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Singhs Stimme erklang verzerrt und dünn in seinem Helm, und es dauerte eine ganze Weile, bis die Gestalt des Inders hinter Mike erschien. Er bewegte sich, so schnell der Taucheranzug dies zuließ. »Ich bin hier«, antwortete Mike. »Großer Gott, was ist in Euch gefahren?« keuchte Singh. »Seid Ihr verrückt geworden?« Mike wollte über diesen ungewohnt scharfen Ton auffahren, aber dann begriff er voller Schrecken, wie weit er dem Behälter gefolgt war. Wäre er auch nur noch ein Stück weitergelaufen, dann wäre er vielleicht in die ewige Nacht des Meeresgrundes hineingerannt, ohne es auch nur zu merken.

»Es ist ja nichts passiert«, sagte er hastig. »Das heißt -mir nicht. « Er deutete auf den aufgeplatzten Behälter, der vor ihm im Sand lag. Es kamen nun keine Luftblasen mehr aus ihm, aber irgend etwas Dünnes, Weißes hing heraus und bewegte sich träge in der Strömung. »Was ist los?« Singh klang erschrocken, und Mike konnte hören, wie er überrascht die Luft einsog, als er neben ihm anlangte und sah, was passiert war. »Ich habe nicht aufgepaßt«, gestand Mike. »Es tut mir leid. Komm -hilf mir. Vielleicht können wir irgend etwas tun, damit Yasal nicht merkt, was ich angerichtet habe. «

Singh schwieg vielsagend, ließ sich aber neben Mike in die Hocke sinken und half ihm, den Behälter herumzudrehen, so daß sie hineinblicken konnten. Und im selben Moment schrie Mike so laut auf, daß man es wahrscheinlich noch drüben auf der NAUTILUS hören konnte. Er wußte jetzt, was die sonderbaren Behälter enthielten, die sie aus dem Wrack geborgen harten. Das Geschöpf sah auf den ersten Blick aus wie ein Mensch -das hieß, es hatte zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf, aber damithörte die Ähnlichkeit mit einem Menschen auch schon wieder auf. Mike schätzte, daß es nicht größer als Chris war, also etwa so groß wie ein elf-oder zwölfjähriges Kind, aber sehr viel schlanker als ein normaler Mensch. Seine Arme und Beine waren so dünn, daß Mike sie bequem mit einer Hand hätte umschließen können, und seine Haut hatte eine fast weiße Farbe. Es hatte sechs Finger an jeder Hand, die viel schmaler und um einiges länger waren als die eines Menschen, und nicht ein einziges Haar, weder am Leib noch auf dem Kopf. Und dieser Kopf war das Unheimlichste an ihm. Das Gesicht lief in einem spitzen Kinn aus, in dem sich ein fast lächerlich kleiner Mund befand und keine sichtbare Nase. Dafür waren die Augen übergroß und von einer seltsamen Tropfenform. Sie standen weit offen, so daß Mike sehen konnte, daß sie weder Pupillen noch Iris hatten, sondern einfach nur schwarz waren. Und außerdem war das Geschöpf tot. »Großer Gott!« flüsterte Mike erschüttert.»Dasist also ihr großes Geheimnis!«

Singh ließ sich neben ihm auf ein Knie herabsinken und streckte die behandschuhte Rechte nach dem Wesen aus, wagte dann aber doch nicht, es zu berühren. »Was... was ist das?« flüsterte er. »So etwas... habe ich noch nie gesehen!«

»Ich glaube, das hat noch niemand«, antwortete Mike leise. »Mit Ausnahme von Lady Grandersmith vielleicht. « »Ihr meint -« Singh stockte und sah Mike verblüfft an.

»Yasal und die beiden anderen... ?« »Fällt dir eine bessere Erklärung ein?« antwortete Mike. »Ich weiß nicht, was die drei sind, aberMenschensind es bestimmt nicht. So wenig wie dieses Wesen hier. Vielleicht sind es ihre Brüder. « »Aber das ergibt keinen Sinn«, sagte Singh kopfschüttelnd, nachdem er eine Weile überlegt hatte. »Warum sollten sie all diese Mühe auf sich nehmen, nur um ein paar hundert Särge aus einem Wrack zu bergen?« »Vielleicht, damit sie niemand findet«, antwortete Mike. Singh schüttelte erneut den Kopf. »Hier unten wären sie für alle Zeiten sicher gewesen«, behauptete er. »Sicherer als in der Cheopspyramide. Aber warum haben sie sie überhaupt auf das Schiff gebracht? Niemand kennt den geheimen Zugang zur Grabkammer. Sie wären dort unten kaum gefunden worden. « Das stimmte. Mike beugte sich wieder über das Geschöpf und betrachtete es eine Weile, und dann fiel ihm etwas ein, was er vorhin beobachtet hatte, ohne ihm vielleicht die entsprechende Bedeutung zuzumessen. »Luft«, sagte er. »Wie?«

