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Die Konsequenz dieser Entdeckung war ihnen beiden sofort klar, aber diesmal wagte es nicht einmal Singh, den Gedanken in Worte zu kleiden. Yasal und Hasim wußten offenbar über jedes Wort Bescheid, das zwischen ihnen gesprochen wurde. Selbst wenn keiner von ihnen im Raum war. Was wiederum nur eines bedeuten konnte: Sie lasen ihre Gedanken. Und plötzlich war Mike klar,warumBen und die anderen den Laderaum nicht mehr betreten durften. Yasal wußte genau, daß sie die erste sich bietende Gelegenheit nützen würden, um einen der Behälter zu öffnen und hineinzusehen.

Hasim -der diesmal anstelle von Yasal mit nach draußen gekommen war -bedeutete ihnen ungeduldig, loszugehen, und sie gehorchten. Direkt unter dem glitzernden Metallseil hindurch marschierten sie zurTITANIC hinüber und kletterten durch die gewaltsam geschaffene Öffnung in den Laderaum. Das andere Ende des Seiles war unter der Decke befestigt worden, und Hasim hatte auch eine Anzahl von Haken mitgebracht, die er daran einklinkte; außerdem einige Seilschlaufen. Er demonstrierte Mike und Singh mit knappen Bewegungen, was sie zu tun hatten: nämlich die Kokons in jeweils zwei der Schlaufen hineinzulegen und ihnen einen leichten Stoß zu versetzen, so daß sie an dem schräg gespannten Tau entlang wie an einer Seilbahn zur NAUTILUS hinüberglitten. Mike vermutete, daß Yasal dort drüben wartete, um sie in Empfang zu nehmen.

Obwohl er so müde war, daß ihm jede Bewegung Mühe bereitete, machte er sich unverzüglich an die Arbeit, ebenso wie Singh. Wie es aussah, hatten Yasal und sein Bruder offensichtlich beschlossen, daß nur sie beide an Bord der TITANIC gehen durften, und wenn die Arbeit ohnehin allein an ihnen hängenblieb, konnten sie sie genausogut so schnell wie möglich erledigen. Es ging leichter, als er zu hoffen gewagt hatte. Schon nach wenigen Augenblicken fanden sie in einen Rhythmus, als hätten sie diese Art der Arbeit schon seit Jahren getan: Während Mike die Kokons herbeischaffte, befestigte Singh sie in den Seilschlaufen und schickte sie auf den Weg. Yasals Konstruktion erwies sich als höchst effektiv: Für jeden Behälter, den sie losschickten, trug das Seil zwei leere Schlaufen wieder zu ihnen heran, so daß sie rascher vorankamen, als Mike zu hoffen gewagt hatte. Er hörte bald auf, die Behälter zu zählen, die sie zur NAUTILUS hinüberschickten. Es mußten schon an die hundert sein. Mike und Singh arbeiteten bis zur Erschöpfung. Erst als die Luft in seinen Lungen schon wieder bitter zu schmecken begann und er begriff, daß ihre Tanks fast leer waren, hörte Mike auf und machte sich zusammen mit Singh auf den Rückweg; allerdings nicht zu Fuß. Jeder von ihnen ergriff kurzerhand eine der Seilschlaufen und glitt damit zur NAUTILUS zurück, wo sie von Hasim erwartet wurden.

Mike erinnerte sich hinterher nicht einmal, wie er in seine Koje zurückgekommen war. Er schlief auf der Stelle ein, und er hatte auch das Gefühl, auf der Stelle wieder geweckt zu werden, auch wenn ihm ein Blick auf die Uhr verriet, daß Yasal ihm diesmal vier ganze Stunden gegönnt hatte, um sich zu erholen.

Auf diese Weise verging mehr als ein Tag - sie arbeiteten drei Stunden, kehrten zur NAUTILUS zurück, um vier Stunden auszuruhen, und stiegen dann wieder in die Tauchanzüge. Die Zahl der Behälter nahm nur langsam ab, aber schließlich begann Mike doch Hoffnung zu schöpfen, daß sie es schafften -falls Singh und er bis dahin nicht vor lauter Erschöpfung einfach zusammengebrochen waren, hieß das.

