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Sie musste lachen. Das war Stockerau. Jeder wusste alles. Sie nicht. Aber sie hatte das nie gelernt. Sie hatte es nie begriffen, wie das ging. Der Dominik Ebner wusste schon wieder, dass sie beim Onkel Schottola wohnte. Sie schaute ihm in die Augen. Sie zog ihre Hand nicht weg. Was wusste er sonst. Es wäre alles ganz anders, sagte sie. Sie sei zu den Schottolas geflüchtet. Sie fiele denen nach wie vor zur Last.

Dominik zog seine Hand zurück. Er setzte sich auf und verschränkte die Arme. Er schaute sie an. Prüfend. Dann beugte er sich ihr zu. Mit den Schottolas habe sie einen harten deal gehabt. Die Schottolas wären ja Angehörige einer Minderheit in der Minderheit gewesen. So etwas wirke sich aus. Die einzigen Evangelischen H.B. unter den 500 Evangelischen A.B. gegen die 10 000 Katholiken in so einer kleinen Stadt. Das wäre die Härte pur. Er sagte das nachdenklich. Sie schaute in ihren Kaffee. Was wusste so ein verwöhnter Fratz wie der Dominik schon. Die Schottolas. Das waren ihre Eltern. Das waren die Personen in ihrem Leben, die am ehesten Eltern gewesen waren. Sie konnte hierher zurückkommen. Immer und jederzeit. Wenn man wie sie immer schon entscheiden hatte müssen, was gut für eine war. Sie schaute weiter in ihren Kaffee. Dann. Die Schottolas wären das Beste für sie gewesen, was sie gefunden habe. Dominik beugte sich über den Tisch herüber. Genau das hätte er gemeint. Er wolle nichts gegen diese Leute sagen. Er könne von Glaubenszugehörigkeiten absehen. Er habe nur sagen wollen, dass in so einer Kommune das immer noch die Grundlage der Beurteilung abgäbe.»Du willst sagen, dass sie. «Sie schaute auf. Er sah zum Fenster hinaus. Ja. Man könne sagen, dass sie anders bemessen würden. Er habe das also nicht negativ gemeint, dass der Hermann Schottola seinen Betrieb gerade rechtzeitig verkauft hätte. Er wäre nicht neidisch, deswegen. Aber sie könne sich ja vorstellen, wie das so liefe. Wie da geredet würde. Eingeschätzt. Beurteilt. Ja, das könne sie. Und das wäre dann auch der Grund, nicht lange hierzubleiben. Hierbleiben zu wollen.

«Nein. «rief er laut. Wieder hielten alle inne und schauten zu ihrem Tisch hin. Eine Gruppe Frauen war hereingekommen und setzte sich gerade nieder. Weiter unten im Lokal. Sein lautes» Nein«. Alle hatten sich ihnen zugewandt. Zwei Frauen nickten Dominik zu. Er winkte den Frauen zurück. Lächelte strahlend. Währenddessen sagte er zu ihr, dass das Professorinnen vom Realgymnasium seien, die im Tennisclub wichtig wären.»Leider beide eine banale Rückhand. «flüsterte er ihr über den Tisch zu. Vertraulich. Vom Tisch dieser Frauen aus musste es aussehen, als wäre er sehr vertraut mit ihr. Sie richtete sich auf. Das war es, was sie hier so müde machte. Jeder Augenblick. Jede Geste. Alles war bedeutsam. Allen anderen war alles bedeutsam. Und ihr. Ihr war alles gleichgültig. Vollkommen gleichgültig. Es war ihr mit einem Mal alles so gleichgültig. Alle diese Schuljahre hier. Sie hätte gestehen mögen. Sie hätte aufstehen mögen und alles gestehen. Sie hätte Lust gehabt, so ein Geständnis in den Raum zu schleudern. Sie war ja eine Schlampe. Es hatte sich nichts verändert. Dominik Ebner. Die Professorinnen. Die Kellnerin. Die lebten geordnete Leben. Übersichtliche Leben. Sie war die Schmutzige. Immer war sie die Schmutzige gewesen. Mit einem ungenauen Leben. Auch hier. Die Schottolas hatten ihr helfen wollen. Aber ihr war nicht zu helfen gewesen. Immer war etwas aufgetaucht. Aus der Vergangenheit ihrer Familie. Sie hätte sagen müssen, dass sie eine Schlampe war. Ein Versager. Eine Versagerin. Der Dominik Ebner. Für den war sie. Sie schaute ihn an. Was konnte sie für so jemanden sein. Jemanden, der so gut aufgehoben war. So sicher. So versorgt. Eine interessante Abwechslung war sie für so jemanden. Eine interessante Abwechslung. Sie war eine Fremde hier. Exotisch. Bitterkeit stieg in der Kehle auf. Sie musste schlucken, die Bitterkeit zu unterdrücken.»Sollten die nicht unterrichten. «fragte sie und schaute zu den Frauen. Den Gang hinunter.»Geh noch nicht. «sagte er ruhig. Es klang flehentlich.

