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Kampf der Mächte eine Rolle spielen, öffentlich ganz rückhaltlos zu sprechen. Das ist selbstverständlich. In der ganzen Welt kann es der politische Takt gebieten, jeweils über gewisse Fragen und Tatsachen im Interesse der günstig-sten Lösung zu schweigen – wenn es auch schmerzlich und nicht der ideale Zustand ist. Unsere Wahrhaftigkeit ge-bietet uns, das einzugestehen. Niemand aber hat hier ein Recht der Anklage. Über alles nach Lust und Willkür zu reden, ist ohnehin Zuchtlosigkeit.

Nur was man redet, soll bedingungslos wahr sein.

Das je gegenwärtige politische Geschehen ist nicht Gegenstand der Universitätsvorlesungen in dem Sinne, daß hier Politik gemacht würde. Es ist niemals Sache der Vorlesungen, die Regierungen in ihren Handlungen zu kritisieren oder zu belobigen – wohl aber etwa, deren tatsächliche Struktur wissenschaftlich zu klären.

Daß wir heute eine Militärregierung haben, heißt, ohne daß es ausdrücklich gesagt zu werden brauchte, daß wir kein Recht haben, die Militärregierung zu kritisieren.

Das alles bedeutet aber keine Einschränkung unserer Forschung, sondern nur einen kräftigen Zwang, das nicht zu tun, was niemals unsere Sache ist, nämlich in politische Handlungen und Entscheidungen des Tages einzugreifen.

Es schiene mir böswillig, darin eine Beschränkung unserer Wahrheitserforschung zu sehen.

Diese bedeutet vielmehr: Wir dürfen das methodisch Erforschbare nach allen Seiten mit allen Mitteln zu erkennen suchen. Wir haben die Möglichkeit der Vielfalt unserer Anschauungen und der Diskussion, aber auch die Gefahr der Zerstreuung und der Bodenlosigkeit.

Das heißt wiederum nicht: Wir hätten Freiheit für Propaganda. Solche würde vielleicht geduldet, wenn sie auf der Linie der heute gültigen politischen Zwecke läge. Sie wäre an der Universität auch dann ein Unheil. Wir haben Wahrheit nicht durch schnelle Behauptungen zu ergreifen, sondern haben zu prüfen, zu erwägen, uns zu besinnen, im Hin und Her, im Für und Wider zu erörtern, die eigenen Behauptungen in Frage zu stellen. Wahrheit ist nicht da als fertig lieferbare Ware, sondern ist nur in der methodi-schen Bewegung, in der Besonnenheit der Vernunft.

Was ich bisher sagte, gilt von unserer Universität über-13

haupt, ihrer Lehre und Forschung. Für unsere gegenwärtige Vorlesung sind die angedeuteten Probleme der Spannung in besonderer Schärfe da.

Ich möchte zu Ihnen sprechen über unsere Situation, streife also ständig an das unmittelbar Aktuelle, das als konkrete Politik nicht unser Thema ist und nicht sein soll.

Worauf wir uns besinnen wollen, das ist aber eine Voraussetzung auch für unser politisches Urteilen.

Ich möchte sprechen aus philosophischen Motiven, um uns zu klären und zu ermutigen. Die Wahrheit soll uns helfen, unseren Weg zu finden.

Für diese Überlegungen wollen wir uns zunächst zwei Notwendigkeiten vergegenwärtigen, deren Bewußtheit mir für uns Deutsche in unserer heutigen Lage besonders unerläßlich dünkt. Wir müssen lernen, miteinander zu reden, und wir müssen uns gegenseitig in unseren außerordentlichen Verschiedenheiten verstehen und anerkennen. Diese Verschiedenheiten sind so groß, daß wir uns in Grenzfällen wie aus verschiedenen Völkern zu stammen scheinen.

§ 1. Miteinanderreden

Wir müssen uns in Deutschland miteinander geistig zu-rechtfinden. Wir haben noch nicht den gemeinsamen Boden. Wir suchen zusammen zu kommen.

Vom Katheder zu sprechen ist aber notwendig einseitig.

Hier unterhalten wir uns nicht. Was ich Ihnen vortrage, ist jedoch erwachsen aus dem Miteinandersprechen, das wir alle, jeder in seinem Kreise, vollziehen. Wie dieses überall stattfindet, das ist das Ethos der Atmosphäre, in der wir leben.

Jeder muß mit den Gedanken, die ich vortrage, auf seine Weise umgehen – er soll sie nicht als gültig einfach hin-nehmen, sondern erwägen –, aber auch nicht einfach wider-sprechen, sondern versuchen, vergegenwärtigen und prüfen.