Er hatte auch längst aufgehört, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was in diesen sonderbaren weißen Bündeln sein mochte. Er wollte seine Arbeit beenden und dann ungefähr acht Monate durchschlafen, das war alles, was ihn noch interessierte. Aber er sollte bald erfahren,wassie aus dem Wrack der TITANIC bargen. Die Katastrophe geschah, als sie beinahe fertig waren. Der Laderaum hatte sich geleert; vielleicht waren es noch dreißig, vielleicht vierzig Kokons, die zur NAUTILUS hinübergeschafft werden mußten, und dies war wahrscheinlich ihre letzte Schicht. Also blieben ihnen für die Rückfahrt noch vier Tage eine knappe Frist, aber wenn sie die Maschinen der NAUTILUS noch einmal bis an die Grenzen belasteten, konnte sie ausreichen. Siemußtenes einfach schaffen, wenn er Serena und Astaroth jemals wiedersehen wollte. Der Gedanke an die Atlanterin und den einäugigen Kater weckte etwas von dem alten Zorn in Mike. Er hatte mittlerweile begriffen, daß es für Yasal und die beiden anderen um etwas unvorstellbar Wichtiges ging und sie wirklichallestun würden, um ihr Ziel zu erreichen. Aber es machte ihn rasend, zu etwasgezwungenzu werden, von dem er nicht einmal wußte, wozu es gut war.

Mike war so sehr in seine Gedanken vertieft, daß er für einen Moment unaufmerksam war. Singh und er hatten ihre Aufgaben getauscht: Während Singh die Behälter herbeischaffte, befestigte Mike sie in den Schlaufen und gab ihnen einen leichten Stoß, und er mußte den letzten wohl nicht richtig befestigt haben, denn er hatte das Schiff noch nicht ganz verlassen, als er aus seinem Halt zu gleiten begann. Mike sah das Unglück kommen und wollte los, um den Kokon aufzufangen, aber in dem schweren Taucheranzug kam er natürlich zu spät: Der weiße Behälter glitt vollends aus der Seilschlaufe, prallte gegen diemesserscharfe Kante der Öffnung, die Yasal in den Schiffsrumpf geschweißt hatte, und verschwand sich überschlagend in der Dunkelheit draußen.

Mikes Herz machte einen entsetzten Sprung. Er war nicht sicher -aber er hatte den Eindruck, daß der Behälter aufgeplatzt war, und wenn das stimmte, dann würde Yasal ihm wahrscheinlich den Kopf abreißen, und das möglicherweise nicht nur im übertragenen Sinne! So schnell er konnte, durchquerte er den Raum, sprang aus dem Schiff und sah sich nach dem Behälter um. Im ersten Moment konnte er ihn nirgends entdecken.

Dort, wo er eigentlich hätte liegen müssen, war nur unberührter Sand. Dann sah er ihn -ein ganzes Stück weiter rechts und nicht auf dem Boden, sondern sich noch immer überschlagend in der Strömung dahintreibend. Und erwartatsächlich beschädigt. Eine Spur silberner Luftbläschen markierte den Weg, den er nahm, und Mike glaubte kleine, metallisch schimmernde Trümmerstücke zu sehen, die unter ihm zu Boden sanken.

»Singh!« rief er. »Schnell! Komm her! Hilf mir!« Er wartete Singhs Antwort nicht ab, sondern bewegte sich hinter dem Behälter her. Der Kokon war schon fast weiter entfernt, als der Scheinwerferstrahl reichte, und er entfernte sich ununterbrochen weiter. Mikes Schrecken wandelte sich in Entsetzen. Wenn die Strömung den Behälter ergriff und aus dem Licht trug, hatten sie keine Chance mehr, ihn je wiederzufinden. Für einen Moment war er nahe daran, aufzugeben. Was, wenn er einfach zurückgehen und so tun würde, als wäre nichts passiert? Es waren Hunderte von Behältern. Einer mehr oder weniger würde kaum auffallen, und selbst wenn, konnte er sich einfach dumm stellen. Aber er ahnte auch zugleich, daß das nicht klappen würde. Yasal und Hasim wußten ganz genau, wie viele Behälter sich an Bord der TITANIC befanden, und sie würden nicht eher Ruhe geben, bis auch der allerletzte geborgen war. Und außerdem war es schlichtweg unmöglich, jemanden zu belügen, der Gedanken lesen konnte wie andere ein offenes Buch. Er griff schneller aus, und er hatte ausnahmsweise Glück: Die Strömung schien nachzulassen, denn der Behälter entfernte sich jetzt nicht mehr weiter von ihm, sondern sank ganz langsam zu Boden, so daß der Abstand zwischen ihnen allmählich wieder kleiner zu werden begann. Als Mike ihn endlich eingeholt hatte und schweratmend stehenblieb, hatte er sich so weit von der NAUTILUS entfernt, daß das Schiff hinter ihm schon nicht mehr sichtbar war. Selbst die Scheinwerferstrahlen waren von der allgegenwärtigen Dunkelheit hier unten fast verschluckt worden. »Mike? Herr? Wo seid Ihr?«