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Sie gelten juristisch und politisch, nicht moralisch und nicht metaphysisch.

Von innen hört der Schuldige die Vorwürfe in bezug auf sein moralisches Versagen und seine metaphysische Brü-chigkeit, und sofern hier der Ursprung politischen und verbrecherischen Handelns oder Nichthandeins liegt, auch in bezug auf diese.

Moralisch kann man Schuld nur sich selber geben, nicht dem andern, oder doch nur dem andern in der Solidarität liebenden Kampfes. Niemand kann den andern moralisch richten, es sei denn errichtet ihn in der inneren Verbundenheit, als ob er es selbst wäre. Nur wo der andere wie ich selbst für mich ist, da ist die Nähe, die in freier Kommunikation gemeinsame Sache werden lassen kann, was zuletzt ein jeder in der Einsamkeit vollzieht.

Schuld des andern behaupten, das kann nicht die Gesinnung treffen, sondern nur bestimmte Handlungen und Verhaltungsweisen. Bei der individuellen Beurteilung sucht man zwar die Gesinnung und die Motive zu berücksichti-gen, kann dies aber wahrheitsgemäß nur erreichen, soweit 37

auch diese an objektiven Kennzeichen, d. h. Handlungen und Verhaltungsweisen, feststellbar sind.

b) Es ist die Frage, in welchem Sinne ein Kollektiv, in welchem nur der einzelne beurteilt werden kann. Ohne Zweifel ist es sinnvoll, alle Staatsangehörigen eines Staates für die Folgen haftbar zu machen, die aus dem Handeln dieses Staates entstehen. Hier wird ein Kollektiv getroffen.

Diese Haftung aber ist bestimmt und begrenzt, ohne moralische und metaphysische Beschuldigung der einzelnen.

Sie trifft auch diejenigen Staatsangehörigen, welche sich gegen das Regime und gegen die in Betracht kommenden Handlungen gewehrt haben. Analog gibt es Haftungen für die Angehörigkeit zu Organisationen, Parteien, Gruppen.

Für Verbrechen kann je nur der einzelne bestraft werden sei es, daß er es allein ist, oder daß er eine Reihe von Komplizen hat, die jeder für sich nach dem Maße der Teilnahme und im Minimum schon durch ihre bloße Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft zur Rechenschaft gezogen werden. Es gibt Zusammenrottungen von Räuberbanden, Verschwö-rern, die als Ganzes als verbrecherisch gekennzeichnet werden können. Dann macht die bloße Zugehörigkeit straffällig.

Es ist aber sinnwidrig, ein Volk als Ganzes eines Verbrechens zu beschuldigen. Verbrecher ist immer nur der einzelne.

Es ist auch sinnwidrig, ein Volk als Ganzes moralisch anzuklagen. Es gibt keinen Charakter eines Volkes derart, daß jeder einzelne der Volkszugehörigen diesen Charakter hätte. Wohl gibt es Gemeinsamkeiten der Sprache, der Sit-ten und Gewohnheiten, der Herkunft. Aber darin sind zugleich derartig starke Differenzen möglich, daß Menschen, die dieselbe Sprache reden, doch darin sich so fremd bleiben können, als ob sie gar nicht zum gleichen Volke gehörten.

Moralisch kann immer nur der einzelne, nie ein Kollektiv beurteilt werden. Die Denkform, die Menschen in Kollektiven anzuschauen, zu charakterisieren und zu beurteilen, ist ungemein verbreitet. Solche Charakteristiken – etwa der Deutschen, der Russen, der Engländer – treffen nie Gat-tungsbegriffe, unter denen die einzelnen Menschen subsu-miert werden können, sondern Typenbegriffe, denen sie mehr oder weniger entsprechen. Die Verwechslung der gat-tungsmäßigen mit der typologischen Auffassung ist das Zei-38

chen des Denkens in Kollektiven: die Deutschen, die Engländer, die Norweger, die Juden – und beliebig weiter: die Friesen, die Bayern – oder: die Männer, die Frauen, die Jugend, das Alter. Daß durch die typologische Auffassung etwas getroffen wird, darf nicht zu der Meinung verführen, jedes Individuum erfaßt zu haben, wenn man es als durch jene allgemeine Charakteristik getroffen betrachtet. Das ist eine Denkform, die sich durch die Jahrhunderte zieht als ein Mittel des Hasses der Völker und Menschengruppen untereinander. Diese den meisten leider natürliche und

selbstverständliche Denkform haben die Nationalsozialisten in der bösesten Weise angewendet und durch ihre Propaganda den Köpfen eingehämmert. Es war, als gäbe es keine Menschen mehr, sondern nur noch jene Kollektive.

