Zwei Männer gingen aus der Gruppe weg. Das mache diesen Versuch ungültig. Aber es wäre doch nicht Henrys Schuld, sagte die Frau mit der Stoppuhr. Dann müsse man es eben nur ein wenig verlängern. Henry grunzte etwas. Er machte weiter. Aber er war aus seinem Rhythmus gekommen. Er setzte sich nicht mehr so gerade auf. Die Bauchmuskeln wurden nicht mehr so glatt und lang. Beim Hinlegen. Die Muskeln zitterten nach. Henry wollte etwas sagen. Stieß etwas hervor. Die Frau mit der Stoppuhr schüttelte den Kopf und zählte weiter. Sie war bei 140. Sie wurde lauter. Bei 150 wurde applaudiert. Die Männer, die weggegangen waren, kamen zurück. Bei 190 wollte Henry aufhören. Die Frau mit der Stoppuhr lächelte und schüttelte den Kopf. Die anderen verstanden und grölten.
Henry schwitzte. Die Bauchmuskeln blieben gespannt. Sein Körper klappte in die aufrechte Position. Das Hinlegen war ein Hinfallen geworden, aus dem er sich hinaufwerfen musste. Die nahe an ihm Stehenden waren vorgebeugt. Ihre Hände fast in seinem Gesicht. Sie schrien ihm die Ziffern zu. Die am Rand Stehenden. Manche plauderten. Grinsten. Gingen ein wenig herum. Bei 220 kamen alle in den Kreis um ihn zurück. Ein mächtiger Chor.
Sie schaute auf. Auf der einen Seite des Sportplatzes die äußerste Mauer. Beton. Stacheldrahtrollen. Stromgeladene Drähte. Kameras. Links die Sporthalle. Aber hinten. An der Straße. Gebäude. Das Hauptgebäude. Sie wurden sicherlich beobachtet. Konnte man dieses Gebrüll dort hören. Sie schaute hinauf. Die Flugzeuge zogen dahin. Die Wolkendecke dünner. Die Hitze größer. Das Licht greller.
Henry kämpfte. Die anderen waren wieder zurückgetreten. Sie schauten auf ihn hinunter. Schrien die Zahlen. Aufmunternd. Henry wollte etwas sagen. Die anderen wurden wieder lauter. Brüllten die Zahlen. Henry schien zu zögern. Wieder rückten alle nahe an ihn heran. Beugten sich über ihn. Sie zischten die Zahlen. Beschwörend. Eindringlich. Henry nickte. Klappte in die Höhe. Fiel zurück. Fing sich selbst auf und brachte sich wieder in die Höhe. Sein Gesicht war verzerrt. Rot. Seine Haut rotfleckig. Rau. Seine Haut war nicht mehr glatt. Die Frau mit der Stoppuhr schrie nur noch» Come on.«. Die anderen zählten weiter. Sie hatten sich hingehockt. Sie skandierten die Zahlen. Schoben mit ihren Oberkörpern die Zahlen über diesen Mann hin. Beschworen die nächste Bewegung.
Sie fand sich mitzählen. Sie stand am Rand. Vorgebeugt. Sie hatte ihre Hände in die Hüften gestützt. Sie stieß ihren Kopf in die Richtung des Wettkämpfers. 241. Henry war unter den Menschen verschwunden. Wenn er sich aufsetzte, hob sich die Menge um ihn mit und fiel über ihm zusammen, wenn er wieder in der Rückenlage angelangt war. Dieses Aufbäumen und Niedersinken. Es wurde langsam. Langsamer. Zeitlupenlangsam. Die Beschwörung dringlichst.
