Es war heiß in der Halle. Sie knöpfte den Mantel auf und schob den hohen Kragen vom Hals weg. Cindy kam vom Kaffeeautomaten zurück und flüsterte:»Warum haust du nicht ab. Solche wie dich. Die brauchen wir hier nicht. «Und sie sagte zum Rücken von Cindy:»I don’t speak german. «und Cindy zuckte mit den Schultern. Selbstverständlich wusste Cindy, dass sie Deutsch sprach. Sie hätte das von Anfang an offen angeben sollen. Aber sie hatte gedacht. Am Anfang hatte sie gedacht, dass das alles ein Spaß wäre. Ein Spaß werden würde. Sie war auf das Ganze eingegangen, damit die Tante Marina in London nicht wieder sagen konnte, dass sie nie das mache, was ihr vorgeschlagen würde. Und dass sie eine Ausbildung bräuchte und dass das eine Chance für sie sei. Der Anruf war an einem Morgen gekommen, und am Abend war Gregory schon in Wien gewesen, und 2 Tage später war sie mit dem Kia losgefahren. Gregory hatte ihr in den schönsten Farben eine Karriere ohne viel Arbeit versprochen und die Adresse des Hotels gegeben. Das alles hier war das Ergebnis eines charity cocktails im» Savoy «in London für shareholder eines investment fonds, bei dem die Tante Marina mit Gregory ins Reden gekommen war, und jetzt musste sie so tun, als spräche sie nicht Deutsch, weil sie das auf den Formularen nicht angekreuzt hatte. Weil sie die Formulare sowieso nur irgendwie ausgefüllt hatte. Sie hatte einfach schräg von links oben nach rechts unten die Kästchen angekreuzt und gar nichts durchgelesen. Sie war jetzt eine Person, die von sich nichts wusste. Immer wieder wurde ihr gesagt, dass sie auf den Formularen aber andere Angaben gemacht habe. Heinz und Anton sagten das herausfordernd fragend. Cindy sagte das verächtlich verdächtigend. Gregory zog die Augenbrauen hoch. Boris und Kunz redeten gar nicht mit ihr. Gertrud schaute durch sie hindurch und grüßte sie nie. Von den anderen wusste sie die Namen noch nicht. Aber die waren irgendwie Personal, und ihr war nicht klar, was die machten. Da waren immer andere bei den Gruppensitzungen. Mentale Trainingseinheiten wurde das genannt, und sie sollte einmal einen Monat lang mitlaufen. Dann würde man beurteilen können, ob sie in die Ausbildung kommen sollte, hatte Anton gesagt. Gregory hatte sie vom Hotel abgeholt und als Überraschung mitgebracht, und seither fuhr sie hierher und wusste gleich beim Hereinkommen nicht, warum sie da war, und wünschte sich wieder weg. Seit 7 Wochen passierte ihr das so.
Cindy war in den Sitzungssaal vorausgegangen. Gregory hatte sich auf die Ledercouch gesetzt und sah ihr zu.»Dreaming?«, fragte er sie. Sie sah Gertrud an. Gertrud schaute weg. Sie seufzte. Sollte sie gleich dieses Gespräch mit Gregory führen. Gleich hier in der Empfangshalle und vor Gertrud. Vielleicht war es gut, wenn jemand mithörte, wie sie ihren Abschied nahm. Das alles war nicht mehr lustig. Sie hatte falsch begonnen. Es war vertan. Sie hatte es wieder gemacht. Wieder etwas zu leicht genommen. Das alles lief auf die übliche Enttäuschung hinaus. Die Marina hatte sie nur wieder loswerden wollen. Und sie konnte auch gleich nach Wien zurückfahren. Das Geld für das Benzin. Das würde sie aus Gregory herausholen. Was wollte der überhaupt mit ihr. Für den spielte sie eine Rolle, aber sie wusste nicht, welche. Der hatte den Heinz und den Anton erschreckt, und sie war der Schrecken. Aber was für einer. Sie war ja bereit, sehr viel mitzumachen. Aber ohne die geringste Information. Das war alles zu mühsam, und es war auch mühsam, dass er nichts mit ihr begonnen hatte. Da hätte sie gewusst, wie das ging und was sie wollte.
Sie zog den Mantel aus. Sie stand in der Mitte der Halle. Draußen der Parkplatz vor der Glasfassade des Empfangs hell sonnenbeschienen. Sie legte den Mantel über den Arm und ging auf die Sitzecke zu.»Gregory. «sagte sie.»Gregory. We must talk. «und Gregory begann zu lachen. Sie saß mit dem Mantel vor sich Gregory gegenüber. Sie hielt den Mantel vor sich und ballte ihn hoch, damit das Schaffell dick vor ihrem Bauch und sie den Mantel gegen den Bauch drücken konnte. In den Bauch. Gregorys Lachen. Es machte sie empört und beleidigt, und sie hatte Angst.»Darling!«, lachte Gregory. Sie wäre zu süß. Too sweet. Er hätte nicht gedacht, noch einmal Naivität in dieser Form zu sehen zu bekommen. Seine Amy. Er begann wieder zu lachen. Sie war plötzlich müde. Sie lehnte sich zurück. Legte den Kopf auf die Rückenlehne. Spürte das kühle harte Leder gegen das Genick. Das war alles lächerlich. Sie musste gar nichts machen. Die Marina sollte ihr ganz einfach regelmäßige Vorschüsse auf die Erbschaft auszahlen. Dann ging sich alles aus. Sie musste nicht auf die Stimme der Vernunft hören. Dass sie einen Beruf bräuchte. Wie alle anderen auch. Soviel sie sehen konnte, konnte niemand von den anderen auch mit den Berufen viel anfangen. Alle schlugen sich durch. Alle lebten irgendwie. Eine ihrer letzten Beschäftigungen war bei einer Agentur gewesen, und sie hatte im engen T-Shirt mit dem Logo der Agentur die Ehrengäste bei einem Symposium begrüßt und den Namen der Person in einer Exceldatei abgehakt. Dafür hatte ihr abgebrochenes BWL-Studium gereicht. Warum ihr Busen sich deutlich abzeichnen musste, hatte sie bei der Besprechung gefragt, warum sie nicht eine Jacke anziehen könnte. Das würde doch die Seriosität des Ganzen heben, und sie würde auch eine eigene anziehen, damit es nichts kosten sollte. Dieser Joe hatte sie freundlich nachdenklich angesehen und sie gefragt, ob sie noch nie etwas von Gegensätzen gehört hätte. Für die Seriosität wären er und der Geschäftsführer zuständig. Was das Gegenteil von Seriosität für ihn wäre, hatte sie gefragt. Aber sie hatte nur mehr so einen Blick als Antwort bekommen. Und Gregory lachte noch immer. Er konnte sich gar nicht fangen. Das war schon alles so, dachte sie. Es war ganz einfach alles nur so, und sie musste seufzen.