Ein Volk als Ganzes gibt es nicht. Alle Abgrenzungen, die wir vornehmen, um es zu bestimmen, werden durch Tatbestände überschritten. Die Sprache, die Staatsbürgerschaft, die Kultur, die gemeinsamen Schicksale – alles dieses koinzidiert nicht, sondern überschneidet sich. Volk und Staat fallen nicht zusammen, auch nicht Sprache und gemeinsame Schicksale und Kultur.

Ein Volk kann nicht zu einem Individuum gemacht werden. Ein Volk kann nicht heroisch untergehen, nicht Verbrecher sein, nicht sittlich oder unsittlich handeln, sondern immer nur die einzelnen aus ihm. Ein Volk als Ganzes kann nicht schuldig und nicht unschuldig sein, weder im krimi-nellen, noch im politischen (hier haften nur die Bürger eines Staates), noch im moralischen Sinn.

Die kategoriale Beurteilung als Volk ist immer eine Ungerechtigkeit; sie setzt voraus eine falsche Substantiali-sierung, – sie hat eine Entwürdigung des Menschen als einzelnen zur Folge.

Die Weltmeinung aber, die einem Volke die Kollektivschuld gibt, ist eine Tatsache von derselben Art, wie die, daß in Jahrtausenden gedacht und gesagt wurde: die Juden sind schuld, daß Jesus gekreuzigt wurde. Wer sind die Juden? eine bestimmte Gruppe politisch und religiös eifern-der Menschen, die unter den Juden damals eine gewisse Macht hatten, welche in Kooperation mit der römischen Besatzung zur Hinrichtung Jesu führte.

Das Übermächtige einer solchen zur Selbstverständlich-39

keit werdenden Meinung, auch bei denkenden Menschen, ist so erstaunlich, weil der Irrtum so einfach und offenbar ist. Man steht wie vor einer Wand, als ob kein Grund, keine Tatsache mehr gehört werde, oder, wenn gehört, so doch sofort wiedervergessen würde, ohne zur Geltung zu kommen.

Kollektivschuld eines Volkes oder einer Gruppe innerhalb der Völker also kann es – außer der politischen Haftung –

nicht geben, weder als verbrecherische, noch als moralische, noch als metaphysische Schuld. Ein Kollektiv für schuldig zu erklären, das ist ein Irrtum, der der Bequem-lichkeit und dem Hochmut durchschnittlichen, unkritischen Denkens nahe liegt.

c) Zu Anklage und Vorwurf muß ein Recht sein. Wer hat das Recht zu richten? Jeder Urteilende darf der Frage ausgesetzt werden, welche Vollmacht er habe, zu welchem Zweck und aus welchem Motive er urteile, in welcher Lage er und der Beurteilte einander gegenüberstehen.

Niemand braucht in moralischer und metaphysischer Schuld einen Richterstuhl in der Welt anzuerkennen. Was vor liebenden Menschen in nächster Verbundenheit möglich ist, ist nicht in Distanz kalter Analyse erlaubt. Was vor Gott gilt, gilt darum nicht auch vor Menschen. Denn Gott hat keine ihn vertretende Instanz auf Erden, weder in Ämtern der Kirchen, noch in auswärtigen Ämtern der Staaten, noch in einer durch die Presse kundgegebenen öffentlichen Meinung der Welt.

Wenn in der Lage der Kriegsentscheidung geurteilt wird, so hat der Sieger in bezug auf das Urteil über die politische Haftung das absolute Vorrecht: er hat sein Leben eingesetzt und die Entscheidung ist für ihn gefallen. Aber man fragt: »Darf ein Neutraler überhaupt vor der Öffentlichkeit urteilen, nachdem er im Kampfe fehlte, sein Dasein und sein Gewissen nicht in der Hauptsache einsetzte?« (aus einem Briefe).

Wenn unter Schicksalsgefährten, heute unter Deutschen, von moralischer und metaphysischer Schuld in bezug auf den einzelnen Menschen gesprochen wird, so ist das Recht zum Urteil spürbar in der Haltung und Stimmung des Ur-teilenden: ob er von Schuld spricht, die er selber mitträgt oder nicht, ob er also von innen oder von außen, als Selbsterheller oder als Ankläger, damit als Nahverbundener zur 40