Henry blieb dann liegen, und sofort standen alle auf. Richteten sich auf. Die Männer am Rand gingen gleich weg. Die anderen standen noch kurz um Henry herum. Henry krächzte etwas. Die Frau mit der Stoppuhr schaute auf ihn hinunter. Wer etwas davon gesagt habe, dass es Regeln gäbe, sagte sie und wandte sich ab. Sie nickte einem Mann zu, und die beiden spazierten zusammen weg. Alle waren erhitzt. Der Mann, der Henrys Füße niedergehalten hatte, setzte sich auf den Kunstrasen. Auch er war verschwitzt. Er riss sich die Krawatte vom Hals und knöpfte sein Hemd auf. Er tätschelte Henrys Schenkel.»Well done. «sagte er und stand auf. Im Weggehen zog er sein Sakko aus und schwenkte es. Er ging mit einer der Frauen weg. Alle strebten weg. Schauten auf ihre Uhren. Henry lag auf dem Boden. Er war bleich. Seine Haut grau. Seine Kleider lagen neben ihm auf dem Boden.
Sie war stehen geblieben. Sie. Sie konnte sich nicht aus dieser Szene wegdrehen. Hinausgehen. Sie war noch in dieser Szene gefangen. Sie war schweißverklebt. Aber auch vom Schreien. Sie konnte das Schreien noch in der Kehle spüren. Atmete noch für das Schreien. Sie hatte so laut wie alle mitgeschrien. Hatte sich über diesen Mann gebeugt. Sie erinnerte sich. Es war ihr nicht bewusst gewesen. Sie konnte sich an das Schreien nur erinnern. Sie hatte nichts von sich gespürt. Währenddessen.
Henry bewegte sich nicht. Sie trat an ihn heran. Er lag lang ausgestreckt. Die Arme weit ausgebreitet. Die Augen geschlossen. Langsam. Mit unendlicher Mühe. Der Mann zog seine Beine hoch. Zog seine Arme an den Körper. Er drehte den Kopf zur Seite und holte mit äußerster Anstrengung seinen Körper in die Seitenlage. Währenddessen atmete er hechelnd. Hoch in der Brust und hechelnd. Sie schaute sich um. Seine Kollegen. Sie waren alle auf dem Weg in das Hauptgebäude zurück. Sie gingen in Grüppchen und in Paaren. Redeten. Niemand schaute zurück. Eine Decke, dachte sie. Wasser. Sie beugte sich zu dem Mann hinunter. Was sie für ihn tun könne. Der Mann hörte sie. Das konnte sie sehen. Sie wartete.
Es war längst niemand mehr da. Sie waren allein. Sie setzte sich auf den Boden. Schaute den Mann an. Dann bewegte Henry sich wieder. Er hob den Kopf von der Brust weg. Sie fragte ihn wieder. Laut. Was er benötige. Der Mann machte die Augen auf. Sah nichts Genaues. War verwirrt. Wie nach einer Ohnmacht. Dann wurde sein Blick fester. Er begann sie in den Blick zu bekommen. Sie wahrzunehmen. Sie beugte sich vor. Ob sie etwas tun könne. Henry? Er schaute sie an. Lange. Er schloss die Augen. Schaute sie wieder an. Sie begann, ihn anzulächeln. Der Mann sah sie erstaunt an und begann, sich zu erinnern. Er schaute schnell weg. Aber sie hatte es gesehen. Den Wunsch, im Erdboden zu versinken. Die Scham. Die Erniedrigung. Sie wollte gerade anfangen zu sagen, dass er doch betrogen worden wäre. Dass die Zeit nicht eingehalten worden sei. Die Regeln nicht eingehalten. Plötzlich hatte sie aber deutsch gedacht und musste erst im Kopf übersetzen. Da flüsterte der Mann» fuck off«. Sie beugte sich vor, das genau zu verstehen. Der Mann sagte nichts mehr. Er hatte die Augen geschlossen. Sie stand auf und ging.
