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Doch wenn wir herausfinden, wer wir sind, kommen wir nicht umhin, die Möglichkeit ins Auge zu fassen, unsere Gewohnheiten aufzugeben. Und das erschreckt uns. Statt ein Risiko einzugehen, sagen wir lieber: ›Ich habe nicht gehandelt, weil man mich nicht gelassen hat.‹

Das ist bequemer. Und sicherer. Doch zugleich bedeutet es, auf ein selbstbestimmtes Leben zu verzichten.

Wehe denen, die vorgeben, sie hätten keine Gelegenheit zum Handeln bekommen. Denn sie werden mit jedem Tag tiefer in den Brunnen der eigenen Beschränkungen hinabsinken und irgendwann keine Kraft mehr haben, wieder zum Licht aufzusteigen, das hoch oben über ihren Köpfen leuchtet.

Gesegnet seien die, die sagen: ›Ich wage es nicht.‹

Denn sie begreifen, dass sie niemand anderem die Schuld in die Schuhe schieben können. Und früher oder später werden sie das notwendige Selbstbewusstsein aufbringen, sich dem Alleinsein und seinen Geheimnissen zu stellen.

Und diejenigen, die sich vor dem Alleinsein nicht fürchten, erwartet ein neues Lebensgefühl.

In der Abgeschiedenheit werden sie der Liebe gewahr werden, die manchmal unbemerkt kommt.

In der Abgeschiedenheit werden sie die Liebe, die gegangen ist, begreifen und achten.

In der Abgeschiedenheit werden sie lernen, dass Neinsagen nicht immer ein Mangel an Großzügigkeit und dass Jasagen nicht immer eine Tugend ist.

Und diejenigen, die in diesem Augenblick allein sind, sind auch gefeit gegen die Worte des Dämons: ›Du vergeudest deine Zeit.‹ Und auch gegen die noch machtvolleren Worte des Obersten Dämons: ›Du bist für niemanden wichtig.‹

Die göttliche Kraft hört uns, wenn wir mit den anderen sprechen, aber sie hört uns auch, wenn wir still dasitzen und das Alleinsein genießen.

In solchen Augenblicken erleuchtet Gottes Licht alles ringsum und lässt uns erkennen, wie sehr wir gebraucht werden, wie entscheidend unsere Anwesenheit auf Erden für seine Arbeit ist.

Und wenn wir diesen Zustand des inneren Einklangs erreichen, erhalten wir mehr als das, worum wir gebeten haben.

Und jene, die das Alleinsein bedrückt, sollten sich in Erinnerung rufen, dass wir in den entscheidenden Augenblicken des Lebens immer allein sind.

Wie das Kind, wenn es aus dem Leib der Mutter kommt. Egal, wie viele Menschen bei seiner Geburt zugegen sind, letztlich entscheidet es allein, ob es leben will.

Wie der Künstler, der allein sein und den Stimmen der Engel lauschen muss, damit seine Arbeit wirklich gut wird.

Wie wir, wenn wir dereinst im wichtigsten und meistgefürchteten Augenblick unseres Lebens allein sein werden – im Angesicht des von uns ungeliebten Todes.

So wie die Liebe zu Gott gehört, gehört das Alleinsein zum Menschen. Und beide bestehen für jene einträchtig nebeneinander, die das Wunder des Lebens begreifen.«

Und ein junger Mann, der

ausgewählt worden war,

die Stadt zu verlassen,

zerriss seine Kleider und sagte:

»Meine Stadt hält mich für

kampfuntauglich. Ich werde

nicht gebraucht.«

Und der Kopte antwortete:

»Es gibt Menschen, die sagen: ›Keiner liebt mich.‹ Doch auch wenn eine Liebe nicht erwidert wird, bleibt immer noch die Hoffnung, dass sie es eines Tages doch wird.

Andere schreiben in ihr Tagebuch: ›Mein Genie wird verkannt, mein Talent nicht gewürdigt, und meine Träume werden nicht ernst genommen.‹ Aber auch für sie besteht Hoffnung, dass sich das Blatt nach langem Ringen wenden wird.

Andere verbringen ihre Tage damit, an Türen anzuklopfen und sich für eine Arbeit zu bewerben, im Wissen, dass ihre Geduld eines Tages belohnt und eine Tür sich öffnen wird.

Aber es gibt auch solche, die Morgen für Morgen mit schwerem Herzen aufwachen und nicht auf der Suche nach Liebe, Anerkennung oder Arbeit sind.