»Luft«, wiederholte Mike. »Als der Behälter aufgeplatzt ist, kamen Luftblasen heraus. « Plötzlich war er sehr aufgeregt. »Vielleicht sind es gar keine Särge, Singh! Was, wenn... «

Der Gedanke war so phantastisch, daß es ihn hörbare Überwindung kostete, ihn auszusprechen. »Was, wenn sie alle nochleben?«

Singh starrte ihn aus aufgerissenen Augen an und wollte etwas erwidern, aber Mike fuhr hastig fort: »Das ist die Erklärung, Singh! Sie sind nicht tot, versteh doch! Dieses Geschöpf hier ist gestorben, weil der Behälter aufgeplatzt und es ertrunken ist, aberall die anderen sind vielleicht noch am Leben!«

Singh sagte nichts - Mikes Theorie war die einzige, die überhaupt Sinn ergab, und trotzdem warf ihre Entdeckung tausendmal mehr Fragen auf, als sie beantwortete. Sie waren beide noch viel zu verblüfft und erschüttert, um einen klaren Gedanken zu fassen. Nach einer Weile stand Mike auf und deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Gehen wir zurück«, sagte er. »Mit ein bißchen Glück hat Yasal noch nicht gemerkt, was passiert ist. Vielleicht fällt ihm gar nicht auf, daß einer der Behälter fehlt. « »Ihr wollt ihn einfach hier zurücklassen?« »Mir ist auch nicht wohl dabei«, antwortete Mike. »Aber hast du vielleicht eine bessere Idee? Ich weiß nicht, was er tut, wenn er herausfindet, was passiert ist, und ehrlich gesagt: Ich will es auch nicht wissen. « Aber er würde es herausfinden, das war ihnen beiden klar. Schließlich war es unmöglich, vor Yasal irgend etwas geheimzuhalten.

Als hätte es nur dieses Stichwortes bedurft, tauchte in diesem Moment eine schwarzgekleidete Gestalt aus der Dunkelheit hinter ihnen auf. Mikes Herz machte einen entsetzten Sprung. Yasal kam so schnell näher, daß an eine Flucht nicht einmal zu denken war. Mikes Gedanken überschlugen sich.

»Yasal!« sagte er. »Es tut mir leid. Es ist meine Schuld, ich... ich war einen Moment unaufmerksam, und -« Yasal ignorierte ihn. Mit zwei, drei raschen Schritten war er neben ihm, stieß ihn unsanft beiseite und ließ sich neben dem aufgeplatzten weißen Kokon auf die Knie sinken. Seine Hände streckten sich nach der reglosen Gestalt in seinem Inneren aus, aber wie Singh zuvor, stockte er kurz, bevor er sie wirklich berührt hätte.

Wie Yasal so im Sand kniete und sich über das leblose Geschöpf beugte, empfand Mike nichts anderes als ein plötzliches, sehr heftiges Mitleid mit ihm. Bisher hatte er nicht einmal gewußt, ob die unheimlichen Schwarzgekleideten überhaupt in der Lage waren, menschlicheGefühlezu empfinden (und um ehrlich zu sein, er hatte es bezweifelt), aber jetzt spürte er sehr deutlich, daß Yasal um das tote Wesen trauerte wie um einen Freund.

»Es tut mir wirklich leid«, sagte er noch einmal. »Ich wollte

das nicht, das mußt du mir glauben. Es war ein Unfall. «

Yasal hob langsam den Kopf und sah ihn an. Mike konnte sein Gesicht auch jetzt nicht erkennen, aber plötzlich wußte er, wieso ihm die Augen immer so unheimlich und fremd vorgekommen waren. Es waren nicht die Augen eines Menschen. Was hinter dem schwarzen Tuch sichtbar war, das waren die gleichen, pupillenlosen Riesenaugen wie die des toten Geschöpfes vor ihnen. »Laß uns zurückgehen«, sagte Mike. »Wir müssen die anderen noch bergen. Ich schwöre dir, daß ich vorsichtiger sein werde. « Yasal rührte sich nicht. Mike hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen, als er daran dachte, daß er noch vor ein paar Augenblicken ernsthaft vorgehabt hatte, das tote Wesen einfach so zurückzulassen. Und er schämte sich ein wenig. »Singh und ich bringen ihn zurück«, sagte er. Als Yasal nicht reagierte, beugte er sich herab und wollte das Geschöpf aus seinem Behälter nehmen. Yasal versetzte ihm einen Stoß, der ihn zurücktorkeln ließ. Er fiel, landete unsanft auf dem Rücken und sah noch im Fallen, wie Singh herumfuhr, um sich auf Yasal zu stürzen. »Nicht, Singh!« schrie er.