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Sie fuhr eine einzige lange verlassene high street entlang. Aus Nottingham hinaus. Die Straße in Richtung Peak District. Erst Industrie. Lagerhäuser. Hallen. Dazwischen Wohngegenden. Kleine Häuschen. Häuser in Gärten. Parks. Und immer wieder high streets. Geschlossene Geschäfte. Verklebte Auslagen. Dazwischen Supermärkte. Grau und staubig und leer. Es war sehr heiß. Das Thermometer im Auto gab 93 Grad Fahrenheit an. Die Hitzewelle dauerte schon 3 Wochen. Sie hatte die Fenster wieder geschlossen. Die Klimaanlage war auf die höchste Stufe gestellt. Das Fahren in diesem kühlen Schächtelchen. Der kleine weiße Golf. Es machte sie vergnügt, über diese Straßen zu steuern. Sie durfte aber nicht zu vergnügt werden. Sie musste sich an das Linksfahren erinnern. Mit der Automatik war das nicht so schwierig. Schalten hätte ihr Probleme gemacht. Sie konnte für ihre linke Hand nicht so gut mitdenken wie für die rechte.

Kreisverkehre. Kreuzungen. Zweispurige Straßen. Vierspurige Straßen. Sie konnte schneller fahren. Wieder durch kleine Ortschaften. Dann endlich unverbaute Gegenden. Brachliegende Felder. Baugründe. Schafweiden. Felder. Hügel. Wiesen. Bäume. Hecken rundherum. Sie fuhr Alleen entlang. Wäldchen. Wälder. Und dann die Abzweigung. Haversham Gardens. Riesige Eichen. Farne. Das Sonnenlicht. Tanzende Flecken.

Sie fuhr auf den Parkplatz. Zahlte ihren Eintritt. Sie kaufte einen Becher Tee im Kiosk. Gleich beim Eingang. Sie trug den Tee. Hatte ihre Tasche über der Schulter. Sie wäre am liebsten losgelaufen. Die Wege rote Erde. Übergrünes Gras an den Rändern. Sie bog nach links. Gleich in den Wald. Und sie wollte gehen. Diesen breiten Weg entlangspazieren und im Gehen glücklich sein. Total europäisch. Sie wollte total europäisch spazieren gehen. Wandeln. Und es war erst hier wieder gewesen. Sie hatte sich noch nie so gefühlt. So gerettet. So wissend, dass es wieder gut war. Sie musste gehen. Dieses Gefühl war nur im Gehen zu haben. In dieser Umgebung. Es gab nur sie. Für sich. Es war ein schamloses Gefühl. Beim Gehen. Im sonnenfleckigen Licht unter den Bäumen und im klirrenden Sonnenlicht in den Lichtungen und über den Wiesen. Hügelauf und hügelab. Sie hätte es gerne mitgeteilt. Tänzelnd hätte sie rufen mögen, schaut her, ich bin das. Ich bin wieder ganz und heil und werde wieder ganz oben auf der Welle reiten. Es war aber niemand da. Und mit dem Teebecher in der Hand ging das mit dem Tänzeln ohnehin nicht. Sie grinste sich selber zu.

