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Von der anderen Seite erscholl ein Heulen, dann schepperte es laut. Eine riesige Beule drückte sich durch die Tür und stieß Zedd zu Boden. Chase stemmte sich, eine Hand auf jedem Flügel, mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, derweil das Wesen von der anderen Seite dagegen trommelte.

Ein entsetzliches Kreischen drang durch das Metall, während das Vieh sich in der Tür verkrallte. Chase war schweiß- und blutüberströmt. Zedd war mit einem Satz auf den Beinen und half Chase, die Tür zuzuhalten.

Eine Kralle steckte in der Ritze zwischen den beiden Flügeln und glitt nach unten. Dann kam eine weitere von unten herauf. Rachel konnte das Wesen durch die Tür hindurch lachen hören. Chase stöhnte und drückte. Die Türen ächzten.

Der Zauberer trat zurück und streckte beide Arme aus, als wolle er sich gegen die Luft stemmen. Das Ächzen hörte auf. Das Geheul des Wesens wurde lauter.

Zedd packte Chase am Ärmel. »Nichts wie weg hier.«

Chase trat von der Flügeltür zurück. »Wird die Tür es zurückhalten?«

»Vermutlich nicht. Wenn es auf dich losgeht, geh langsam. Mit Laufen oder Stehenbleiben erregst du seine Aufmerksamkeit. Erzähl das jedem, den du triffst.«

»Zedd, was ist das für ein Monster?«

Dann krachte es erneut, und in der Tür zeigte sich eine weitere Riesendelle. Die Krallenspitzen durchstießen das Metall und fetzten Risse in die Tür. Der tosende Lärm ließ Rachels Ohren schmerzen.

»Verschwindet! Sofort!«

Chase legte Rachel eine Hand um die Hüfte, hob sie hoch und stürzte den Korridor entlang.

2

Durch den derben Stoff seines Gewandes befühlte Zedd in aller Ruhe den Stein, der dort in einer Innentasche sicher untergebracht war, und beobachtete, wie die Krallen durch die Risse im Metall zurückgezogen wurden. Er drehte sich um. Der Grenzposten schleppte Rachel durch die Halle. Sie waren erst ein paar Dutzend Schritte weit gekommen, da flog eine der Türen mit einem ungeheuren Scheppern aus den Angeln. Die starken Angeln zersplitterten, als wären sie aus Ton.

Zedd sprang zur Seite und duckte sich. Die goldbeschlagene Tür verfehlte ihn nur knapp, segelte durch die Halle und krachte gegen die Wand aus poliertem Granit. Metallsplitter flogen umher, und Steinstaub wallte durch den Gang. Zedd kam wieder auf die Beine und rannte los.

Der Screeling sprang aus dem Garten des Lebens heraus in die Halle. Sein Körper war kaum mehr als ein gedrungenes Skelett unter einer dünnen Schicht trockener, spröder, verkohlter Haut. Wie eine Leiche, die jahrelang in der Sonne vertrocknet war. Dort, wo die beim Kampf zerrissene Haut in Fetzen herunterhing, schimmerten die weißen Knochen durch, doch das schien dem Geschöpf nichts auszumachen. Es war ein Wesen aus der Unterwelt, und mit den Schwächen alles Lebendigen hatte es nichts zu schaffen. Blut war keins zu sehen.

Wenn man ihn hinreichend auseinanderreißen oder in Stücke hacken konnte, ließ er sich vielleicht aufhalten. Allerdings war er erschreckend schnell. Und Magie konnte ihm offensichtlich nicht viel anhaben. Es handelte sich um ein Geschöpf Subtraktiver Magie; Additive Magie wurde von ihm aufgesogen wie von einem Schwamm.

Vielleicht konnte man ihm mit Subtraktiver Magie beikommen; diese Hälfte der Gabe fehlte Zedd jedoch. Kein Zauberer in den letzten paar tausend Jahren hatte sie besessen. Möglicherweise fühlte sich der eine oder andere zum Subtraktiven berufen — Darken Rahl war der beste Beweis dafür –, doch die Gabe dafür war niemandem geschenkt worden.

Nein, mit Magie war dieses Wesen nicht aufzuhalten. Zumindest, überlegte der Zauberer, nicht unmittelbar. Aber vielleicht indirekt?

Zedd ging rückwärts, während der Screeling ihn verständnislosen und verwirrten Blicks beobachtete. Jetzt, dachte er, solange er sich nicht bewegt.

Zedd konzentrierte sich, ballte die Luft zusammen, verdichtete sie weit genug, um die schwere Tür in die Höhe zu heben. Er war müde; es kostete ihn einige Anstrengung. Innerlich aufstöhnend, drückte er die Luft nach vorn und rammte sie dem Screeling in den Rücken. Staub wirbelte auf und wogte durch die Halle, als die Tür das Wesen zu Boden schmetterte. Es heulte auf. Zedd fragte sich, ob es vor Schmerzen oder aus Wut heulte.

