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Sie klickte auf» Alles markieren «und löschte alles. Sie ließ den laptop offen. Balancierte ihn offen auf das Badetuch. Legte sich hin. Sie lag seitlich und starrte auf den Bildschirm. Die Sonne war über dem Meer. Tief. Es gab keinen swell. Es war ihr recht. Das war falsch. Sie sollte sich hinauswünschen. Paddeln. Auf dem Brett liegend mit dem Meer verschmelzen. Love the surf and it will love you. Und das tat sie. Sie musste lächeln. Einen Augenblick. Eine Welle von Wohlgefühl. Es war alles so perfekt. Die Sonne. Für morgen war ein guter swell vorausgesagt. Stürme weit, weit draußen. Hier eine Brise und die Sonne. Sommeranfang. Der Sommer frisch. Alle sonnenhungrig und enthusiastisch. Es begann gerade. Die ernsthaften Surfer alle schon längst weitergezogen. In den winterswell auf der südlichen Halbkugel. Hier waren nur mehr die, die es schön haben wollten, und man konnte sich ohne Angst vor den Angriffen der Surfphilosophen tummeln. Ohne Angst vor den Rowdys. Den Promis. Den Pros. Draußen. Paddeln. Man wurde nicht angeschrien, wenn man eine Welle nicht sofort erkannte. Oder Platz machte. Platz machen. Die Unruhe sprang aus dem Satz. Platz machen. Sie musste sich aufsetzen. Sie dehnte den Rücken. Zog die Schulterblätter nach hinten zusammen.

«You going in. «Mort ging vorbei. Er hielt sein nosediver longboard der Länge nach. Blieb kurz stehen. Rammte das board in den Sand. Schaute auf sie hinunter.»Amy. You going slack. «Ob das eine Frage wäre oder eine Feststellung. Sie holte den laptop wieder zu sich.»Ein statement. «brummte der Mann und ging auf das Wasser zu. Die Brandung war stärker geworden. Ein dünner weißer Schaumrand rollte den Sand herauf. Es war kühler.

«Liebe Tante Trude. «schrieb sie.»Hier ist es sehr schön, und du solltest hier sein. Du solltest mit dem Onkel hierherkommen. Es würde genügen, einmal am Tag an den Strand zu gehen und am Abend zurückzuwandern. Es ist noch nicht richtig Saison und viel Platz. Wir könnten einen Sonnenschirm mieten. Oder besser zwei und einen für den Onkel. Du müsstest nichts machen, als das Meer anstarren. Ich glaube, dass das gesund macht. Das Meer anschauen. Ich bin glücklich hier. Ich bin sehr froh, dass ich hierhergefahren bin. Du musst dir aber keine Sorgen machen. Ich habe nicht gekündigt oder so. Diese Firma hatte selbst Probleme. Die sind von einer anderen Firma gekauft worden oder haben fusioniert. Deshalb muss aber alles neu organisiert werden, und die Ausbildung soll endlich professionalisiert werden. Bis jetzt habe ich aber doch erst 200 von den notwendigen 2 100 Unterrichtsstunden. Ja, du hast schon recht, es ist fast nur Sport. Aber es macht nicht so viel Spaß, wie ich gedacht habe, und es ist deshalb mehr eine Leistung. Ich mag diese Kampfsportsachen immer, solange es keinen Körperkontakt gibt oder mich niemand berührt. Wenn jemand mich angreift, dann erstarre ich und beginne zu weinen. Ich habe das kaschieren können. Ich muss dann eine Pause machen und mich niederboxen lassen oder auf den Boden werfen, und dann kann ich erst wieder beginnen. Eigentlich kümmern sich dann alle mehr um mich, als wenn ich es gut machen würde, aber mich stört das sehr. Es tut mir deshalb so gut, hier zu sein. Ich wollte, ich könnte das überall. Hinauspaddeln und im richtigen Augenblick auf das Brett hinauf und es nehmen, wie es kommt. Ich habe viel verlernt, weil ich in diesem Winter nicht zum Surfen gekommen bin, und krache bei fast jedem ride ein. Aber das macht mir nichts. Hier schlafe ich jede Nacht durch und habe keine Schweißausbrüche und muss aufstehen und herumgehen. In diesem Kaff im Bayrischen Wald saß ich dann schon jede Nacht auf dem Dach draußen, weil ich es im Zimmer nicht aushalten konnte. Seit die Firma das Hotel gekauft hat, kann ich nicht mehr in der Nacht in die Küche gehen und Kurtchen besuchen, der sowieso nie schläft und in der Nacht immer kocht. Erstens darf er nicht mehr in der Nacht in die Küche, und niemand kann mehr so einfach überallhin. Also klettere ich beim Dachfenster hinaus und sitze auf den Dachziegeln und schaue den Mond an. (Ich jaule ihn aber nicht an.) Du solltest wirklich hierherkommen. Dann würdest du sehen, was das für ein relaxtes Leben ist. Ich überlege natürlich schon, ob ich nicht einen Job hier versuchen sollte. Die suchen hier jemanden für die Saison. Im surfshop da. Da könnte ich umsonst wohnen, und ich kann ja am Morgen surfen. Dann habe ich schon alles, wenn die anderen erst am Strand auftauchen. Ich weiß schon. Ich möchte das alles ja auch fertig machen, und es sieht ja jetzt gut aus. Die theoretischen Fächer soll ich in einer richtigen Sicherheitsakademie in Deutschland machen. Oder vielleicht in England. Die schnapsen das jetzt aus. Die deutsche Ausbildung ist angeblich die beste. Das sagt der frühere branchmanager Heinz. Ich habe dir von ihm erzählt. Aber der meint noch die Ausbildung in der DDR. Die kommen ja alle von da und halten deshalb so zusammen. Diese Cindy ist aber mittlerweile richtig nett zu mir. Ich bin in den Kommunikationsübungen nicht so gut und nehme mir alles noch immer viel zu sehr zu Herzen.«

