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»Es war die TITANIC«, sagte Lady Grandersmith leise. »Sie wissen, was geschah. Sie kollidierte mit einem Eisberg und sank in kurzer Zeit. «

»Die TITANIC?« Mike hätte das Wort fast geschrieen. Mit einem Mal begriff er den Ausdruck ungläubigen Schreckens auf Trautmans Gesicht. Jeder hatte von der furchtbaren Katastrophe gehört, die das gewaltige Schiff auf seiner Jungfernfahrt heimgesucht hatte. Es war mit mehr als eintausendfünfhundert Passagieren an Bord in den eisigen Fluten versunken, und niemand wußte genau, wo.

»Ja«, sagte Lady Grandersmith traurig. »Der Schatz befand sich in den Laderäumen der TITANIC, als sie unterging. Und dort ist er noch heute. Es gibt nur ein einziges Schiff auf der Welt, das in der Lage ist, ihn zu bergen und hierher zurückzubringen. Die NAUTILUS. « Mike war wie vor den Kopf geschlagen. Wußte Lady Grandersmith denn überhaupt, was sie da verlangte? Das Wrack der TITANIC lag irgendwo auf dem Meeresgrund, wahrscheinlich Tausende und aber Tausende von Metern tief und möglicherweise sogar in Stücke gebrochen. Und das schlimmste war - niemand wußte genau,wodas Schiff gesunken war. Die TITANIC hatte nur Zeit für einen einzigen Funkspruch gehabt, ehe sie untergegangen war, unddie Positionsangaben der Rettungsschiffe, die herbeigeeilt waren, um die wenigen Überlebenden aufzunehmen, wichen um Meilen voneinander ab. Auf der Karte vielleicht nur ein kleines Gebiet -aber auf dem Meeresgrund ein Areal von schier unvorstellbaren Ausmaßen, in dem sie buchstäblich Monate suchen konnten, ohne das Schiff zu finden. »Lady Grandersmith, es... es tut mir leid«, sagte Trautman zögernd. »Aber ich fürchte, Sie überschätzen uns und auch die Möglichkeiten der NAUTILUS. Niemand weiß genau, wo das Schiff zu finden ist. Und selbst wenn -es könnte in einer Tiefe liegen, die nicht einmal die NAUTILUS erreichen kann. « »Ich kann Sie beruhigen«, sagte Lady Grandersmith. »Wir wissen genau, wo das Schiff liegt. Yasal und Hasim werden Sie begleiten und Ihnen den Ort zeigen. « Trautman schüttelte den Kopf. »Bei allem Respekt, Mylady«, sagte er, »aber ich denke, Sie wissen nicht, was Sie da verlangen. Selbst wenn wir das Schiff finden -es könnte sich als unmöglich erweisen, in das Wrack einzudringen und Ihren Schatz zu bergen. « »Ich sagte Ihnen doch - Yasal und Hasim werden Sie begleiten«, erwiderte Lady Grandersmith. »Sie werden es tun. Sie und Ihre Freunde müssen sie nur hinbringen. Das ist alles, was ich verlange. « »Und ich kann es nicht tun«, beharrte Trautman. »Es ist viel zu gefährlich. Dort unten kann uns alles Mögliche erwarten. Und selbst wenn ich wollte: Die NAUTILUS ist in keinem sehr guten Zustand. Wir brauchen noch Wochen, um sie wieder vollkommen seetüchtig zu machen. «

»Ich bin über den Zustand Ihres Schiffes informiert«, sagte Lady Grandersmith. Ihre Stimme klang noch immer freundlich, aber nun lag eine Spur von Härte darin. »Es liegt unweit des Hafens von Alexandria auf dem Meeresgrund und wartet auf Sie. Es ist wahr, daß die NAUTILUS beschädigt ist, aber nicht annähernd so schlimm, wie Sie behaupten. Was Sie noch an Ersatzteilen brauchen, werden wir bis morgen Abend herschaffen. Und Yasal und Hasim werden Ihnen bei der Reparatur helfen. Die NAUTILUS kann in längstens fünf Tagen auslaufen. «

»Aber das ist nicht dasselbe!« protestierte Trautman. »Es ist ein Unterschied, fünf Meter unter der Wasseroberfläche dahinzufahren oder möglicherweise fünftausend Meter tief auf den Meeresgrund zu tauchen. « »Die TITANIC liegt in einer Tiefe von etwas über zweitausend Metern«, antwortete Lady Grandersmith. »Das ist für die NAUTILUS kein Problem. « »Nicht unter normalen Umständen«, sagte Trautman grimmig. »Jetzt kann es unseren sicheren Tod bedeuten. Sie wissen, was am Polarkreis geschehen ist. Das Schiff wurde schwer beschädigt. Eine einzige undichte Naht, ein winziger Riß, der vielleicht mit bloßem Auge nicht einmal zu sehen wäre, und wir werden zerquetscht wie eine Konservendose. Ich braucheMonate,um sicher zu sein, daß das Schiff diese Belastung aushält. «

