten Wochen. Sie ließ Wasser über die Seifenschale rinnen. Die Seifenschale oval mit einem Blumenkränzchen am Rand. Blitzblaue Blümchen. Sie schaute dem Wasser zu, wie es sich in der Seifenschale fing und drehte und dann über den Rand davonrann. Das Wasser wurde dann heiß. Der Dampf in der kalten Luft. Stieg auf und begann, den Spiegel zu beschlagen. Sie drehte ab. Trocknete die Seifenschale mit einem Handtuch ab. Legte das Ding hinein. Sie ging in ihr Zimmer zurück. Stellte die Seifenschale mit dem Ding auf das Fensterbrett. Es gab sonst nichts, etwas abzustellen. Bett. Sessel. Kasten. Nicht einmal ein Nachtkästchen. Sie musste telefonieren. Sie musste mit jemandem reden. Sprechen. Beraten. Fragen. Sie nahm die Daunendecke um den Leib und lief hinunter. An Selinas Apartment vorbei die Stiegen hinunter. Marinas Schlafzimmer im nächsten Stockwerk. Marinas Studio. Noch ein Stockwerk tiefer. Sie riss die Tür auf. Es war warm hier. Hier war die Heizung voll aufgedreht. Sie ging an den Schreibtisch zum Telefon. Sie setzte sich in den breiten Chefsessel da. Die Tuchent rund um sich. Wen sollte sie anrufen. Sie fühlte Blut warm und klebrig zwischen den Beinen. Angst überfiel sie. Sie bekam keine Luft. Konnte sich nicht bewegen. Sie hätte nicht schreien können. Die Angst hämmerte in ihrem Kopf und in der Brust. Schlug gegen die Brust innen. Tobte bis in die Fingerspitzen. Sie starb. Sie war sicher. Wusste. Klar und eindeutig. Sie starb jetzt.

Der Schreibtisch stand an den französischen Fenstern zu Wellington Square. Die grünen Samtvorhänge mit Goldkordeln zusammengerafft. Draußen. Grau. Die Häuser gegenüber. Weiß. Alle gleich. Die Geländer an den Stufen zu den Türen. Goldglänzend. Die Türen. Schwarz und weiß. Die Säulen neben den Aufgängen. Weiß kanneliert. Und sie starb jetzt. Starb. Jetzt gerade. In diesem Augenblick. Und alles war still. Niemand da. Nicht einmal auf der Straße ein Mensch.

Sie zog das Telefon zu sich. Die Daunendecke rutschte davon. Sie zerrte sie wieder hinauf. Sammelte die Wärme um sich. Das Mammerl war nicht da. Oder hob nicht ab. Weil sie an der ID-Kennung gesehen hatte, dass Marina anrief, und sie nicht mit ihr reden wollte. Es kam aber auch kein Anrufbeantworter. Nichts. Nur der Anrufton aus Österreich. Ein schriller Ton. Ausklingend und dann Pause. Sie legte auf und wählte wieder. Der Onkel Schottola war sofort am Telefon, und sie solle sich beruhigen. Sie solle ruhig atmen. Er könne sie nicht verstehen, wenn sie so hastig redete. Wolle sie nicht erst weinen und ihn dann wieder anrufen. Oder wolle sie am Telefon weinen. Das sei doch sicherlich sehr teuer für sie, und dann konnte sie wenigstens sagen, dass sie vom Apparat der Aunt Marina anriefe und dass es sie nichts kosten würde.»Na dann. «sagte er, und sie solle sich Zeit lassen. Solange sie telefonieren könne, würde sie nicht sterben. Sie konnte Luft holen. Sie war gleich böse auf den Onkel Schottola. Es ginge ihr schlecht. Wirklich schlecht. Und nein. Sie wisse auch nicht, was los sei. Das sei jetzt schon länger so. Und nein. Sie tränke keinen Alkohol. Nein. Schon länger nicht. Ganz sicher. Aber sie verstand die Panik schon nicht mehr so gut, während sie mit ihrem Pflegevater sprach. Sie beklagte sich über London und dass sie eingesperrt wäre. Dass sie hier das Wochenende verbringen müsste. Dass das Schlafzimmer nicht geheizt wäre. Dass sie ein schlechtes Gewissen hätte. Weil sie Gino in Cham allein gelassen hätte und nicht da wäre, seine Mutter zu trösten. Dass Melvin kontrolliere, was sie im Haus von der Marina täte. Dass sie nur wegen dieser blöden Restitutionsangelegenheit nach London gekommen wäre, und was solle sie nun tun.