Sie löschte den Text und zog das sweatshirt an. Die aufgeraute Innenseite schmeichelnd über den Schultern. Sie konnte nicht so lügen. Sie lernte das nicht. Sie konnte sich noch so anstrengen. Sie dachte nicht strategisch. Nicht genug, jedenfalls. Und die Cindy war nicht nett. Die Cindy war nicht nett zu ihr, weil sie nett war. Oder weil sie nett sein wollte. Die Cindy hatte Sorge, dass sie nicht entsprechen würde. Sie konnten sie aber auch nicht wegschicken. Im Augenblick brauchten sie jede Person. Gleichgültig, was die konnte oder nicht lernte, und sie war ohnehin immer nur so mitgelaufen. Gregory’s girl.

«Ich heule herum. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann mich an nichts erinnern. Ich habe zu schwitzen begonnen. Ich habe noch nie geschwitzt. In meinem ganzen Leben habe ich nie geschwitzt, und jetzt muss ich mich umziehen und immer andere Kleider anziehen. Früher konnte ich vom Sport in die Klasse gehen. Jetzt stehe ich nur noch unter der Dusche. Ich laufe besonders lange Waldläufe und werde trotzdem nicht fitter. Seit der Geschichte im Jänner bin ich schwach. Ich fühle mich schwach, aber um die Taille habe ich einen Zentimeter zugenommen. Ich bin wütend. Ich bin die ganze Zeit wütend. Ich weiß aber gar nicht, auf wen oder warum ich wütend sein soll, und deshalb bin ich dann am Ende auf mich selber wütend. Ich möchte dem allen ein Ende setzen. Ich bin aber nicht suizidal. Ich will ganz einfach eine ganz andere Person sein. Ich würde gerne so einen Kurs machen wie» Germany’s Next Top Model«, wo Leute sich solche Gedanken über einen machen und dein Bestes wollen und dich dafür quälen, und am Ende ist man dann der strahlende Schwan. Ich möchte ein strahlender Schwan sein, und ich würde jedem strahlenden Schwan den Hals umdrehen. Auch mir, wenn ich einer wäre. Ich hasse dieses Getue, das keinen anderen Sinn hat, als etwas anderes aus einem zu machen, und würde nichts lieber sein. Ich werde hart. Ich kann die Geschichten schon ohne ein Zittern in der Stimme erzählen. Ich kann die Geschichten von den Gefangenen ruhig und gefasst nacherzählen, aber ich mache es dann doch immer falsch. Ich begreife nicht, was das Wichtigste ist. Ich verzettle mich. Ich bin dann unglücklich und verzettle mich noch mehr, und ich möchte nicht, dass du stirbst. Tantchen, bitte stirb nicht. Ich kann das nicht aushalten. Ich weiß, dass es nicht um mich geht, und ich werde das gleich löschen, aber ich kann es nicht aushalten, dass du sterben musst. Du darfst nicht. Ich will es nicht. Du musst auch an die anderen denken. Ich weiß, dass du das immer getan hast, aber warum hast du erst mit diesem Krebs gelernt, dass du an dich denken musst. Warum hast du den Onkel nicht gezwungen, aus der Uhlandgasse wegzuziehen, wenn dir die Umschaltanlage solche Angst gemacht hat. Du weißt, ich habe nur dich. Es gibt sonst niemanden. Auch den Onkel nicht. Sag mir, was ich tun kann, damit es dir bessergeht. Ich bin deshalb nach Kötzting zurückgefahren. Damit du beruhigt bist. Nein. Das ist eine Lüge. Es war nicht nur deswegen. Ich weiß gar nicht so genau, warum ich da weitergemacht habe. Die Tante Marina hätte drängen können, was sie wollte. Es hat halt gepasst. Es hat halt gepasst, dass es dich gefreut hat, dass ich eine Ausbildung fertigmachen werde. Dabei kann ich immer irgendwie mit dem Surfen durchkommen. Ich weiß schon, was du jetzt sagen willst. Aber ich bin doch wie meine Mutter. Ich bin doch genauso verloren wie sie, nur dass ich keine Drogen brauche. Obwohl ich trinke. Denn eigentlich bin ich selber schuld an allem. Ich war betrunken. Ich habe immer getrunken, damit ich es besser schaffe, aber es hat auch Spaß gemacht. Das Trinken war, wie wenn ich durch ein buntes Glasfenster in die Welt hinausschauen kann. Alles war viel bunter und ich viel toller. Aber ich habe meine Rechnung bezahlt. Du weißt das. Niemand sonst weiß das. Schon deshalb darfst du nicht sterben. Wer weiß denn dann etwas von mir. Tante Trude.«