Wir wollen lernen, miteinander zu reden. Das heißt, wir wollen nicht nur unsere Meinung wiederholen, sondern hören, was der andere denkt. Wir wollen nicht nur behaupten, sondern im Zusammenhang nachdenken, auf Gründe hören, bereit bleiben, zu neuer Einsicht zu kommen. Wir wollen den andern gelten lassen, uns innerlich versuchs-weise auf den Standpunkt des andern stellen. Ja, wir wollen 14

das uns Widersprechende geradezu aufsuchen. Der Gegner ist zum Erreichen der Wahrheit wichtiger als der Einstim-mende. Das Ergreifen des Gemeinsamen im Widersprechen-den ist wichtiger als die voreilige Fixierung von sich aus-schließenden Standpunkten, mit denen man die Unterhaltung als aussichtslos beendet.

Es ist so leicht, entschiedene Urteile affektbetont zu vertreten; es ist schwer, ruhig zu vergegenwärtigen und mit Wissen um alle Gegenstände das Wahre zu sehen. Es ist leicht, mit trotzigen Behauptungen die Kommunikation ab-zubrechen; es ist schwer, unablässig über Behauptungen hinaus in den Grund der Wahrheit einzudringen. Es ist leicht, eine Meinung aufzugreifen und festzuhalten, um sich weiteren Nachdenkens zu überheben; es ist schwer, Schritt für Schritt voranzukommen und niemals das weitere Fragen zu verwehren.

Wir müssen die Bereitschaft zum Nachdenken wiederherstellen gegen die Neigung, alles gleichsam in Schlag-zeilen plakatiert schon fertig zu haben. Dazu gehört, daß wir uns nicht berauschen in Gefühlen des Stolzes, der Verzweiflung, der Empörung, des Trotzes, der Rache, der Verachtung, sondern daß wir diese Gefühle auf Eis legen und sehen, was wirklich ist. Wir müssen solche Gefühle suspen-dieren, um das Wahre zu erblicken, um liebend in der Welt zu sein.

Aber nun gilt vom Miteinanderreden auch umgekehrt: Es ist leicht, alles unverbindlich zu denken und sich nie zu entscheiden; es ist schwer, in der Helligkeit allseitig offenen Denkens den wahren Entschluß zu fassen. Es ist leicht, durch Reden sich um die Verantwortung zu drücken; es ist schwer, den Entschluß unbedingt, aber ohne Eigensinn, festzuhalten. Es ist leicht, jederzeit in der Situation dem geringsten Widerstand zu folgen; es ist schwer, in der Führung durch den unbedingten Entschluß durch alle Beweglichkeit und Biegsamkeit des Denkens den entschiedenen Weg einzuhalten.

Diese Schwierigkeiten lassen uns nach entgegengesetzten Seiten in die Irre geraten. Wir kommen nicht weiter, wenn wir die eben geschilderten Abgleitungen der einen Seite gegen die der anderen ausspielen. Es gibt auch nicht das Mittlere. Vielmehr liegt der Weg des Menschen zum Wah-15

ren in dem Raum der Ursprünge, von denen jene Abgleitungen erfolgen. Dort gehen wir, wenn wir wirklich miteinander zu reden vermögen. Dazu muß ständig etwas in uns bleiben, das dem anderen vertraut und Vertrauen verdient. Dann wird im Wechselgespräch jene Stille möglich, in der man gemeinsam horcht, und hört, was wahr ist.

Daher wollen wir nicht zornig aufeinander werden, sondern versuchen, miteinander den Weg zu finden. Der Affekt spricht gegen die Wahrheit des Redenden. Wir wollen keinen fanatischen Willen herauskehren, uns nicht überschreien.

Wir wollen uns nicht pathetisch an die Brust schlagen, um den anderen zu beleidigen, wollen nicht in Selbstzufrieden-heit preisen, was nur zur Kränkung des andern gemeint ist.

Wir wollen uns nicht gegenseitig Meinungen aufzwingen.

Im gemeinsamen Suchen des Wahren aber darf es keine Schranken geben durch schonende Zurückhaltung, keine Milde durch Verschweigen, keinen Trost durch Täuschung.

Es gibt keine Frage, die nicht gestellt werden dürfte, keine liebgewordene Selbstverständlichkeit, kein Gefühl, keine Lebenslüge, die zu schützen wären oder die unberührbar wären. Aber erst recht darf es nicht erlaubt sein, sich frech ins Gesicht zu schlagen durch herausfordernde, unbegründete, leichthin gefällte Urteile. Wir gehören zusammen; wir müssen unsere gemeinsame Sache fühlen, wenn wir miteinander reden.