Sie beugte sich über den Tisch und lachte Gregory zu. Ob er wisse, dass er gerade die Nase gerümpft habe. Ob er das Wort kenne. Er spräche ja Deutsch, als wäre es seine Muttersprache, aber rümpfen. Sie wiederholte das Wort. Rümpfen. Wie man das auf Englisch sage. Gregory schaute erst fragend. Sie machte es ihm vor. Sie rümpfte ihre Nase. Gregory habe die Nase gerümpft, weil er ein Snob sei und es falsch fände, wenn sie den Kellner anlächle. Der Kellner aber. Wäre der nicht ein wunderbares Faktotum. Der sähe doch aus, als hätte er schon Churchill den Whisky gebracht. Sie fände es richtig altmodisch, jemanden nicht dafür zu belohnen, dass er eine solche Illusion aufrechterhielt. Eine solche Schauspielerei. Das wäre doch auch Arbeit. Diese tiefen Falten im Gesicht zu haben. Und außerdem. Das beruhige doch jeden Gast und bestätige alle in ihrer Jugendlichkeit. Sie würde diesen Mann besonders hoch bezahlen. Sie hoffe, Gregory würde das dann beim Trinkgeld berücksichtigen. Gregory hatte ihr nicht zugehört. Er schaute durch sie hindurch. Er überlegte die ganze Zeit. Rümpfen, sagte er dann. Rümpfen, das hieße to sneer. Turn up one’s nose at something.»Or at someone. «sagte sie.
Der sommelier kam an den Tisch. Sie verstand ihn nicht gleich. Er sprach, als käme er aus Manchester. Aber das wusste sie nicht so genau. Er sprach Gregory an. Einen Vouvray. Er habe gesehen, sie würden das Chateaubriand essen. Er habe eine Cuvée Aurelie von der Domaine du Viking aus dem Jahr 2004. Das wäre ein sehr fruchtiger Wein. Nougat und Haselnuss. Im zweiten Geruch käme dann getrocknetes Stroh hinzu, und hier würde dann die Verbindung mit den Aromen des Chateaubriand erfolgen. Tabak und Vanille würden die Fleischaromen befreien und einem Marzipanaroma Platz machen. Das Marzipan zum Ende am Gaumen könne so intensiv sein, dass man sich das Dessert sparen könne. Die Männer grinsten einander an. Gregory nickte. Ja, das könne er sich vorstellen. Der Boden für diesen Wein sei ja auch die richtige Mischung von Lehm und Kalkstein. Der sommelier nickte zustimmend. Er habe dann aber noch einen Vorschlag zu machen. Weil es so heiß sei. Der Mann schaute nach vorne zum Eingang. Weil es so heiß sei, würde er auch an den trockenen Le Clos de la Thierrière denken. Die Domaine sei Sylvain Gaudron. Der Jahrgang 2008. Wie gesagt. Bei einer solchen Hitze würde er diesen Wein vorschlagen. Natürlich wäre das eigentliche Abenteuer eines Pineau blanc de la Loire diese ganz besondere Halbsüße. Aber die Domaine Gaudron habe da eine große Leistung vollbracht. Der Reichtum des Vouvray wäre erhalten, und trotzdem hätte dieser Wein jene Trockenheit, die ihn zu einem perfekten Sommerwein mache.
Die beiden Männer schauten einander an. Ins Gesicht. Gregory dachte nach. Er machte einen schmalen Mund. Der sommelier hielt den Kopf schief. Fragend. Wartend. Gregory entschied sich für den Le Clos de la Thierrière. Der sommelier verbeugte sich. Man würde nicht enttäuscht werden, das könne er versprechen. Er wandte sich jetzt auch wieder an sie. Dann ging er eilig davon.