Sie setzte sich. Die Bank in einer Mulde. Tiefer Schatten. Die Bank ein Stück im Wald und versteckt. Sie stellte den Becher mit dem Tee neben sich. Packte ihren Proviant aus. Die Muffins waren in ihren Pumps ganz geblieben. Die Banane. Sie legte alles auf die Bank. Warum war sie so glücklich. War sie glücklich. Oder war sie zufrieden. Es gab keinen Grund für beides. Die Welt war schrecklich. Die Zukunft war schrecklich. Es war nichts zu erwarten. Sie musste froh sein, kein Baby zu bekommen. So wie das mit dieser Radioaktivität seit Japan einzuschätzen war. Sie war schon ein Tschernobyl-Jahrgang. Aber das war wahrscheinlich alles gar nichts gewesen und die curettage gar nicht notwendig. Das war alles wegen der Sache mit ihrer Mutter. Das war vorbei. Für sie war das vorbei. Seit der Katastrophe in Japan. Sie hatte sofort. Gleich beim ersten Mal, als sie diese Welle sah. Im Fernsehen. Diese Tsunamiwelle von hoch oben, wie sie alles vor sich herschob und dann auf ein Schiff geschnitten worden war. Ein Schiff, das dann über eine Welle nach rechts gegen eine Brücke gedrückt versank. In dieses Schiff hatte sie ihre Mutter gesetzt und sterben lassen. Da waren ja Leute drinnen gewesen. Das wusste man. Während man diesem Untergang des Schiffs zusah, wusste man, dass da Leute zerdrückt und ertränkt wurden. Für sie war da ihre Mutter drin gewesen, und sie hatte sehr geweint. Aber seit diesen Bildern. Nichts war wichtig. Nichts war wichtiger. Deshalb saß sie hier und nicht in STEERO. Systemic Team Efficiency Evaluation and Response Optimisation. Sie hatte auch da den Anschluss verloren. Sie war an diesem einen Nachmittag nicht da gewesen. Das ging hier schnell. Den Anschluss verlieren. Und es war sehr angenehm. Es war wie einem Zug nachschauen, mit dem alles Schreckliche wegfuhr.

Sie saß. Winzige Sternchenblumen am Boden. Weiß. Es war ein blöder Zeitpunkt, sich sicher und ganz zu fühlen. Sie lehnte sich zurück. Aber es war ihr Zeitpunkt. Sie schaute in den Baumwipfel über sich hinauf. Es war alles so gleichgültig. Sie lächelte. Das Wort gleichgültig machte sie nicht mehr müde. Es ließ nicht mehr die Schultern nach unten sinken und beugte den Kopf. Sie musste seufzen. Sie musste tief Luft holen. Aber dann zogen sich die Schultern nach hinten, und das Kinn hob sich. Sie holte ihr iPad aus der Tasche. Sie nahm den Deckel vom Tee. Kostete. Trank. Das war der richtige Zeitpunkt, die e-mail an die Tante Trude zu schicken. Sie zippte das iPad aus der Hülle. Schaltete ein. Öffnete ihren e-mail account. Es gab Empfang. Sie schüttelte den Kopf. Wo waren hier Mobilfunkantennen. In den Eichen. Oben in den Wipfeln. Sie schaute zu, wie die mails sich aneinanderreihten. Eine Adresse. Sie kannte sie nicht. Eine mail von Gregory:»suggest meeting in london. Savoy Grill. 12.00 sharp … g.«

Das klang nicht gut. Sie schaute auf den Boden. Gregory zu treffen. Es war eine Gelegenheit, nach London zu flüchten. Es war aber gleich wie in der Schule. Zum Direktor gehen müssen. Zum Direktor gerufen. Krampf in der Magengrube. Schwierigkeiten beim Sehen. Schwindelanfälle. Brechreiz. Blitzartig Durchfall und Schwindel dabei. Und danach. Das Gehen eine Mühsal. Am Geländer die Stufen hochziehen. Die Beine dicke Betonsäulen und nicht abzubiegen. Der Kopf unendlich weit von diesen Betonsäulen entfernt.

Sie antwortete. Schrieb» sure.«. Starrte auf das tablet. Sie schob die mails weg. Holte sie wieder auf die Oberfläche. grtrd@hotmail.de. Wer war das. Was war das. Sie wollte gerade auf» Löschen «klicken. Dann öffnete sie doch.

Von: e.k.@allsecura.de

An: g.m@trisecura.co.uk

Betreff: Re: Re: Re: Drachenopfer

Ok., geht auch …

Cindy

Von: g.m@trisecura.co.uk

An: e.k.@allsecura.de

Betreff: Re: Re: Drachenopfer

All right. Im Hintergrund Verdi. G.