Sie griff nach dem Brot. Sie beobachtete ihre Hand über dem Brotkörbchen. Wie sie ein Stück auswählte. Wie sie es auf ihren Brotteller legte. Mit dem Gäbelchen eine Butterrose aufspießte. Die Butter auf ihrem Teller ablegte.
Sie lächelte dabei. Das war die einfachste Haltung im Gesicht. Freundliches Lächeln. Sanft. Gregory sollte sie ruhig dumm finden. Das Lächeln hielt ihre Übelkeit tief in ihr. Einen Widerwillen. Ekel ließ das Lächeln feiner werden. Die Mundwinkel zittriger. Sie hob ihre Augen. Sie ließ ihre Augen Gregorys Blick treffen. Gregory hielt das nur kurz aus. Dann schaute er wieder auf seine Gläser. Schob die Gläser voreinander und wieder zurück in die Reihe. Wasserglas. Weißwein. Rotwein.
Der alte Kellner kam an den Tisch. Er nahm die Rotweingläser weg. Er nahm Gregory das Rotweinglas aus den Fingern. Er nahm ihm das Glas einfach weg und nickte ihr wieder freundlich zu. Gregory warf sich nach hinten zurück. Er schaute dem Kellner nach. Natürlich könne sie das nicht, sagte sie. Gregory riss sich aus seinem missbilligenden Blick nach dem Kellner. Sie müsse ihm vertrauen. Sie müsse ihm ganz einfach vertrauen. Er hielt den Kopf gesenkt. Sprach mit ihr. Schaute auf seinen silbrig glänzenden Platzteller. Er wetzte dabei. Unter dem Tisch. Er schob seine Knie vor und zurück. Verlagerte sein Gewicht von rechts nach links. Er wetzte. Wie ein Schulbub, dachte sie. Sie hasste ihn. Während er so vor sich hin sprach und wetzte. Sie hasste ihn. Der Hass sprang so plötzlich und so stark auf, dass sie sich über ihre Tasche beugen musste und nach einem Taschentuch suchen. Der Hass presste ihren Brustkorb zusammen. Im Bauch ein brodelndes Getobe. Und ein staubig trockener Geschmack am Gaumen. Der staubig trockenborstige Geschmack des Bodenbelags an der Wand. Sie tupfte an ihrer Nase. Sie hatte feuchte Augen. Sie sah ihm ins Gesicht. Er hob seinen Blick und schaute sie zurück an. Dann schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. Amy, sagte er. Es wäre schon o.k. Sie wäre schon o.k. Gregory war plötzlich vergnügt. Wenn er sie so anschaue. Sie habe eine große Zukunft vor sich. Eine wirklich großartige Zukunft. Sie würde schon sehen. Sie habe nicht nur das Aussehen dafür. Sie habe auch die richtige Biographie. Sie müsse einsehen, dass sie mit einem solchen Job die Möglichkeit habe, ihre Biographie kreativ nutzen zu können. Alle Wut und Verzweiflung, die das Leben bis jetzt in sie vergraben habe. Alle diese Wut und Verzweiflung könne sie freisetzen. Sich befreien davon. Überwinden. Wäre das nicht die ultimative Erfüllung. Sie wäre auf dem richtigen Weg. Er könne das ja beurteilen, und er läge da immer richtig. Er habe eine Begabung darin. Das Potential von Personen zu beurteilen, und er beurteile ihres als sehr hoch. Er könne das sehen. Vor sich sähe er das. Sie mache sich ja keine Vorstellungen, was für ein Potential da draußen existierte. Die Deregulierung der Sicherheitsfrage. Man konnte in Sicherheit dealen. Man konnte den Lauf der Geschichte bestimmen. Schmerzen. Pain and anger. Damit konnte gehandelt werden. Es ging nicht mehr um altmodische Loyalitäten. Es ging um die Macht. Ein wahrhaft königliches Unternehmen. Er habe sie als eine Tochter angesehen. Er habe gedacht, sie könne das alles begreifen. Eine Nachfolgerin. Er wäre bereit, sie alles wissen zu lassen, und sie würde ihn nicht enttäuschen. Er grinste sie an. Er wetzte und grinste sie an. Verschwörerisch. Verschwörerisch triumphal.