Gregory nahm sich ein Stück Baguette und Butter. Also, begann er. Er machte eine lange Pause. Dann hob er den Kopf. Er hätte erwartet, von ihr zu hören. Berichte zu bekommen. Sie sah ihn fragend an. Er wandte sich wieder dem Baguette zu. Ja. Es wäre schon ihre Aufgabe gewesen, ihn informiert zu halten. Dazu müsste sie doch in der Lage sein. Präzise Berichte. Das wäre schon die Grundlage einer Zusammenarbeit. Sie wäre doch nicht nach Nottingham geschickt worden wegen ihres netten Wesens. Und er verstünde ja nicht, warum er sie verhören müsse, damit er etwas über die Arbeit da erfahren würde. Sie holte tief Luft. Was hatte sie schon wieder nicht begriffen. Es war klar, dass er etwas erwartete. Sie wusste nicht, was. Der Kurs in Nottingham. Das war doch, weil diese Fusion den Austausch ermöglichte. Das war ja auch einer der Synergieeffekte gewesen. Die Internationalität. Sie lächelte weiter. Sie bemühte sich, das Lächeln auf ihn zu richten. Die Augen in das Lächeln einzubeziehen. Nichts sagen. Lächeln. Die Pause aushalten. Ihn zum Reden bringen. Er musste Fragen stellen. Sie musste die süße kleine Amy sein und er der Ersatzpapi. Sie sollte sich an die Decke denken und von dort das Gespräch einschätzen. Oder das Verhör. Sie hatte im Kurs für Kommunikationstechniken sich vorstellen müssen, während der Kommunikation eine Fliege zu sein, die das Gespräch umkreisend sich Gedanken machte. Sie hatte dann beschlossen, sich nicht an die Decke zu denken. Sie hatte schon Probleme, wenn sie sich beim Stretchen vorstellen sollte, dass an irgendeinem Körperteil ein Strang ziehe oder der Kopf von einem Magneten an die Decke gezogen würde. Die Vorstellung, sich und Gregory nun von oben zu beobachten. Dann musste sie laut lachen. Sie würde Gregory da oben ja antreffen. Gregory hatte dieselben Kurse gemacht. Gregory hatte die Kursprogramme mitgeschrieben. Gregory hatte Erfahrung darin. Gregory hatte sich sicherlich schon in den seltsamsten Umständen und Räumen an die Decke gedacht und die Situation von oben beobachtet. Beurteilt. Eingeschätzt. Ihr wurde übel. Sie saß strahlend lächelnd da. Erwartungsvoll lächelnd. Auffordernd. Vom Oberbauch eine Übelkeit bis in die Fingerspitzen ausstrahlend. Ein Elend innen. Was habe dieser Aufenthalt in Nottingham nun gebracht, fragte er. Für sie. Gregory steckte das gebutterte Baguettestück in den Mund. Was habe ihr denn Spaß gemacht. Von den Kursen da. Von den Erfahrungen. Sie nahm einen Schluck vom Mineralwasser. Was er meine. Was er genau wissen wolle. Das wäre eine sehr allgemeine Frage. Sie trank wieder vom Wasser. Die Übelkeit zu verbergen. Sie konnte die e-mail vor sich sehen. Gregory wusste doch alles. Gregory war doch informiert.
Gregory kaute. Er nahm die Flasche mit dem Mineralwasser vom Beistelltischchen und schenkte sich ein. Na. So schwierig wäre das auch wieder nicht zu beantworten. Aber er könne sich vorstellen, dass es problematisch sei für sie. Alle anderen hätten eben die Grundausbildung. Polizei oder Militär. Nicht von da zu kommen. Das mache sie zur Außenseiterin. Aber genau deswegen wäre ihre Beurteilung interessant. Genau deswegen unterstütze er sie doch. Gregory sah sie ernst an. Er unterstütze sie. Das müsse sie wissen. Er habe sie immer unterstützt und gegen alle verteidigt. Wisse sie das denn nicht. Die anderen. Alle wären gegen sie gewesen. Er aber wolle sie genau deswegen. Im normalen operativen Geschäft. Da wären die alle sehr gut. Aber für Spezialaufgaben. Er sei gar nicht sicher, ob sie überhaupt in einem Kurs auftauchen hätte sollen. Nein. Nein. Es sei kein Fehler. Man müsse schon wissen, wie diese Leute funktionierten. Die wären eine geschlossene Gesellschaft da. Das wisse er auch. Aber noch gehöre denen nicht die Welt. Gregory sagte das bitter. Bitterböse sagte er das. Gregory sah sich um. Sie folgte seinem Blick. Ja. Ja. Nickte er. Er habe die angrenzenden Tische alle reserviert. Sie wären hier wirklich ungestört. Sie schaute ihn fragend an. Logistik eins, sagte er. Man müsse nur eine Liste mit Kreditkartennummern dafür haben. Solche Listen kaufe man ein, und dann bestelle man Tische mit Kreditkarten und Namen, die echt waren. Dann hätte man sich die Umgebung quasi gepachtet und könne in Ruhe miteinander reden. Das alles. Das könne sie bei Cindy lernen. Die sei Spezialistin dafür.»Weil sie so gut Russisch kann. «fragte sie. Gregory nickte.
Gregory nahm wieder vom Mineralwasser. Würde sie meinen, dass ihre Kurskollegen. Wären die nun eigentlich bereit, einen Einsatz in einem Kriegsgebiet erfüllen zu können. Könne sie sich das vorstellen. Sie. Amy. Sie habe im Waffengebrauch nicht so schlecht abgeschnitten, und ihre Stärke wäre ohnehin die Logistik. Aber habe sie genug Personalkompetenz erworben, dass sie sich zutrauen könne, sich in einer solchen Situation durchzusetzen. Transporte. Objektsicherung. Gefängnisse. Glaube sie, dass das ein Monopol der Militärausbildung geblieben sei. Er wäre da anderer Meinung. Er wäre da immer anderer Meinung gewesen. Er halte auch Kameradschaft für kontraproduktiv. Habe sie das Gefühl, dass das in der Ausbildung da in Nottingham berücksichtigt würde. Würde da die Kameradschaft stark betont, oder habe man endlich begriffen, dass diese Rituale und Mutproben Bindungen herstellten, die sich dann später als fatal herausstellen konnten. Jedenfalls als hinderlich. Als psychisch hinderlich, wenn diese Bindungen zerfielen. Zerstört würden. Beendet. Traumatisierten.