Sie schaute auf den Tisch. Auf das Tischtuch. Er hinaus. Er hatte die Pfarrkirche im Blick, und er schaute auf den Turm hinauf. Ob sie Zeit hätte. Er habe nichts mehr zu tun. Ja. Ja. Er könne immer ins Büro und etwas machen. Aber für heute war kein Termin mehr vorgesehen.»An Tagen mit Gerichtsterminen ist das so. «Weil man nie wissen könne, wie lange so eine Gerichtsverhandlung dauern würde.»Oder wie kurz. «sagte sie. Er schaute auf den Kirchturm hinauf und nickte.»Und wie kurz. «wiederholte er. Sie schaute ihm ins Gesicht, wie er, den Kopf zurückgelegt, zur Kirchturmspitze hinaufstarrte. Sie musste aufstehen. Sie rutschte an den Rand der Bank und hatte die Beine unter dem Tisch hervorgezogen. Sie schaute sich um, wo ihr Mantel sein könnte. Sie musste weg. Sie musste hier weg. Wenn sie noch einen Augenblick an diesem Tisch sitzen blieb. Es würde. Nein. Es war nicht so einfach. Aber dann doch. Irgendwie war es klar, wie das weitergehen würde. Wie das weiterging. Wenn man so im Kaffeehaus saß und nicht flüchtete. Man ging dann mit. Schon mit dem Dasitzen war man mitgegangen. Die Panik aus dieser Vorstellung. Die Panik darüber raste ihr in den Ohren. Rauschend. Sie konnte ihn gar nicht mehr richtig hören. Sie konnte es sehen. Wie sie hinter ihm herfuhr. Wie sie in sein kleines Apartment gehen würden. In einem dieser Neubaublocks. Hier. In der Umgebung. Anlagewohnungen. Noch zu besseren Zeiten geplant. Jetzt billig zu haben. Da deckte man sich in so einer Familie wie den Anwaltsebners ein. Vielleicht waren sie auch die Investoren, und ihr Neid auf den Onkel Schottola kam davon. Dass ihre Immobilien nichts mehr wert waren. Nicht mehr so viel. Und in der Wohnung. Sie konnte es vor sich sehen. Wie das aussah. Wie er sich nähern würde. Und es war nicht alles gelogen. Er war auch freundlich. Aber es war langweilig. Es war vor allem langweilig. Diese Langeweile versammelte sich in ihrem Bauch. Es begann auch wieder dieser ziehende Schmerz da. Dieser Schmerz, bei dem sie sich im Bett zusammenrollen musste und wimmern. Sie wusste jetzt, was wimmern war. Warum es wimmern hieß.»Ich finde es toll, dass du dich nicht mehr schminkst. «sagte er. Sie stieß sich von der Bank ab. Sie müsse jetzt weiter. Das Auto. Sie müsse das Auto zurückbringen. Die Tante Trude. Sie käme zurück. Aus dem Spital.»Ach ja. «sagte er. Er habe davon gehört. Sie stand vor dem Tisch. Er schaute von unten zu ihr auf. Er würde sie gerne wiedersehen. Ob das nicht ginge. Er sagte das besorgt. Mit Sorge für sie. Dann sprang er auf. Holte ihren Mantel. Er legte 30 Euro auf den Tisch. Zog den eigenen Mantel an. Sie gingen hinaus. Sie konnte im Augenwinkel sehen, wie die Professorinnen ihr Gespräch über die Englischexkursion unterbrochen hatten und ihnen zusahen. Dominik legte seine Hand auf ihren Rücken und führte sie so. Er schob sie zur Tür hinaus. Er ging schräg hinter ihr, damit die automatischen Türen offen blieben. Für sie. Er trug das Päckchen mit den Mandeltüten.

«Herr Doktor. Herr Doktor. «Die Kellnerin kam auf den Platz nachgelaufen. Er bekäme noch 9 Euro Wechselgeld. Sie hielt ihm das Geld auf der flachen Hand hin. Die Münzen glänzend in ihrer Handfläche. Er nahm die Hand der Frau und schloss ihr die Finger über den Münzen. Das solle sie so lassen. Die Frau begann zu protestieren. Er schüttelte den Kopf, und die Frau wandte sich ab. Sie ging in die Bäckerei zurück. Sie konnte die Türe hören. Aufgleiten. Zugleiten. Die Frau hatte die Schultern hängen lassen. Sie schaute ihr nach. Warum freute diese Frau sich nicht über das Trinkgeld. Über dieses hohe Trinkgeld. Hatte sie es nicht verdient. Hatte sie das Gefühl, es nicht zu verdienen. Die Frau war weggegangen wie besiegt.

Sie gingen zur Kreuzung. Das da. Der Range Rover. Ach ja. Der Schottola habe immer so ein großes Geländefahrzeug gefahren. Obwohl er kein Jäger gewesen war.»Nein. «sagte sie. Sie fühlte ihre Lippen steif werden. Der Onkel Schottola wäre nie auf die Jagd gegangen. Dem Onkel Schottola. Dem wäre Leben eben heilig. Er selber. Er wäre ja auch kein Jäger, sagte Dominik. Er verstünde das sehr gut.