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Der Wind fast kalt. Sie nahm den laptop und ging an den Rand des Strandes. Der Sand zur Grasnarbe da steil anstieg. Das alte Gras graumodrig über die Kante hing. Das neue Gras steil grün in die Höhe wuchs. Sie lehnte sich unter die Kante. Balancierte den laptop auf den Knien. Der Wind hier fast nicht. Der Sand von der Sonne noch warm. Sie rief die e-mail von der Tante Trude auf und klickte auf» Antworten «und schrieb.

«Ich habe Angst und weiß nicht, wovor oder warum.«

Sie schaute hinaus. Es war nichts los. Sie versäumte nichts. Sie schaute auf den Satz auf dem Bildschirm. Das stimmte nicht. Sie hatte keine Angst. Sie hatte das aber geschrieben. Sie hatte alles Mögliche geschrieben. Das alles war in den Bauch dieses Geräts verbannt worden. Das alles war in einer Zwischenablage. Wiederfindbar. Sie seufzte. Das war angenehm. Das war sehr angenehm. Alles war geschrieben und aufgehoben, und sie musste nichts mehr wissen davon. Sie war traurig. Sie hätte die Tante Trude wirklich gerne hiergehabt. Sie und der Onkel hätten schon zurückgehen müssen. Ins Hotel. Für die Tante wäre es schon zu kühl gewesen. Sie hätte sie zum Abendessen gesehen. Sie wäre an den Tisch gekommen, und sie hätten gegessen, und am nächsten Tag wären sie wieder an den Strand gezogen. Das würde es nicht geben.»Du darfst das nicht denken. «befahl sie sich. Aber sie dachte es. Es gab keine Berichte mehr. Sie musste anrufen. Die e-mails von der Tante gerade eine Zeile. Der Onkel meldete sich gar nicht mehr. Er hatte wohl Sorge, sich zu verraten. Dann waren wohl die Abendessen nach den Wanderungen mit ihm. Dann waren das wohl die Erinnerungen. Die Essen in irgendwelchen Gasthäusern da, wo sie hingeraten waren. Die Tante hatte sie abgeholt, und es wurde noch dort gegessen. Weil sie so lange gegangen waren. Sonst waren Gasthausbesuche nicht erlaubt. Frivol. Kostspielig und überflüssig. Die Tante hatte gesagt, dass das Kind auch einmal etwas erleben musste. Und das war es jetzt. Das war es, was das Kind erlebt hatte. Sie konnte es nicht zurückzahlen. Zurückschenken. Die Tante entzog sich dem mit ihrer Krankheit. Das hätte sie mit dem Geld aus der Restitution gemacht. Die Schottolas ans Meer einladen.

«Warum weinst du. «Nadja und Emilio standen vor ihr. Sie holte Luft. Nadja setzte sich links von ihr. Emilio rechts. Sie schauten auf den Bildschirm. Was das bedeute, fragte Emilio auf Englisch.»She lives in fear.«übersetzte Nadja. Emilio wandte sich ihr zu.»Hey, Amy. What’s up. «Er schaute sie erstaunt an.

Er solle Amy in Frieden lassen, sagte Nadja. Sie würde schon sagen, was los sei, wenn sie dazu bereit wäre. Oder? Fragte sie.»Real Angst. «Emilio wunderte sich. Sie zog die Schultern hoch. Ihre Stiefmutter. Eigentlich ihre foster mother. Sie wäre sehr schwer krank.»Life is a shit. «Emilio nickte ihr zu. Er nahm ihre Hand und drückte sie. Seine Hand trocken und warm. Sie ließ ihre in seiner liegen. Ließ seine Wärme in ihre Hand fließen. Nadja holte tief Luft. Ja, sagte sie. Man müsse immer Angst haben, wenn man jemanden habe, den man liebe. Das sei der deal. Sie seufzte. Sie sei deshalb über die Zeiten froh, in denen sie ungebunden wäre. Unattached. Liebe. Das sei eben eine Fessel. Sie saßen. Lange.

Nadja sprang auf. Sie ginge jetzt hinein. Emilio sah zu ihr hinauf. Er bliebe noch da. Nadja nickte und ging. Sie trug ihr Brett davon und begann zu laufen. Sie lief ins Wasser. Warf das Brett vor sich auf das Wasser. Schwang sich auf das Brett. Paddelte hinaus. Sie war auf Wellenbergen zu sehen. Verschwand hinter den Wellen. Ob sie Hilfe bräuchte, fragte Emilio. Er hielt ihre Hand. Sie schauten hinaus. Sie hatte die Beine ausgestreckt, und der laptop lag warm summend auf ihren Oberschenkeln. Sie dachte nach. Konnte sie Hilfe brauchen, und was wäre Hilfe gewesen.»No. «Sie schüttelte den Kopf. Nein. Es ging nicht um Hilfe. Hilfe, das hätte sie im Übermaß bekommen. Alle hätten ihr immer helfen wollen. Sie war eine einzige Hilfsmaßnahme. Und er solle nicht glauben, sie wäre nicht dankbar. Dieser foster mother. Der habe sie alles zu verdanken. Alles. Und dem Mann von der auch. Das wären Menschen gewesen, die beschlossen hatten, das Richtige zu tun. Die hatten mit ihr das Richtige getan, und das hatte gestimmt. Sie wüsste auch nicht, was sie bräuchte.»Ah. You are in transition. Good luck with that. «Er drückte ihre Hand. Er stand auf. Beugte sich zu ihr. Drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Fest. Bestimmt.»See you back at dinner. «Sie nickte. Sie sah ihm zu. Er hob sein board auf und ging auf das Wasser zu. Sein Neoprenanzug hatte weiße und rote Streifen über den Rücken. Er ging auf das Wasser zu. Die Sonne tief über dem Wasser. Er ging in die Sonne. Seine Silhouette vom Sonnenlicht und dem Widerschein vom Wasser umspielt. Löste sich auf. Er watete tief ins Wasser vor. Warf sich mit einem Sprung auf das Brett. Verschwand.