Und sie fragen sich: ›Warum nur werde ich nicht gebraucht?‹ Ich lebe, weil ich überleben muss, aber niemand, wirklich niemand, interessiert sich für das, was ich tue.‹

Sie sitzen im Sonnenschein mit ihrer Familie zusammen. Ihre Fröhlichkeit ist aber nur vorgetäuscht. Eigentlich müssten sie zufrieden sein, aber sie haben das Gefühl, dass alle auch ohne sie auskommen könnten. Entweder weil sie noch jung sind und spüren, dass die Älteren mit anderen Dingen beschäftigt sind, oder weil sie alt sind und glauben, die Jüngeren würden dem, was sie zu sagen haben, keine Bedeutung beimessen.

Der Dichter schreibt ein paar Zeilen und wirft sie dann weg, weil er denkt: ›Das interessiert ohnehin niemanden.‹

Derjenige, der eine Arbeit hat, kommt zur Arbeit und tut jeden Tag nur dasselbe, was er schon am Vortag getan hat. Und er ist überzeugt, dass ihn im Falle seiner Entlassung niemand vermissen würde.

Eine junge Frau, die mit viel Liebe ihr Festgewand selbst entworfen und genäht hat, erscheint zum Fest und erntet nur Blicke, die besagen: Du bist zwar weder hübscher noch hässlicher als die anderen jungen Frauen, und auch dein Kleid ist weder hübscher noch hässlicher als die abertausend Roben, die gerade auf einem der abertausend Feste überall auf der Welt getragen werden – in großen Schlössern wie in kleinen Dörfern, wo jeder jeden kennt und jede das Kleid der anderen kommentiert –, nur das der jungen Frau nicht.

Die nun denkt, dass damit die ganze Arbeit umsonst war.

Die jungen Leute, die sehen, dass die Welt vor großen Problemen steht, träumen davon, sie zu lösen, doch niemand ist an ihrer Meinung interessiert. ›Wie wollt ihr die Probleme lösen, wenn ihr die Welt doch noch gar nicht kennt?‹, werden sie abgefertigt. ›Hört auf die Älteren, sie wissen besser, was zu tun ist.‹

Und die alten, reifen Leute, die auf die harte Tour ihre Erfahrungen im Leben gemacht haben und sie gerne an die Jüngeren weiterreichen würden, stellen fest, dass diese nicht daran interessiert sind. ›Die Welt hat sich verändert‹, werden sie abgefertigt. ›Man muss mit der Zeit gehen und auf die Jüngeren hören.‹

Der mangelnde Respekt macht weder vor Jungen noch vor Alten halt, und das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, zersetzt die Seele, indem es unablässig wiederholt: ›Niemand interessiert sich für dich, die Welt braucht dich nicht.‹

Im verzweifelten Versuch, ihrem Leben einen Sinn zu geben, wenden sich viele der Religion zu, denn sie finden sich durch einen Kampf gerechtfertigt, der im Namen des Glaubens geführt wird und der für etwas Großes steht, das die Welt verändern kann. ›Wir arbeiten für Gott‹, sagen sie sich.

Zuerst werden sie fromm. Dann werden sie zu Wanderpredigern. Und schließlich zu Fanatikern.

Sie begreifen nicht, dass Religionen ursprünglich dazu dienten, die Mysterien und die Anbetung der göttlichen Kraft in der Gemeinschaft zu feiern – niemals aber dazu, andere zu unterdrücken oder gar zu bekehren.

Die höchste Manifestation des Wunders Gottes ist das Leben.

Heute Nacht werde ich um dich weinen, Jerusalem, denn dieses Verständnis der göttlichen Einheit wird für tausend Jahre verschwinden.

Frag die Blume auf dem Feld: ›Wie kannst du dich nützlich fühlen, wenn du nichts anderes tust, als immer gleiche Blüten hervorzubringen?‹

Und sie wird antworten: ›Ich bin schön, und die Schönheit an sich rechtfertigt mein Dasein.‹

Frag einen Fluss: ›Fühlst du dich nützlich, schließlich fließt du immer in dieselbe Richtung?‹

Und er wird antworten: ›Ich versuche nicht, nützlich zu sein, ich versuche, ein Fluss zu sein.‹

Nichts und niemand auf dieser Welt ist in den Augen Gottes überflüssig. Weder das Blatt, das vom Baum, noch das Haar, das vom Kopf fällt, noch ein Insekt, das getötet wird, weil es störte. Alles hat seine Daseinsberechtigung.