Der sommelier räusperte sich. Er stand am Tisch und hielt Gregory eine Flasche hin. Gregory griff nach der Flasche. Fühlte die Temperatur. Der Ärmel seines Sakkos rutschte zurück. Gregorys Rolex war zu sehen. Kurz. Der Anblick. Gregorys Handgelenk. Die dunklen Härchen. Das Silber und Goldglitzern der Rolex. Eine Schwärze fiel von hinten über sie her, und sie stützte ihr Kinn auf ihre Hände, um nicht auf ihren Platzteller geworfen zu werden. Dann legte sie die Hände auf den Platzteller, die Kühle des Metalls zu spüren. Kühlung. Kühle irgendwie. Sie begann, in ihrer Tasche zu wühlen. Ihr Gesicht musste dunkelrot angelaufen sein. Von dieser Hitze. Wallungen. Das waren also Wallungen. Sie hielt den Kopf gebeugt. Aber die Männer konnten nichts bemerken. Sie waren mit dem Öffnen des Weins beschäftigt. Schnüffelten am Kork. Sie besprachen kurz die Frage des Korkens im Gegensatz zum Drehverschluss. Der sommelier wollte Korkverschlüsse. Gregory war dem Drehverschluss gegenüber offener. Für Picknicks wäre das schon sehr praktisch. Da müsse er zustimmen, sagte der sommelier. Was sollte er schon anderes sagen. Er verlor an Kompetenz. Ohne die Korkverschlüsse. Da fiel die Korkschnüffelei aus. Einen Augenblick half ihr die Schadenfreude darüber. Dann übernahmen wieder der Hass und die Wut. Der sommelier war gegen Gregory im Nachteil. Sie lächelte den sommelier strahlend an. Der legte erstaunt den Kopf zur Seite. Dann lächelte er zurück. Gregory ließ gerade den Wein in seinem Mund herumrollen. Er nickte mit vollem Mund. Schluckte. Ja. Das sei eine gute Wahl. Er schaute zum Eingang. Er hob grüßend die Hand. Er nahm seine Serviette vom Schoß und stand auf. Der sommelier schenkte ihr Wein ins Glas. Sie nahm einen großen Schluck. Sie hatte die Stimme von Marina gehört. Gregory ging Marina entgegen. Sie trank das Glas aus. Der sommelier schenkte ihr gleich nach. Sie schaute auf. Er zwinkerte ihr zu. Er war gleich wieder ernst und stellte die Flasche in den Kühler. Er legte seine Serviette darüber und ging. Sie blieb sitzen. Sie spürte im Rücken, wie die beiden auf den Tisch und sie zukamen.
Marina setzte sich auf die Bank. Zwei sehr junge Kellner in weißen Jäckchen eilten mit Tellern und Besteck und Servietten herbei. Sie bauten die Gläser auf. Rückten alles zurecht. Marina schaute Gregory zu, wie er sich wieder an seinen Platz auf der Bank schob. Der maitre d’ kam und schnalzte mit der Serviette. Marina ließ alles geschehen. Aufmerksam. Sie nahm die Speisekarte nicht. Sie nähme nur einen Salat. Mit shrimp. Ob man ihr das machen könne. Der maitre d’ beugte zustimmend seinen Kopf. Ob Madam ihren Salat mit der Hauptspeise nähme oder mit der Vorspeise.»Pigging out?«, fragte Marina Gregory. Gregory zuckte mit den Achseln. Wenn er nun schon hier wäre. What would be the point to sit in the» Savoy Grill «and not eat anything. Der maitre d’ stand abwartend da. Marina schüttelte unwillig den Kopf. Das sei ja ganz gleichgültig. Mit der Hauptspeise. Bei Amalia könnte sie es ja verstehen, sagte sie dann. Die wachse ja wahrscheinlich noch. So groß, wie Amalia wirke.
«I hope not. «sagte sie. Es war wie immer. Marina musste etwas über ihr Aussehen sagen. Über ihren Körper. Sie machte Marina wütend. So, wie sie aussah. Sie war nun schon die zweite Generation, der der Vater unbekannt war und von der man nicht wusste, woher das Aussehen kam. Ohne Vergleiche gab es nur Überraschungen. Ihre Großmutter hatte schon nicht erzählt, wer der Vater ihrer Mutter gewesen war. Ihre Mutter hatte nicht die geringste Ahnung, wer ihr Vater gewesen sein hätte können. Marina war klein. Kleinwüchsig. Winzig. Sie war groß. Großgewachsen. Sehr groß. Sehr schlank. Marina hätte sich das für ihre Tochter gewünscht. Von der war der Vater zwar bekannt. Er war aber mit der mittleren Erbschaft von Marina längst über alle Berge. Die erste hatte sie noch vor ihm fest angelegt gehabt. Marinas Tochter Selina kannte den Namen ihres Vaters. Getroffen hatte sie ihn auch nie. Jedenfalls nicht als halbwegs erwachsene Person. Aber es gab Fotografien. Wenigstens. Und man konnte sagen, woher die großen Ohren kamen.
Marina starrte sie an. Sie schaute Gregory an. Gregory beobachtete Marina. Was war zwischen diesen beiden. Gregory lehnte sich zurück. Er habe nicht erwartet, dass Marina kommen würde, murmelte er. Sonst hätte er natürlich gewartet. Naturally. Marina reagierte nicht. Sie wolle mit Amalia reden. Sie müsse mit Amalia reden. Ob Amalia sich im Klaren sei, was sie da anrichte. Mit ihrer Weigerung. Ob ihr klar wäre, was das für ein Kunstwerk darstelle. So eine Restitutionsvereinbarung mit dem österreichischen Staat. Sie habe gute Lust und gäbe ihr ein paar Ohrfeigen. Slaps. She could slap Amalia. Gregory solle ihr Wein einschenken. Sie bräuchte jetzt ein Glas Wein. Zur Beruhigung. Wenn sie sich nicht beruhigte. Es konnte passieren, dass sie Amalia schlagen müsste. Silly stupid unreliable Amalia. Die perfekte Tochter dieser zwei Schlampen in Wien. Sluts. Verwandte. Relations. Die dümmste Erfindung überhaupt. Marina trank das Glas in einem Zug aus. Beim Abstellen des Glases war es zu sehen. Das Wutzittern.