In der Dusche ärgerte sie sich über sich selbst. Warum war sie nicht einfach in ihr Zimmer gegangen. Das war weit weg vom Sportplatz. Aber jetzt. Das hier war eine Unisexdusche. Henry konnte hier jeden Augenblick auftauchen. Sie drehte sich zur Wand. Die Schamesröte stieg ihr wieder auf. Sie drehte das Wasser noch stärker auf. Sie stand unter Wasserbeschuss. Jeder Tropfen ein schmerzender Aufprall. Nadelspitzenhart. Nur der Gedanke, wie schädlich das für die Haut war, ließ sie die Dusche beenden. Sie zog ihre Kleider über die nasse Haut. Sie zog die Sportschuhe wieder an und ging zur Straße. Der Sportplatz war leer. Niemand lag in der Mitte des Kunstrasens. Die Sonne war durch die Wolken durchgebrochen, und es war stechend heiß.
«You fuck off. «dachte sie beim Vorbeigehen. Sie schaute auf ihr handy. Es war 14.30 Uhr. Der Unterricht hatte schon begonnen. Sie konnte in ihr Zimmer gehen. Da konnte man auf dem Bett liegen oder in der Dusche stehen. Sitzen konnte man nur auf der Toilette. Das Bett hing so durch, dass es einen zusammenklappte, wenn man da sitzen wollte. Sie ging zum Hauptgebäude. Sie fühlte sich frisch. Beschwingt. Entspannt. Wie nach einem richtig guten stretching. Sie konnte sich nicht vorstellen, woher das gute Gefühl kam. Die lange Dusche. Oder war sie genug gelaufen. Endlich einmal. Es machte ihr nicht einmal die Hitze etwas aus. Die feuchten Kleider waren kühl auf der Haut.
Sie bog zum Hauptgebäude ab. Ihre Klasse war im 9. Stock. Sie kramte ihre Sicherheitskarte aus der Tasche und hielt sie an den scanner. Die Tür glitt auf. Drinnen kühl. Zu kühl mit den feuchten Kleidern. Sie ging an den Liften vorbei. Zum Haupteingang. Sie musste warten. Alle Sicherheitsbeamten an der Rezeption beschäftigt. Sie wartete. Sie wartete, bis der Sicherheitsmann sie an die Theke winkte. Sie wolle sich austragen. Sie bekam das Buch hingeschoben. Gab ihre Sicherheitskarte ab. Sie bekam eine Marke dafür. Der Mann klickte ihr das Drehkreuz auf. Sie ging hinaus. Sie ging zur Bushaltestelle. Wartete da. Sie war allein. Der Bus kam. Sie stieg ein. Vorne. Sie legte 1 Pfund 20 Pence hin. Bekam ihre Karte. Sie ging gleich nach hinten. An den Ausstieg. Stand da. Sie schaute vor sich hin. Wenn jemand sie vom Hauptgebäude aus beobachtete, dann war sie mit dem Bus nach Nottingham ins Zentrum gefahren. Sie drückte auf den grünen Knopf. Sie wollte aussteigen. Der Bus hielt. Die Türen gingen auf. Sie sprang die Stufen hinunter auf den Gehsteig. Sie ging langsam weg. Wartete, bis der Bus weggefahren war. Sie schaute sich wieder um. Sie lächelte. Das war ein schönes Spiel. Sie ging um die Ecke. Die Straße hinauf. In einer Sackgasse zwischen Lagerhäusern hatte sie das Auto stehen. Sie klickte das Auto von weitem auf. Lief zum Auto. Setzte sich hinein. Startete. Ließ alle Fenster aufgehen. Sie setzte sich hin. Sammelte sich. Links fahren. Sagte sie zu sich. Streng. Es muss links gefahren werden. Sie hatte wieder auf der falschen Seite einsteigen wollen. Dann fuhr sie los. Sie musste vor einer Einfahrt reversieren. Das GPS. Sie drückte auf» NAVI«.»Previous destinations«. Sie drückte auf das letzte Ziel. Sie hatte die Frauenstimme im Navigationsgerät beibehalten. Sie hatte aber auf Deutsch umgeschaltet. Sie ließ sich aus der Sackgasse hinausschleusen. Sie war beschäftigt, auf der linken Seite zu bleiben. Sie konnte nur auf die Straße starren und im Kopf alles umkehren. Langsam kam die Gewöhnung, und sie konnte sich umsehen.