Выбрать главу

»Wenn dieses Geheimnis tatsächlich so groß ist, und seit Jahrtausenden so gut gehütet wird -wieso haben Sie uns dann hierhergebracht?« Lady Grandersmith lächelte. »Ich dachte schon, Sie stellen diese Frage nie, Mister Trautman. Ich beantworte Sie Ihnen gerne. Ich brauche Sie. « »Mich?«

»Euch alle«, verbesserte sich Lady Grandersmith. »Und euer Schiff. « Sie deutete auf das Wasser. »Dieser See hat eine unterirdische Verbindung zum Ozean. Es gibt etwas, was hierhergebracht werden muß. Sehr schnell und unbemerkt. « »Was?« wollte Mike wissen.

»Das kann ich euch nicht sagen«, antwortete Lady Grandersmith. »Noch nicht. Aber der einzige Weg, es schnell genug hierherzubringen und ohne Aufsehen zu erregen, ist der über das Wasser. « »Aber wie kommen Sie auf die Idee, daß wir Ihnen dabei helfen könnten?« fragte Trautman mißtrauisch. Lady Grandersmith schüttelte tadelnd den Kopf. »Aber Mister Trautman, ich bitte Sie! Nach allem, was ich Ihnen gezeigt habe, sollten auch Sie ehrlich zu mir sein. «

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, antwortete Trautman. Er klang plötzlich sehr nervös. »Tatsächlich nicht? Nun, der einzige Weg, hierherzukommen, ohne daß die Menschen oben es bemerken, führt über diesen Fluß. Und Sie, mein lieber Trautman, und Ihre jungen Freunde hier besitzen das einzige Schiff auf dieser Welt, das diesen Weg nehmen kann. « »Von welchem Schiff reden Sie?« fragte Trautman jetzt nicht mehr nervös, sondern regelrecht entsetzt. »Von der NAUTILUS natürlich«, antwortete Lady Grandersmith. »Wovon denn sonst?«

Mike konnte sich kaum daran erinnern, wie sie die Pyramide verlassen hatten; geschweige denn an den Rückweg. Von der Faszination, mit der sie der verborgene Zugang zu der Pyramide und deren uraltes Geheimnis erfüllt hatte, war nichts mehr geblieben. Lady Grandersmith' Eröffnung hatte ihnen allen einen regelrechten Schock versetzt -er begriff einfach nicht, wie er sich derartig in der vermeintlich harmlosen freundlichen Lady hatte täuschen können. Sie waren in dem großen Kaminzimmer der Villa zusammengekommen. Yasal hatte Tee und Gebäck serviert, das jedoch keiner von ihnen auch nur angerührt hatte, obwohl es wirklich verlockend duftete. Aber ihnen war nicht nach Essen zumute. »Nun, Mister Trautman«, begann Lady Grandersmith, nachdem sie eine geraume Weile vergeblich darauf gewartet hatte, daß ihre Gäste den Imbiß zu sich nahmen, und ihre Gäste umgekehrt, daß Yasal und Hasim gingen. »Ich denke, Sie hatten jetzt hinlänglich Zeit, über meine Worte nachzudenken. Ich möchte nicht unhöflich sein und drängen, aber uns bleibt nicht mehr sehr viel Zeit. Und es gibt eine Menge Vorbereitungen zu treffen, wenn Sie verstehen, was ich meine. «

Trautman warf einen hilfesuchenden Blick in die Runde und zögerte einige Sekunden, ehe er endlich antwortete: »Ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht so ganz, was... was Sie überhaupt von uns erwarten, Mylady. «

Lady Grandersmith seufzte. »Mister Trautman, ich bitte Sie«, sagte sie. »Vorhin in der Pyramide habe ich Ihre Reaktion ja noch verstanden, aber ich habe Ihnen nun wirklich genug Zeit gelassen, oder?« »Aber Zeit wozu denn?« fragte Trautman. »Ich verstehe überhaupt nicht, wovon Sie reden!« »Davon, daß ich Ihre Hilfe brauche«, antwortete Lady Grandersmith geduldig. »Die und die Ihrer jungen Freunde hier und vor allem die Ihres Schiffes. « »Ich fürchte, hier liegt ein großes Mißverständnis vor, Mylady«, sagte Trautman. »Wir sind nichts als -« »-die komplette Besatzung der NAUTILUS«, fiel ihm Lady Grandersmith ins Wort. Sie klang jetzt hörbar ungeduldig und auch verärgert. »UndSiesind es, der einem Irrtum erliegt, Kapitän Trautman. Ich verstehe Ihre Vorsicht und auch Ihr Mißtrauen. Aber ich bin nicht Ihre Feindin. Ganz im Gegenteil. « »Haben Sie deshalb versucht, uns entführen zu lassen?« fragte Mike.