Sie lehnte sich zurück. Solange griechische Götter einen fragten, ob man Hilfe brauchte. Sie atmete tief. Der Himmel wolkenüberzogen. Die Wolken. Rundwolkig verspielt in den Himmel hinauf. Die Unterseite. Glattgeweht vom Wind. Segelten schnell herein. Vom Meer aufs Land. Die Sonnenstrahlen fielen schräg darunter. Das Wasser glitzernd grüne Berge. Löste sich in Schaum auf. Die Wellen donnernd. Lauter geworden. Sie hörte zu. Sie hatte das Gefühl, neu zu hören. Neu zu hören, nachdem sie taub gewesen war. Sie hatte nicht gehört. Während sie die e-mail an die Tante Trude schreiben hatte wollen. Sie hatte nichts gehört. Es war wie Aufwachen. Das Donnern der Wellen am Strand unten weit vorne. Der Wind im Gras. Raschelnd. Die Sonne noch auf der Haut. Die Kälte des Abends aber schon stärker als die Sonnenwärme. Die Köpfe der Surfer in den Wellen.

«Liebe Tante Trude. «schrieb sie.»Wie geht es dir. Wie geht es dem Onkel. Ich hoffe, es ist nicht zu viel Arbeit im Garten und ihr könnt die schöne Zeit auch genießen. Hier ist sehr schönes Wetter, und auch das Surfen geht sehr gut. Leider habe ich nur mehr ein paar Tage. Dann muss ich nach England zu einem Spezialseminar. Ich kann da auch gleich mit Tante Marina in London reden, und ich werde alle Ratschläge beherzigen, die du mir gegeben hast. Ich erzähle dir dann, was da herausgekommen ist. Pass bitte auf dich auf. Ich umarme dich. Immer deine Mali.«

Sie las die mail durch. Schüttelte den Kopf. Löschte sie.

«Liebe Tante Trude, ich bin hier gut aufgehoben, und es beginnt, mir besserzugehen. Love you, Mali.«

Juni

«Fish and chips. «Und ja.»Mushy peas. «Der Koch hinter der Essensausgabe stellte den Teller auf die Glasvitrine und wandte sich Hazel zu. Hazel hatte sich hinter ihr angestellt. Hazel nahm Brokkoliauflauf und Pommes frites. Sie stellte ihren Teller auf das Tablett. Schob das Tablett weiter. Die Colaflasche fiel um. Sie hielt der Kassiererin ihre Sicherheitskarte hin. Die scannte sie. Gab sie zurück. Sie zahlte ihre Cola. Ging an Tisch 43. Ned und Bennie waren gerade mit ihrem Essen fertig. Sie hatten ihre Papierservietten zusammengeballt und auf ihre Teller geworfen. Sie kauten beide auf Zahnstochern. Zigarettenersatz, sagten sie zu den Zahnstochern. Nach jedem Essen sagten sie das.

Sie stellte ihr Tablett auf den Tisch. Sie setzte sich. Sie setzte sich langsam. Genau. Sie musste sich davon abhalten, den Teller und die Colaflasche vom Tablett zu nehmen und auf den Tisch zu stellen und dann vom Tisch zu essen. Niemand machte das hier. Man aß vom Tablett und ließ alles so stehen. Das wäre die effizienteste Methode, hatte Hazel ihr erklärt. Hazel hatte sie am Arm festgehalten. Als sie, vor dem Tisch stehend, mit dem Aufdecken beginnen hatte wollen. Am ersten Tag. Hazel hatte sie am Arm geführt und sie hingesetzt. Das System käme durcheinander.»Middle class luxuries«, hatte Hazel das genannt. Sich das Essen auf den Tisch zu stellen und nicht über den hohen Rand des Tabletts in das Essen stochern zu müssen und die Hände neben den Teller legen zu können. Es war peinlich gewesen. Sie hatte sich geschämt. Sie hatte sich für alles genieren müssen, was ihre Person ausmachte. Jetzt. Beim Hinsetzen. Sie hätte sich krümmen können. Vor Scham. Die Erinnerung an diesen Augenblick ließ ihre Wangen heiß werden. Aber jetzt. Sie wusste es besser. Mittlerweile. Sie stützte jetzt auch die Arme am Ellbogen auf und stach in das Essen von oben. Wie alle anderen. Sie trank jetzt aus der Flasche und legte die leere Flasche neben den Teller. Wie alle anderen. Sie legte ihre Serviette immer noch auf ihren Schoß und dann neben den Teller. Das war den Insassen gleichgültig, die die Tabletts abservieren mussten. Das brachte das System nicht durcheinander.