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Der Onkel fuhr die steile Rampe zur Straße hinauf. Man musste nach rechts einbiegen. Wo sie da herauskämen, fragte er. Sie zuckte mit den Achseln. Sie wusste es nicht. Er beugte sich weit vor und schaute sich um. Dann bog er in die Straße nach rechts. Er habe telefoniert, sagte er dann. Und er habe sich als ihr Vater ausgegeben. Es tue ihm leid, aber diese Lüge sei notwendig gewesen. Er hätte sonst keine Auskunft bekommen. Sie nickte. Das sei schon in Ordnung. Das wäre schon richtig. Sie wäre ja froh. Der Onkel schaute gerade vor sich hin. Lenkte. Bog in den Gürtel ein. Er habe nicht gelogen, sagte sie dann, und er nickte.

Sie fuhren. Währinger Gürtel. Döblinger Gürtel. Brigittenauer Lände. A22. In Richtung Krems. Die Sonne schien. Ein blauer Himmel mit Wölkchen. Die Donau nach rechts. Blau. Nach links hinauf. Dunkelgrau. Der Leopoldsberg. Die Kirche oben thronend. Auf der Nordbrücke. Es war, als würde sie wegfahren. In den Urlaub fahren. In die Ferien. Dann fiel ihr der Abholschein ein. Gleich hier in dem Gewirr von Gewerbebetrieben und Lagerhallen rechts von der Autobahn das Labor.»Unbekannte Substanzen«, fiel ihr ein. Die Prüfung hatte sie schon gemacht. Multiple choice war das gewesen, und sie hatte kaum etwas gelernt. In der Rezeption. Gregory hatte sie in die Rezeption gesetzt, und Gertrud sollte ein Auge auf sie haben. Gertrud hatte nur auf ihr Telefon vor sich gestarrt und sie keines Blickes gewürdigt. Aber die Prüfung war total leicht gewesen. Man musste fast alles trocknen lassen. Unbekannte Substanzen: Flüssigkeiten in einer verschlossenen dunklen Flasche lagern bzw. im Originalgebinde. Feststoffe (Pulver, Pasten) in einer verschlossenen Pulverdose bzw. im Originalgebinde aufbewahren. Speichel, Schweiß, Nasensekret, Sperma, Blut: Mit einem sterilen Tupfer (Wattestäbchen) die Substanz aufnehmen. Die Substanz trocknen lassen und den Tupfer danach in eine Papier- oder Plastiktüte geben. Bei Spuren auf einem größeren Spurenträger (Polster, Leintuch) den betreffenden Teil ausschneiden, ihn gegebenenfalls trocknen lassen und ihn anschließend in einer Papier- oder Plastiktüte lagern. Alles trocknen lassen. Sie fühlte einen Schwall Blut durch ihre Scheide fließen. Ein Ziehen im Bauch. Dann wieder nichts. Die Feuchtigkeit zwischen den Beinen. Die Wattebinden zogen die Feuchtigkeit nicht in sich hinein. Die Feuchtigkeit zwischen den Beinen. Das war o.k. Das war nicht angenehm. Aber es war auch irgendwie gut. Es fühlte sich sauber an. Es wäre jetzt alles draußen, hatte die Ärztin im Aufwachraum gesagt.

