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Sie solle sich beruhigen. Amy sei ja jetzt da. Sie könne alles besprechen. Aber in Ruhe. Gregory beugte sich über den Tisch und zischte Marina an. Marina sah sich um. Diese paar Leute, sagte sie laut. Wenn das alle seien, die der» Savoy Grill«überreden konnte, ihren lunch hier zu nehmen, dann würde Gordon Ramsay noch einen Konkurs zu seinen bisherigen hinzufügen können. Gregroy verdrehte die Augen. Marina sah das. Sie fuhr auf ihn los. Wie es komme, dass Fiona nicht mit hiersäße. Ob er immer lunches mit Frauen nähme, die seine Töchter sein könnten. Gregory schaute Marina amüsiert an. Er habe Amy für sie hierhergeholt. Sie. Marina habe verlangt, er mache einen Termin mit Amy in London. Damit Marina nicht nach Nottingham fahren müsse. So eilig könne es mit der Sache mit den Wiener Bildern nicht sein, wenn es Marina nicht der Mühe wert war, Amy in Nottingham aufzusuchen. Sie habe zu jedem Zeitpunkt gewusst, wo Amy sich aufgehalten hatte. Er habe nicht gesehen, dass Marina sich beeilt hätte, Amy zu finden.

Sie stand auf. Ging um das Beistelltischchen zum Weinkühler. Sie hob die Flasche heraus. Hielt die Flasche in die Serviette gewickelt. Wer noch Wein brauche. Sie dringend. Sie schaute die beiden an. Der alte Kellner kam eilig an den Tisch. Er nahm ihr die Flasche aus der Hand und schenkte allen nach. Sie setzte sich wieder.

Die Vorspeisen kamen. Die Kellner stellten die Speisen auf die Platzteller. Gleichzeitig. Sie hoben die hochgewölbten Deckel in die Höhe. Gleichzeitig.»King crab and prawn cocktail«, sagte der maitre d’ und wandte sich ab. Die Kellner gingen hinter ihm her. Eine kleine Prozession. Gregory seufzte und beugte sich über seinen Teller. Sie begannen zu essen. Marina trank Wein. Sie nippte immer wieder. Dazwischen drehte sie das Weinglas.

Sie habe große Probleme gehabt, Amalia zu verstehen. Sie hätte mehrere Wochen ihrer Therapie auf Amalia und ihre Probleme verschwenden müssen. Ihr Therapeut habe ihr wieder klargemacht, dass es sich um ein Muster in ihrer Familiensituation handle. Frauen in ihrer Familie. Kein Mann konnte den ungeheuerlichen Ruf und Ruhm ihres Stammvaters erreichen. Trotzdem würde aber jeder Mann an diesem Übermenschen gemessen werden. Er wäre ja schließlich schon ihr Großvater gewesen. Deswegen hatte sie gedacht, dass das nur für sie gelten würde. Dass das alles aber Amalia nicht mehr betraf. Das wäre alles 100 Jahre zurück und Amalia die Ururenkelin. Sie hätte gedacht, dass das alles längst nicht mehr gültig sein könnte. Sie sei aber nun überzeugt worden, dass solche Familiengeschichten. Dass die eine ewige Wirkung ausüben könnten. Sie verstünde also Amalias Weigerung, sich in die Erbengemeinschaft einzuordnen, als eine Form der Flucht vor dieser Familiengeschichte. Sie appelliere aber an Amalia, gerade aufgrund dieser Familiengeschichte zu unterschreiben. Nur zu unterschreiben. Einen Erbverzicht. Ihren Eintritt in die Erbengemeinschaft. Sie könne ja mit dem Geld machen, was sie wolle. Sie müsse es nicht behalten. Andere könnten nicht so einfach auf dieses Geld verzichten.

Gregory verzog den Mund. Er rümpfte wieder die Nase. Sie aß von der Vorspeise. Es schmeckte süßlich und scharf. Der Hummer in großen Stücken. Die Cocktailsauce samtig. Chili am Grund. Sie hörte zu. Marina machte eine Pause und winkte nach dem Kellner. Sie waren in der Ecke allein. Die restlichen Gäste saßen am anderen Ende. Marina trug ein olivfarbenes Mantelkleid von Dior. Mit gelbem Gürtel. Aus der Militaryserie. Die Knöpfe den Ausschnitt entlang bis zu den Schultern. Sie trug keine Strümpfe unter dem sehr kurzen Rock und die höchsten Absätze, die zu finden waren. Ihre Haare waren zu einer Siebziger-Jahre-Frisur toupiert. Aschblond. Hoch um den Kopf und die Deckhaare glatt ausfrisiert. Marina war sicherlich beim Friseur gewesen. Gerade. Das letzte Mal hatte sie dunkelbraune Haare gehabt. Das helle Blond aber besser. Marina drehte sich herum und schlug zwei Gläser gegeneinander.

