»Aber das ist doch nicht Ihr Ernst!« beschwerte sich Ben. »Ich weigere mich, auch nur einen Fuß auf diesen rollenden Schrotthaufen zu setzen!«
»Kein Problem«, sagte Trautman kühl. »Du kannst gerne hinterherlaufen. Der Wagen wird uns zu Lady Grandersmith bringen. Er ist vielleicht nicht schön, aber er fährt, oder? Und ich weiß nicht, wie lange ich den Manager noch davon abhalten kann, die Polizei zu rufen. Also los!«
Ben zog ein langes Gesicht, aber er schnappte sich schweigend einen Koffer (den kleinsten, der greifbar war) und trug ihn zum Wagen. Auch die anderen -Trautman und Singh eingeschlossen -packten kräftig mit an, so daß nur ein paar Minuten vergingen, bis der Wagen beladen war.
»Und jetzt?« maulte Ben. »Wo sollen wir sitzen?« Trautman machte eine Geste zur Ladefläche hinauf. »Da ist immer noch Platz genug. « Sie kletterten hintereinander auf die Ladefläche des Lkw. Der Motor erwachte qualmend und spuckend zum Leben, kaum daß Trautman nach vorne zu dem Fahrer in die Kabine gestiegen war, und nach wenigen Augenblicken entfernten sie sich vom Hotel.Du könntest mich allmählich aus diesem Käfig herauslassen,sagte eine Stimme in Mikes Kopf.Hier drinnen ist es ungefähr so gemütlich wie in einem Backofen.»Geschieht dir ganz recht«, antwortete Mike. »Eigentlich sollte ich dich drinnenlassen. Immerhin ist die ganze KatastrophedeineSchuld. « Trotzdem beugte er sich vor und öffnete den Verschluß des Katzenkorbes. Astaroths Kopf erschien über dem Rand des Korbes, aber er machte keine Anstalten, herauszuspringen.Puh, wie ungemütlich! Und so etwas nennt ihr Urlaub machen?
»Ein komfortableres Gefährt stand uns leider nicht zur Verfügung«, antwortete Mike spitz. »Wir mußten das Hotel nämlich ziemlich überhastet verlassen, weißt du?«
»Sag bloß, dieser einäugige Mäuseschreck beschwert sich auch noch!« sagte Ben.
Einäugiger Mäuseschreck?! Wen, bitte schön, meint er damit?
»Hör nicht hin«, sagte Mike hastig. »Er sagt manchmal komische Sachen. «
Komisch?spöttelte Astaroth.Das war nicht komisch, glaub mir. Aber... weißt du, was wirklich komisch ist?»Nein. «
Komisch ist,antwortete Astaroth betont,daß die großen
Pyramiden von hier aus gesehen im Westen liegen. Und wenn ich mich nicht furchtbar täusche, dann fahren wir schon seit einer ganzen Weile in die entgegengesetzte Richtung.
Mike fuhr so abrupt in die Höhe, daß die anderen ihre Gespräche unterbrachen und ihn neugierig ansahen. »Was ist los?« fragte Ben.
»Ich... bin nicht sicher«, sagte Mike. »Aber liegen die Pyramiden nicht in der entgegengesetzten Richtung?« Serena runzelte die Stirn, Chris und Juan blickten aufmerksam um sich, sagten aber nichts. Singh sah sich nur einmal kurz um, dann stand er auf und kletterte mit geschickten Bewegungen über die nahezu vollgestopfte Ladefläche des Lkw nach vorne. Mike sah, wie er sich mit der linken Hand an den Aufbauten festhielt, zugleich mit dem linken Fuß festen Halt suchte und sich dann in weitem Bogen nach außen schwang, um so neben die Beifahrertür des Wagens zu gelangen. Der Motorenlärm verschlang den größten Teil seiner Worte, aber Mike bekam immerhin mit, daß er mit Trautman sprach. Singhs Gesicht war wie üblich keinerlei Regung anzusehen, als er wieder auf den Wagen heraufkletterte, aber Mike spürte, daß ihm das, was er gehört hatte, nicht besonders gefiel. »Er sagt, es wäre eine Abkürzung«, sagte er. »Ob es stimmt, weiß ich nicht. Aber in einem habt Ihr recht, Herr -wir fahren in die falsche Richtung. « Sie hatten die Hauptstraße verlassen und bewegten sich mittlerweile durch eines jener Stadtviertel Kairos, die man Touristen normalerweise wohl nicht zu zeigen pflegte. Die Häuser zu beiden Seiten waren zumeist zweigeschossig und weiß, mit flachen Dächern und kleinen, glaslosen Fenstern, aus denen neugierige Gesichter zu ihnen herausstarrten; viele davon verschleiert. Sie kamen jetzt auch nur noch im Schrittempo vorwärts. Die Straße war sehr viel schmaler als die, durch die sie bisher gefahren waren, aber dafür vollgestopft mit Menschen, die dem heranrumpelnden Lkw nur widerwillig Platz machten.
