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Hain murmelte etwas Unverständliches und ging zu seinem Platz zurück. Brazil, der immer noch sein schmerzendes Kinn betastete, stand wortlos auf und ging zu der Sitzbank, sank nieder und ächzte.

»Bin immer noch schwindlig«, beklagte er sich. »Und ich bekomme wahnsinnige Kopfschmerzen.«

Ortega lächelte und zog sich hinter seinen Schreibtisch zurück.

»Sie haben schon Schlimmeres mitgemacht«, sagte er. »Aber alles der Reihe nach. Wollen Sie noch etwas essen? Sie haben alles in die Gegend gestreut.«

»Sie wissen genau, daß ich die nächsten paar Tage überhaupt nichts hinunterbringe«, stöhnte Brazil. »Verdammt! Warum haben Sie sich überhaupt eingemischt?«

»Eigentlich aus zwei Gründen. Erstens ist das — nun, man könnte fast sagen, eine diplomatische Abordnung. Ein Mord durch einen Neuling an einem anderen wäre meiner Regierung auf keinen Fall plausibel zu machen. Aber wichtiger noch, sie ist nicht verloren, Nate, und damit wird Ihr Motiv noch dürftiger.«

Brazil vergaß seine Schmerzen.

»Was sagen Sie?«

»Ich sage, sie ist nicht verloren, Nate, und das entspricht der Wahrheit. Dieser Abstecher hat Hain nicht nur der Gerechtigkeit entzogen, sondern sie auch gerettet. Arkadrian war im Grunde keine Lösung. Sie waren offenbar der Ansicht, es lohne sich, sie zu retten, als Sie den Umweg machten — aber im Augenblick ist sie kaum mehr als ein dahinvegetierendes Wesen. Hain hat die Dosis offenbar stetig verringert, als sie sich an die Schmerzen immer mehr gewöhnte. Er ließ sie verfaulen — aber ganz langsam, damit es auf der Reise keine Schwierigkeiten gab. Darf ich nach dem Grund fragen, Hain?«

»Sie stammt von einer der Kom-Welten. Lebte im üblichen Bienenstock und arbeitete auf einer großen Volksfarm. Dreckarbeit — Latrinen leeren und so weiter. Der IQ genetisch beeinflußt niedrig gehalten — sie ist Arbeiterin, von Natur aus geistig zurückgeblieben und kann nur einfache Befehle ausführen. Nicht einmal auf dem Gebiet taugte sie etwas, und man setzte sie als Parteihure ein. Aber auch da versagte sie.«

»Das ist eine Verleumdung der Kom-Völker!«brauste Vardia auf. »Jeder Bürger ist dazu da, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, und dafür ist er geschaffen worden. Ohne Leute wie sie oder ich würde die ganze Gesellschaft zusammenbrechen.«

»Wollen Sie mit ihr tauschen?«fragte Brazil sarkastisch.

»Oh, natürlich nicht«, sagte Vardia. »Ich bin froh, daß ich bin, wozu man mich gemacht hat. Alles andere würde mich nicht glücklich machen. Aber auch solche Bürger sind nötig.«

»Und Sie sagen, daß meine Welt denselben Weg gegangen ist«, meinte Ortega traurig. »Aber ich hätte doch gedacht, daß derart primitive Arbeiten automatisiert sind. War ja zu meiner Zeit schon vielfach so.«

»O nein«, meinte Vardia. »Die Zukunft des Menschen ist mit dem Boden und der Natur verbunden. Die Automation führt zu gesellschaftlichem Verfall.«

»Aha«, sagte Ortega trocken. Er sah Hain an. »Aber wie sind Sie an das Mädchen geraten? Und warum haben Sie es süchtig gemacht?«

»Gelegentlich brauchen wir eine — sagen wir, Versuchsperson, ein Demonstrationsobjekt. Wir nehmen meistens solche wie sie — Kom-Leute, die niemand vermißt, die ohnehin nur dahinvegetieren. Es ist jedoch schwierig, das Zeug in ihr Essen zu schmuggeln oder auch nur bei einem Präsidiumsmitglied eine Audienz zu bekommen. Wenn man es aber einmal geschafft hat, beherrscht man die ganze Welt — eine Welt von Leuten, die darauf programmiert sind, bei allem, was sie tun, glücklich zu sein, die von Geburt an auf blinden Gehorsam gegenüber der Partei eingestellt sind. Wenn man die Königin beherrscht, folgen einem alle Bienen im Schwarm. Ich hatte eine Audienz bei einem Präsidiumsmitglied auf Coriolanus — hat drei Jahre harte Arbeit gekostet, sie zu erreichen. Es gibt Hunderte von Möglichkeiten, jemanden anzustecken, wenn man ihm einmal gegenübersitzt. Bis dahin wäre die arme Wu Julee schon im tierischen Stadium gewesen, weil ich die Dosis immer mehr verringert habe. Sie wäre die Drohung gewesen für den hochgeschätzten Herrn. Er hätte sehen können, was aus einem wird, wenn man ihm nicht hilft.«

»Auf meiner Welt wäre so etwas nicht möglich«, sagte Vardia stolz. »Ein Präsidiumsmitglied würde Sie, das Mädchen und sich selbst sofort einer Todesfabrik übergeben.«

Hain lachte.