Der Onkel fuhr. Der Range Rover surrte dahin. Wie immer fuhr der Onkel Schottola genau so schnell, wie es erlaubt war. Er überholte und ordnete sich ein. Die Donau links. Dann die Auwälder. Die hohen Schallschutzwände. Die Burg Kreuzenstein. Ob man diese Zwillinge gefunden habe, fragte sie. Diese Zwillinge in Italien. Diese 6-jährigen kleinen Mädchen. Der Onkel schüttelte den Kopf.»Es hätte ja sein können. «sagte sie. Während sie auf dem Operationstisch festgeschnallt gewesen war. Während man in ihrem Uterus gewühlt hatte. Gekratzt. Geschabt. Während sie in Lalaland geweilt und von nichts und von sich nichts gewusst hatte. Die beiden kleinen Mädchen hätten hinter einer Hecke hervorkommen können und nach ihrer Mama rufen.»Wie heißen die. «fragte sie.»Livia und Alessia. «sagte der Onkel.»Livia und Alessia. «wiederholte er. Er schaute nach vorne. Er griff unter die Sonnenblende und holte eine Sonnenbrille hervor. Klappte sie auseinander und setzte sie auf.»Livia und Alessia. «murmelte er noch einmal. Er seufzte. Sie schaute zu ihm hinüber.»Warum habt ihr mich eigentlich nicht adoptiert. «sagte sie. Er schaute weiter geradeaus auf die Autobahn.»Du hast eine Familie. «sagte er.»Hättest du dir das gewünscht?«Sie schüttelte den Kopf.»Manchmal schon.«»Ja. «sagte er.»Wenn das Selbstmitleid besonders groß war, dann wahrscheinlich. «Nach langem.»Weißt du. «sagte er.»Ich habe mir immer gedacht. Wir. Wir haben immer gedacht, dass es wertvoller ist, wenn es eine freie Entscheidung bleibt. Auch für dich. Ich hätte auch nicht gewusst, wie das dann mit der Religion sein sollte. Ein Kind. Ein eigenes Kind. Ich wäre verpflichtet gewesen, eine religiöse Erziehung. Zu. Erzwingen. Verstehst du. Es ist eigentlich die Achtung vor dir und was vorher schon war, dass du unser Pflegekind geblieben bist. Glaubst du, wir wären näher. Sonst. Ich kann mir das nicht vorstellen. Und übrigens. Die Sandra haben wir auch nicht. Nicht adoptiert. Ich hätte halt gehofft, dass wir dir genügend Vertrauen. Selbstvertrauen. Aber das läuft nicht immer so. So einfach. Es hat sich viel verändert. Du wirst sehen. Aber wir sind alle die Alten geblieben. Die Trude kommt in ein paar Tagen zurück, und sie freut sich auch, wenn du da bist. Du erholst dich, und dann erzählst du uns alles. Wenn du magst. «Er schaute sie kurz an.»Ich bin froh, wenn die Trude dich zum Reden hat. Du kennst mich ja.«»Werdet ihr jetzt ausziehen. Weil du sagst, es hat sich viel verändert.«

«Nein. Es wäre doch sinnlos. Jetzt. Jetzt sind wir ja schon krank. Aber vielleicht. Wir überlegen, ob wir den oberen Stock vermieten sollen. Wenn sich ein Käufer für das ganze Haus findet. Die Trude will noch immer nach Wien. Fast 50 Jahre war sie jetzt da. In der Uhlandgasse und will immer noch weg.«

«Hast du gewusst, dass die Betsimammi in Hietzing wohnt?«

Der Onkel Schottola verzog den Mund. Er habe vermutet, dass ihre Mutter wieder in Wien lebte. Aber er hätte es nicht genau gewusst. Seit sie, Amalie, 18 Jahre alt geworden wäre, war für das Jugendamt alles vorbei gewesen, und es habe keine Informationen mehr gegeben. Er habe aber seine Vermutungen gehabt, weil die Marina nicht mehr nach Amalies Mutter gefragt habe. Von einem Tag auf den anderen habe es keine Anfragen von Marina mehr gegeben, und das Mammerl habe dann auch einmal eine Bemerkung gemacht. Woher sie das denn wisse.

Sie lehnte sich zurück. Es wäre ein Zufall gewesen. Es ginge um diese Geschichte. Wie immer. Es ginge ja immer um diese Geschichte von der Erbengemeinschaft. Der Onkel wandte sich ihr zu. Sie solle das ernst nehmen. Das Geld aus dieser Sache. Das würde ihr eine Grundlage geben. Das wäre gut für sie. Sie könne dann noch einmal überlegen, was sie aus ihrem Leben machen wolle. Dann müsse sie nicht so eine windige Ausbildung machen wie die da. Die sie jetzt mache.

Sie habe gedacht, er wäre gegen diese Ausbildung bei Allsecura, weil die Marina das eingefädelt hätte. Er schüttelte den Kopf. Das sei nichts. Diese Ausbildung da. So eine Arbeit. Sie könne nicht lernen, wie Gewalt angewendet würde. Das könne man nicht. Und es koste ja auch sehr viel. Sie kenne seine Einstellung. Er lehne das alles ab. Er versuche ja, sie zu verstehen. Aber es fiele ihm sehr schwer, sich das vorzustellen. Was sie da mache. Was sie da machen müsse. Deshalb hoffe er ja, dass die Sache mit der Restitution dieses Bildes. Dass die bald erledigt sei und sie ihren Anteil bekäme und damit neue Perspektiven.»Du glaubst doch nicht, die Marina rückt das Geld heraus. «Sie musste lachen. Er kenne die Marina doch. Die würde das Geld einstecken. Das Mammerl habe sie schon in der Tasche. Die hatte schon gesagt, dass die Marina ihren Anteil verwalten würde, weil sie doch nicht mit Geld umgehen könnte. Und er wisse doch, wie die Marina das Mammerl. Und die wäre ihre Halbschwester. Immerhin. Wie sie die immer übers Ohr gehauen habe. Mit diesem Argument. Aber manche Dinge blieben eben gleich. Unverändert. Unveränderbar. Die Marina würde die Kosten für die Ausbildung abziehen. Das war sicher.