»Schau dir mal die beiden Typen da hinten an!« sagte Ben düster. »Sie folgen uns schon eine ganze Weile. « Mikes Blick folgte der Richtung, in die Bens ausgestreckte Hand wies. Zwanzig oder dreißig Schritte hinter ihnen befanden sich zwei schwarzgekleidete Gestalten, die dem Wagen folgten. In der einen Straße herrschte ein ziemliches Gedränge von Menschen und Tieren, und trotzdem schienen die beiden fast allein. Jedermann machte ihnen Platz, als wäre etwas an ihnen, was die Menschen davon abhielt, ihnen zu nahe zu kommen.
Mike erkannte die beiden im selben Augenblick, in dem Ben laut sagte: »Ich fresse eine Woche lang nichts anderes als Astaroths Katzenfutter, wenn das nicht Lady Grandersmith' Lakaien sind!« Er hatte recht. Die beiden waren Yasal und Hasim. Lady Grandersmith' Leibwächter und Diener. »Was soll das?« fragte Juan. »Wieso folgen uns die beiden?«
»Fragen wir sie«, sagte Singh entschlossen. Er wandte sich wieder um, balancierte auf die gleiche halsbrecherische Weise nach vorne wie gerade vorhin und rief dem Fahrer durch das offene Fenster auf der Beifahrerseite etwas zu.
Als Antwort darauf trat dieser auf das Gaspedal -und der scheinbar schrottreife Lkw machte einen Satz, der einem Rennwagen zur Ehre gereicht hätte. Singh schrie auf, verlor um ein Haar den Halt und klammerte sich im allerletzten Moment an den Aufbauten des Lkw fest.
Menschen und Tiere sprangen entsetzt dem heranrasenden Wagen aus dem Weg. Wie durch ein Wunder hatten sie bisher noch niemanden überfahren, aber Mike fürchtete, daß das sehr bald geschehen würde, denn der Wagen wurde nicht langsamer, sondern immer schneller, und dazu begann er heftig zu schlingern, schoß mal nach rechts, dann wieder nach links, und prallte schließlich gegen eines der Häuser auf der linken Straßenseite. Mike wurde von den Füßen gerissen und fiel kopfüber in den Gepäckberg hinein, der sich auf dem vorderen Teil der Ladefläche stapelte. Funken stoben, als das Führerhaus kreischend an der Hauswand entlangschrammte. Steinsplitter, Kalk und die Reste von abgerissenen Türund Fensterläden flogen wie eine bizarre Bugwelle hinter ihnen her, dann machte der Wagen einen jähen Satz zur Seite, rumpelte einen Moment lang auf der Straße entlang und näherte sich dann der gegenüberliegenden Häuserreihe. Ein Chor von Flüchen und Verwünschungen folgte ihnen, Fäuste wurden geschüttelt, Steine und andere Wurfgeschosse hinter ihnen hergeschleudert, und Mike sah, daß Yasal und Hasim zu rennen begonnen hatten.
Dann erinnerte er sich an etwas, was ihn vor Schreck herumfahren und die beiden unheimlichen Beduinen auf der Stelle vergessen ließ: Singh!
Der Inder hatte es nicht geschafft, sich wieder auf den Wagen hinaufzuziehen. Er hing, sich mit nur einer Hand festklammernd, an den Aufbauten und ruderte verzweifelt mit der anderen in der Luft und versuchte sich festzuklammern. Seine Beine pendelten wild hin und her und knallten immer wieder gegen die Tür auf Trautmans Seite. Und das war nicht das schlimmste. Das schlimmste war, daß sich der Wagen unaufhaltsam der Häuserreihe auf der rechten Straßenseite näherte. Singh würde einfach zerquetscht werden, wenn er gegen die Wand prallte! »Singh!« schrie Mike entsetzt. »Laß los!« Aber Singh hörte seine Worte entweder nicht, oder er wagte es nicht, bei diesem mörderischen Tempo tatsächlich abzuspringen. Mikes Gedanken überschlugen sich. Es blieben vielleicht noch drei oder vier Sekunden... Mike schnellte vor, umfaßte Singhs Handgelenk und riß den Inder mit aller Gewalt in die Höhe. Singh packte gedankenschnell zu, fand schließlich irgendwo doch noch Halt und wurde regelrecht über die Ladewand des Lkw katapultiert.