Lady Grandersmith sah ihn einen Augenblick lang durchdringend an, ehe ein leichtes, aber ehrlich wirkendes Lächeln auf ihren Lippen erschien. »Ah, Prinz Dakkar«, sagte sie. »So scharfsinnig und klug wie dein Vater, wie ich sehe. « Sie deutete auf Trautman. »Warum sprichst du nicht mit deinem Freund und versuchst, ihn zur Vernunft zu bringen?« »Wie haben Sie mich genannt?« fragte Mike. Er hatte alle Mühe, sich seinen Schrecken nicht zu deutlich anmerken zu lassen. Es war lange her, daß ihn jemand mit diesem Namen angeredet hatte obwohl es sowohl sein richtiger Name als auch sein korrekter Titel war.Aber bis zu dieser Sekunde war er der festen Überzeugung gewesen, daß es auf der ganzen Welt nur sieben Menschen gab, die das wußten, ihn eingeschlossen. Lady Grandersmith seufzte erneut. »Also gut«, sagte sie. »Wenn ihr unbedingt darauf besteht, ein Spiel zu spielen... Ich weiß durchaus, wer du bist, junger Mann. Du bist Prinz Dakkar, der einzige Sohn einer englischen Lady und eines indischen Adeligen, der allerdings weitaus besser unter dem Namen Kapitän Nemo bekannt ist -und nach seinem Tod nicht nur der Erbe seines bedeutenden Vermögens, sondern auch seines Schiffes. «

»Interessant«, sagte Mike. »Von welchem Schiff reden Sie?«

Lady Grandersmith ignorierte die Frage und deutete nacheinander auf Ben, Juan und Chris. »Du bist zusammen mit deinen drei Freunden hier vor gut drei Jahren aus England verschwunden. Alle Welt glaubt, ihr wärt bei einem Schiffsunglück ertrunken, aber das war nur vorgetäuscht, nicht wahr? In Wahrheit seid ihr zusammen mit zwei weiteren Jungen zu einer Karibikinsel gefahren, die auf keiner Karte zu finden ist; einem jungen Deutschen, dem Sohn eines Kapitäns der Kriegsmarine, und einem Franzosen. Dort habt ihr die von aller Welt untergegangen geglaubte NAUTILUS gefunden und mit Hilfe Kapitän Trautmans wieder seetüchtig gemacht. Seither befahrt ihr damit die Weltmeere und seid abwechselnd auf der Flucht vor der deutschen und der englischen Kriegsmarine nebst einiger anderen unerfreulichen Zeitgenossen, die sich zu gerne das Geheimnis der NAUTILUS aneignen würden. « Trautman war kreidebleich geworden, und auch Mike spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Keiner von ihnen sagte auch nur ein Wort.

»Soll ich noch mehr erzählen?« fragte Lady Grandersmith. Als niemand antwortete, fuhr sie fort: »Euer Freund Andre ist von einer Expedition auf den Meeresgrund nicht zurückgekehrt; Kapitän Winterfelds Sohn Paul kam im vergangenen Herbst ums Leben; ebenso wie sein Vater, der versuchte, sich die NAUTILUS anzueignen, um mit ihrer Hilfe eine neue Eiszeit heraufzubeschwören. Ihr seht also, ich bin gut informiert. « Sie schwieg einen Moment, während dem ihr Blick durchdringend auf Serena ruhte. »Nur wer du bist, junge Dame, weiß ich nicht genau. Jedenfalls wußte ich es bis jetzt nicht. Aber seit heut abend habe ich da gewisse... Vermutungen. Der Palast deines Vaters war tatsächlich viermal so groß wie die Pyramiden von Gizeh, sagst du? Das ist beeindruckend. « »Lady Grandersmith«, sagte Trautman scharf. »Das ist die phantastischste Geschichte, die ich jemals gehört habe, aber ich versichere Ihnen, daß wir nicht die geringste Ahnung haben -«

»Aber, aber«, unterbrach ihn Lady Grandersmith kopfschüttelnd. »Ein Mann sollte begreifen, wann er verloren hat,

Mister Trautman -oder sollte ich besser sagenHerrTrautman?«

»Wie?« fragte Ben überrascht.

Trautman sah betroffen drein, antwortete aber nicht. An seiner Stelle tat es Lady Grandersmith. »Um genau zu sein,Korvettenkapitän Alfons Trautman«,sagte sie. »Ehemals Offizier der deutschen Kriegsmarine, bis er sich auf Kapitän Nemos Seite schlug und zu seinem besten und treuesten Verbündeten wurde. Ich habe nie herausgefunden, warum Sie damals Ihren Eid gebrochen haben und Pirat wurden, aber ich nehme an, Sie hatten Ihre Gründe. « »Kapitän Nemo war kein Pirat!« protestierte Mike. »Nein, natürlich nicht«, sagte Trautman. »Weil es ihn nie gegeben hat. Ebensowenig wie die NAUTILUS. Sie ist nichts als eine Legende. «