»Ihr erstaunt mich immer wieder«, sagte er. »Glaubt ihr denn wirklich, eure Oberen wären so? Sie sind Nachkommen der ursprünglichen Partei, die sich in der fernen, größtenteils verlorengegangenen Geschichte ausgebreitet hat. Sie verkündeten Gleichheit und behaupteten, von einem künftigen Utopia zu träumen, wo es keinen Staat mehr geben werde, nichts. Sie wollten aber nicht einmal vor sich selber zugeben, daß sie in Wahrheit nur die Macht liebten — sie haben nie auf den Feldern gearbeitet, sie haben überhaupt nicht gearbeitet, nur Befehle erteilt und Pläne entworfen. Und die Kinder ihrer Kindeskinder tun das immer noch. Ein Planet voll glücklicher, zufriedener, gehorsamer Sklaven, die alles tun, was man von ihnen verlangt. Und wenn der Schmerz anfängt, kaum eine Stunde nach der Infektion, tun sie alles, um am Leben zu bleiben. Alles

»Aber doch recht riskant für Sie, nicht?«sagte Ortega. »Wenn Sie nun trotz allem von einem Fanatiker umgebracht werden?«

»Risiken gibt es überall«, meinte Hain achselzuckend. »Wir verlieren die meisten Leute, wenn sie sich hocharbeiten. Aber wir sind alle Außenseiter, Verlierer, oder Leute, die auf den schlimmsten aller Welten ganz unten angefangen haben. Wir sind nicht zur Macht geboren — wir strengen uns dafür an, gehen Risiken dafür ein, verdienen sie uns. Und — der Sieger kassiert die Beute.«

Ortega nickte grimmig.

»Wie viele — ruhig, Nate, oder ich geb' Ihnen wieder eins drauf —, wie viele Welten beherrschen Sie jetzt?«

»Wer weiß das?«sagte Hain. »Ich sitze nicht im Rat. Über zehn Prozent — dreißig, fünfunddreißig vielleicht — und es werden mehr. Und für jede Kolonie, die wir übernehmen, entstehen zwei neue, so daß das Reich sich ständig ausdehnt. Und das wird es eines Tages sein — ein Reich. Ein großes Reich. Vielleicht einmal die ganze Galaxis.«

»Beherrscht vom Abschaum«, sagte Brazil dumpf.

»Von den Stärksten«, gab Hain zurück. »Den Klügsten, den Überlebensfähigen. Von den Leuten, die es verdienen.«

»Ich zögere, soviel Böses in diese Welt hereinzulassen«, sagte Ortega, »aber wir haben hier schon genauso Schlimmes und Schlimmeres gehabt. Diese Welt wird Sie voll und ganz auf die Probe stellen, Hain. Ich glaube, sie wird Sie zuletzt das Leben kosten, aber das ist Ihre Sache. Hier gibt es keinen Schwamm und keine anderen Suchtmittel. Selbst wenn es sie gäbe, müßten Sie sie an fünfzehnhundertsechzig verschiedenen Arten ausprobieren, und manche davon sind so fremdartig, daß Sie nicht einmal begreifen können, was sie sind, warum sie tun, was sie tun, oder ob sie überhaupt etwas tun. Manche dagegen werden fast so sein wie die zu Hause. Diese Welt ist ein Irrenhaus, Hain. Eine Welt, die vom Wahnsinn geschaffen wurde, glaube ich, und sie wird Sie töten. Wir werden sehen.«

Sie schwiegen eine Zeit. Schließlich brach Brazil das Schweigen. »Sie haben gesagt, sie ist nicht verloren, Serge. Warum nicht?«

»Es hängt mit dieser Welt und dem zusammen, was sie mit den Leuten tut«, erwiderte der Schlangenmann. »Ich sage Ihnen später alles. Aber — hier verwandelt man sich nicht nur, man bekommt auch wieder, was man verloren hat. Man bekommt seine volle Gesundheit wieder, Nate, und selbst Ihr Gedächtnis wird sich wieder einstellen. Sie werden sich sogar an Dinge erinnern, von denen Sie nichts mehr wissen wollen. Und Sie werden auf das, was und wo Sie sind, vorbereitet — programmiert, wenn Sie so wollen. Nicht in dem Sinn, wie auf den Kom-Welten — was Sie brauchen. Das verschafft Ihnen einen neuen Anfang, Nate — doch hier gibt es keine Verjüngung. Das ist eine einmalige Angelegenheit, Leute — ein frischer Anfang. Aber ihr werdet hier früher oder später sterben, und die Spanne hängt davon ab, was ihr seid.«