Der Onkel Schottola sagte, sie solle doch im Schlafzimmer von der Marina schlafen. Wenn die nicht da sei. Niemand müsse in einem kalten Zimmer übernachten. Das könne ihr dieser Melvin auch nicht verbieten. Sie solle sich etwas zum Essen besorgen und eine Flasche Wein und dann fernsehen. Natürlich wäre lesen noch besser, aber er wüsste ja, wie wenig sie das interessierte. Und ihn hätte dieses Victoria and Albert Museum sehr interessiert. Das wäre doch etwas für so einen Samstag allein. Ein Museum. Da könne man in Ruhe allein sein, und jeder fände es richtig. Er habe Leute in Museen allein immer beneidet, wenn er mit der Trude da gewesen wäre. Das habe nichts mit Trude zu tun. Es sei ihm immer cooler erschienen, da allein herumzugehen.

Sie saß in die Daunendecke gewickelt. Es blutete nicht weiter. Nicht sehr. Sie redete mit dem alten Mann. Er sei ja auch allein. Er ginge ins Spital und nähme einen kleinen Kuchen dahin mit. Die Trude habe ja Geburtstag. Aber keine Kerzen. Das sei verboten. Er habe einen kleinen, trockenen Kuchen besorgt. Das müsse reichen. Das mit den Geburtstagen. Auch ihr eigener. Das wäre ja alles die Angelegenheit der Trude gewesen. Da habe er keine gute Hand. Sie hatte den Geburtstag von der Tante Schottola vergessen gehabt. Sie wünschte alles Gute. Sie tat so, als wäre der Geburtstag von der Tante Schottola der eigentliche Grund des Anrufs. Sie käme, sobald es ginge. Irgendwann würde ja auch England mit dem Schnee fertig werden und wieder Flugzeuge starten lassen. Sie wollte nicht auflegen. Sie fragte ihn, was er denn als Abendessen haben werde. Was würde er denn essen, wenn er allein wäre. Ja, so wie es gewesen wäre, als sie noch im Haus gewesen war. So würde es nun nicht wieder sein. Wenn sie alle zu faul gewesen waren, etwas zu kochen, und zum Heurigen gegangen waren und sich mit Schweinsbraten vollgestopft hatten. Das könne er doch immer noch machen.»Kind. «sagte er.»Kind. «Sie hasste diese Sandra. Die Sandra hatte diese Personen verletzt. Die Sandra hatte diesen beiden Menschen nachgewiesen, dass sie alt waren und als Pflegeeltern nichts mehr taugten.»Kinderl. «sagte der Onkel Schottola. Es sei nun wirklich an der Zeit, dass sie Hermann und Trude zu ihnen beiden sagte. Dass sie nicht mehr Onkel und Tante Schottola sagen müsse. Sie sei jetzt eine Erwachsene. Er und seine Trude. Sie solle doch wirklich nicht mehr als das kleine Kind auftreten, das sie gewesen war, als sie zu ihnen gekommen sei.»Weißt du. Angesichts der Ereignisse der letzten Zeit. «sagte er. Er musste eine lange Pause machen. Er und die Trude hätten erst jetzt begriffen, was das für eine Leistung gewesen war, die sie da vollbracht habe. Vollbracht. Er sagte, vollbracht.