Die Tür wurde hochgehoben. Steinsplitter fielen herunter. Der Screeling hielt die schwere Tür mit einer krallenbewehrten Hand in die Höhe und lachte, eine verholzte Ranke der Pflanze, mit der Zedd ihn hatte strangulieren wollen, noch immer um den Hals geschlungen.

»Verdammt!« murmelte Zedd. »Nichts ist jemals einfach.«

Zedd bewegte sich weiter rückwärts. Die Tür polterte zu Boden, und der Screeling kam darunter zum Vorschein und verfolgte ihn. Er schien allmählich zu begreifen, daß die Menschen, die langsam gingen, dieselben waren wie die, die rannten oder stehenblieben. Für ihn war dies eine unvertraute Welt. Zedd mußte sich etwas einfallen lassen, bevor das Wesen noch mehr dazulernte. Wenn er nur nicht so müde gewesen wäre.

Chase lief eine breite Marmortreppe hinunter. Zedd folgte ihm schnellen Schritts. Wäre er sicher gewesen, daß der Screeling es nicht auf Chase oder Rachel abgesehen hatte, er hätte einen anderen Weg gewählt, um die Gefahr von ihnen abzulenken. Aber der Screeling konnte ebensogut die beiden verfolgen, und Zedd wollte Chase nicht allein mit ihm kämpfen lassen.

Ein Mann und eine Frau kamen die Treppe herauf, beide in weißen Gewändern. Chase versuchte, sie zum Umkehren zu bewegen, doch sie drückten sich an ihm vorbei.

»Geht langsam!« schrie Zedd ihnen zu. »Nicht rennen! Geht zurück, oder ihr werdet getötet!« Sie sahen ihn verwirrt und stirnrunzelnd an.

Der Screeling kam auf die Treppe zugeschlurft, seine Klauen schabten über den Marmorboden. Zedd hörte ihn mit seiner nervenaufreibenden Beinahe-Lache keuchen.

Die beiden Leute erblickten das dunkle Etwas. Sie erstarrten und rissen ihre blauen Augen auf. Zedd versetzte ihnen einen Stoß, drehte sie um und schob sie gewaltsam die Treppe hinunter. Plötzlich fingen die beiden zu rennen an und sprangen, drei Stufen zugleich nehmend, mit fliegendem Blondhaar und wehendem Gewand die Stufen hinab.

»Nicht rennen!« brüllten Chase und Zedd gleichzeitig.

Der Screeling stellte sich auf seine krallenbewehrten Zehen. Die plötzliche Bewegung hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er stieß ein keckerndes Lachen aus und schoß zur Treppe. Zedd schleuderte eine Faust voll Luft, traf ihn in die Brust und stieß ihn einen Schritt zurück. Der Screeling nahm kaum Notiz davon. Er lugte über das mit Schnitzereien verzierte Steingeländer und erspähte die rennenden Menschen.

Mit einem Keckem packte er das Geländer, setzte darüber hinweg und sprang gut zwanzig Fuß tief hinunter zu den beiden weiß gewandeten Gestalten. Sofort drückte Chase Rachels Gesicht an seine Schulter, machte kehrt und stieg die Treppe wieder nach oben. Er wußte, was jetzt kommen würde, und doch gab es nichts, was er dagegen hätte tun können.

Zedd wartete auf dem oberen Absatz. »Beeilt euch, solange er abgelenkt ist.«

Es entstand ein kurzes Gerangel, und man hörte ebenso kurze Schreie. Heulendes Gelächter hallte durch das Treppenhaus. Blut spritzte in hohem Bogen auf den weißen Marmor, fast bis zu Chase hin, der die Stufen hochsprang. Rachel vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter und klammerte sich an seinem Hals fest, gab sonst aber nicht den geringsten Laut von sich.

Zedd war beeindruckt. Noch nie hatte er ein so kleines Mädchen gesehen, das den Kopf so gut zu gebrauchen wußte. Sie war klug. Klug und voller Mumm. Jetzt verstand er, warum Giller sie ausgesucht hatte, um zu verhindern, daß das letzte Kästchen der Ordnung Darken Rahl in die Hände fiel. Darauf konnte auch nur ein Zauberer kommen, überlegte Zedd — die Menschen für das Notwendige einzuspannen.

Die drei rannten durch die Halle, bis der Screeling am oberen Treppenabsatz auftauchte. Dann verlangsamten sie ihr Tempo und gingen rückwärts weiter. Der Screeling grinste mit blutroten Zähnen, und für einen Augenblick spiegelte sich das Sonnenlicht, das durch ein hohes, schmales Fenster hereinfiel, golden in seinen unsterblichen Augen. Im Licht zuckte er zusammen, schleckte das Blut von seinen Krallen, dann setzte er ihnen hinterher. Die drei gingen die nächste Treppe hinunter. Das Geschöpf folgte ihnen, hielt manchmal verwirrt inne und schien nicht mehr recht zu wissen, ob es tatsächlich sie waren, auf die es es abgesehen hatte.