»Soviel Zeit bleibt uns nicht«, erwiderte Lady Grandersmith kühl. »Yasal und Hasim müssen ihre Aufgabe in zwei Wochen erledigt haben. « »Unmöglich!« sagte Trautman entschieden. »Es gibt ein gewisses Risiko, das gebe ich zu«, sagte Lady Grandersmith. »Aber ich fürchte, das müssen Sie in Kauf nehmen. «

»Ich glaube kaum, daß Sie das entscheiden können«, erwiderte Trautman. »Meine Antwort ist nein. Endgültig. Ich werde weder das Leben der Kinder noch die Existenz der NAUTILUS wegen etwas aufs Spiel setzen, von dem ich nicht einmal weiß, was es ist. « Er stand auf. »Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft, Lady Grandersmith, aber ich denke, es ist besser, wenn wir jetzt gehen. «

»Mitten in der Nacht?« Lady Grandersmith lachte. Es klang nicht besonders amüsiert. »Machen Sie sich nicht lächerlich, Mister Trautman. Wir sind hier mitten in der Wüste. Vier oder fünf Stunden Fußmarsch von der nächsten menschlichen Behausung entfernt. « »Wir haben schon Schlimmeres überstanden«, sagte Ben. »Trautman hat recht -wir gehen. « »Ich fürchte, das kann ich nicht zulassen«, antwortete Lady Grandersmith.

Ben runzelte die Stirn. Mike bemerkte, wie Singh hinter ihn trat und sich unmerklich spannte. »Wie bitte?« fragte Trautman. »Wie meinen Sie das?« »Es tut mir aufrichtig leid«, sagte Lady Grandersmith. Aber ich muß darauf bestehen, daß Sie hierbleiben. « »Und was heißt das genau?« fragte Trautman. »Sind wir vielleicht so etwas wie Ihre Gefangenen?« »Ich hätte eine andere Lösung vorgezogen«, sagte Lady Grandersmith ernst. »Aber es ist wohl so. « »Kaum«, antwortete Trautman. Er trat herausfordernd auf Lady Grandersmith und ihre beiden Begleiter zu, und sofort machte Yasal einen Schritt und stellte sich schützend vor seine Herrin.

»Bitte, Mister Trautman«, sagte Lady Grandersmith. »Machen Sie es nicht noch schlimmer. « Und dann ging alles ganz schnell. Singh sprang blitzartig an Trautman vorbei und versuchte mit einer fast tänzerisch anmutenden Bewegung Yasal zu packen. Der Sikh beherrschte die Kampftechnik seiner Kasteperfekt. Das unscheinbare Äußere des Inders täuschte. Mike hatte einmal mit eigenen Augen gesehen, wie Singh mitfünfGegnern gleichzeitig gekämpft - und sie besiegt hatte.

Aber er war auch noch nie auf jemanden wie Yasal gestoßen.

Yasal tat etwas, was keiner von ihnen richtig sah. Für eine Sekunde schien er zu einem Schatten zu werden, und als Mike ihn wieder richtig erkennen konnte, lag Singh am Boden und rang keuchend nach Luft.

Die beiden Beduinen brachten sie in eines der Gästezimmer, das nur ein einziges vergittertes Fenster hatte. Lady Grandersmith verabschiedete sich mit den Worten von ihnen, sie für eine Stunde allein zu lassen, in der sie sich ihre Entscheidung noch einmal überlegen konnten, und ging dann, begleitet von Hasim und Yasal.

Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, da eilte Ben auch schon zum Fenster, öffnete es und rüttelte mit aller Kraft an den Gitterstäben. Sie rührten sich nicht.AlleFenster des Hauses waren vergittert; etwas, was Mike bisher nur für bloße Zierde gehalten hatte, was aber angesichts der Geschehnisse der letzten Minuten eine vollkommen neue Bedeutung erhalten hatte.

»Laß es sein«, sagte Mike niedergeschlagen. »Das hat keinen Zweck. «

»Wenn mir keiner hilft, bestimmt nicht«, sagte Ben wütend. »Zu zweit oder dritt könnten wir es schaffen. So stabil sind die Stäbe nicht. « »Selbst wenn, wäre es sinnlos«, sagte Trautman.

Er schüttelte traurig den Kopf. »Wir kämen keine zwei Meilen

weit, bevor sie uns -«

Er brach ab, da die Tür wieder geöffnet wurde und einer der beiden Beduinen erschien. Er trug ein schwarzes, heftig fauchendes und um sich schlagendes Fellbündel auf den Armen, das er in hohem Bogen zu ihnen hereinwarf. Astaroth landete geschickt auf allen vieren, fuhr auf der Stelle herum und wollte sich auf Hasim stürzen, aber Serena rief ihm einen kurzen Befehl zu, und der Kater hielt inne. Hasim starrte ihn noch eine Sekunde lang an, dann fuhr er herum und warf die Tür lautstark hinter sich ins Schloß. Astaroth fauchte enttäuscht und sträubte das Fell. »Typisch!« sagte Ben verdrießlich. »Jetzt, wo es zu spät ist, spielt er sich auf. «