«What exactly is the relationship between you two?«, fragte sie. Schaute Gregory und Marina an. Abwechselnd. Fragend. Marina stellte die Gläser zurück. Der alte Kellner kam. Langsam. Es kam ihnen schon niemand mehr in die Nähe, dachte sie und lächelte den alten Mann wieder an. Der schenkte ein. Die Flasche war dann leer. Gregory deutete ihm, eine zweite Flasche zu bringen.

Das sei doch ganz unwichtig, sagte Marina. Jetzt ginge es um diese Angelegenheit. Sie und Gregory hätten gleiche Interessen gehabt. Sie sei nicht so sicher, ob das noch der Fall sei. Sie schaute Gregory wütend an.

Ob das mit den Fusionen zu tun habe, fragte sie. Marina wandte sich ihr scharf zu. Gregory schob seinen Teller weg. Ob man das so besprochen habe. In Nottingham, fragte er. Ob sie da etwas gehört hätte. Er müsse das wissen. Er sprach scharf. Er zischte. Er solle sich da jetzt nicht wichtigmachen. Es ginge um eine Familienangelegenheit. Sie habe gedacht, er sei auf ihrer Seite. Marina war rot im Gesicht geworden.

Sie lehnte sich zurück. Sie wusste, wie diese Predigt weitergehen würde, und Marina ließ sich auch nicht weiter unterbrechen. Marina redete weiter. Der sommelier brachte die zweite Flasche. Öffnete sie. Der Kork. Gregory kostete. Neue Gläser wurden gebracht. Es wurde eingeschenkt. Marina redete weiter. Sie wisse, dass Amalia Probleme damit habe, dass ihr unbekannter Großvater wahrscheinlich ein Nazi war. Sie wüssten ja alle, warum ihre Schwester den Namen nicht preisgeben wollte. Er war nicht koscher. Die ganze Sache war übel. Wenn es eine Gerechtigkeit gäbe, würde schon die Mutter von Amalia aus der Erbfolge ausgeschlossen worden sein. Und am besten gleich ihre Schwester. Amalias Großmutter also. Die habe sich von Anfang an nicht ihrer Erbschaft würdig erwiesen. Auf keiner Ebene. Sie habe ihr ganzes Leben nichts als Schwierigkeiten mit dieser Schwester gehabt und immer alles regeln müssen. Dabei sei sie die Jüngere. Aber die habe selbst ja auch schon einen anderen Vater als sie. Ihr Vater. Der wäre wenigstens ein Künstler gewesen. Sie. Marina. Sie sei dadurch die natürliche und soziale Erbin geworden. Aber wie gesagt. Sie sei diese Schwierigkeiten gewohnt. Sie sei eine Märtyrerin. Aber jetzt sei es einfach genug. Sie könne nicht einsehen. Niemand könne das einsehen. Wieso und warum Amalia diese Angelegenheit zum Scheitern bringen wolle. Es gäbe Kräfte in Österreich. Und da solle sie sich keine Illusionen machen. Es gäbe Kräfte in Österreich, die alles tun würden. Aber auch alles. Um diese Restitution zu verhindern. Diesen Kräften wäre alles recht. Jede Ausrede käme denen parat, und sie. Amalia. Sie würde diesen Kräften in die Hände spielen. Sie unterstütze damit alle diese alten Nazis da. Man müsse sich immer erinnern, dass da heute die Kinder von den Arisierern an der Macht wären. Amalia müsse ihre Erbschaft aus dem Holocaust akzeptieren. Da könne sie nichts dagegen tun. Selbst wenn sie halb aus dem Holocaust käme und halb aus einer Nazifamilie stamme. Die Holocausterbschaft verpflichte sie, und wenn sie das nicht bald einsähe, dann tue es ihr leid. Aber sie müsse dann sagen, dass Amalia eine Schande wäre. Eine Schande sei. Eine Schande wäre und dann verzichten solle. Dann solle Amalia einen Erbverzicht unterschreiben und ein Ende machen. Amalia solle diese unwürdigen Verhandlungen beenden. Sie habe es satt, hinter Amalia hertelefonieren zu müssen. Mit diesen seltsamen Leuten da in Stockerau. Nie wäre sie in ihrer Wohnung zu erreichen, und jedes Mal sei da jemand anderer dran. Wohne sie denn überhaupt noch in Wien. Sie habe etwa dreihunderttausend Nachrichten auf Amalias cell phone hinterlassen. Sie sei am Ende. Und sie müsse zugeben. Sie sei gedemütigt. Ob Amalia zufrieden sei damit.