Und das war alles.
Ein, zwei Tage danach kam Vardia in Cannots Büro und sah sie Lichtbilder einer gewaltigen Wüste von roten, gelben und orangeroten Farbtönen unter einem wolkenlosen blauen Himmel betrachten. Im Hintergrund wurde alles verschwommen und undeutlich. Es sah aus wie eine halb durchsichtige Wand, dachte Vardia und sprach den Gedanken aus.
»So ist es, Vardia«, erwiderte Cannot. »Das ist die Äquatorbarriere — und da muß ich hin, obwohl keines der Sechsecke dort viel Wasser besitzt und die Reise schwer werden wird. Da, sehen Sie sich das an.«
Vardia sah eine Aufnahme der Wand mit den besten Filtern. Die Gegenstände waren noch immer vage, aber sie konnte genug erkennen, um sich in einem Punkt sicher zu sein.
»Da ist ein Laufgang!«rief sie. »Wie der um den Zone-Schacht!«
»Genau. Und darüber möchte ich mehr wissen. Könnten Sie heute nacht durcharbeiten?«
»Ja, ich denke schon«, sagte Vardia. »Ich habe es noch nie gemacht, aber ich fühle mich gut.«
»Fein. Vielleicht kann ich das Rätsel heute nacht lösen.«
Sterne wirbelten in ungeheurer Zahl über den Nachthimmel, mächtige, farbige Nebelwolken, in seltsamen Formen ausgedehnt, während das Sternenfeld selbst aus einer immensen Masse von Millionen Sternen in Spiralen zu bestehen schien, wie eine Galaxis, unter starker Vergrößerung betrachtet. Es war ein großartiger Anblick, aber keiner, den Vardia, die ihn nicht wahrzunehmen vermochte, zu schätzen wußte.
Zuerst sahen sie aus wie besonders dicke Körner der Gräser in der Gegend. Dann erhoben sich langsam zwei große Formen unter den Halmen, Formen mit riesigen Insektenkörpern und großen Augen.
Und — noch etwas anderes.
Es funkelte wie hundert eingefangene Leuchtkäfer und schien auf einem schattenhaften Umriß zu schweben.
»Der Erahner sagt, daß die Gleichung sich unnatürlich verändert hat«, erklärte Der Rel.
»Dann greifen wir heute nacht nicht an?«fragte eine der akkafischen Kämpferinnen.
»Wir müssen«, erwiderte Der Rel. »Wir fühlen, daß nur heute nacht alles günstig steht. Wir haben die Gelegenheit, eine zusätzliche Beute zu machen, die die Aussichten verbessert. Wir werden zwei zurückzutragen haben, nicht nur einen. Könnt ihr das?«
»Natürlich, wenn er nicht größer ist als der andere«, sagte die Markling.
»Gut. Sie sollten beieinander sein, also nehmt sie beide. Und vergeßt nicht, die Czillaner schlafen zwar, sobald die Stromanlage gesprengt ist, aber die Umiau nicht. Stecht keines der beiden Opfer zu Tode. Ich will nur Lähmung, damit wir zur Insel auf halbem Weg zurückkehren können.«
»Keine Sorge.«
»Gut«, sagte Der Rel. »Ihr habt den Zünder. Wenn wir angreifen, gebe ich ein Zeichen. Dann sprengen. Nicht früher und nicht später, sonst schalten sich die Notgeneratoren ein, bevor wir fort sind.«
»Verstanden«, versicherte die Markling.
»Der Erahner teilt mit, daß sie beide da sind, allein an ihrem Arbeitsplatz«, sagte Der Rel. »In gewisser Weise bin ich argwöhnisch. Das Glück ist zu groß, und ich glaube nicht an Glück. Trotzdem tun wir, was wir müssen. Also — jetzt!«
Dillia — seeaufwärts
Wu Julee stöhnte und öffnete die Augen. Ihr Kopf schien zerspringen zu wollen.
»Sie kommt zu sich!«rief eine Stimme, und Wu Julee bemerkte plötzlich, daß viele Leute um sie herumstanden. Schließlich konnte sie wieder sehen und entdeckte den einen Nicht-Dillianer in der Menge.
»Brazil!«stieß sie erstickt hervor.
Jemand flößte ihr Wasser ein.
»Sie kennt Sie!«rief Yomax aufgeregt. »Sie erinnert sich wieder!«
Sie preßte die Augen zusammen. Sie erinnerte sich wirklich — an alles. Ein Krampf schüttelte sie, und sie erbrach das Wasser wieder.
»Yomax! Jol!«hörte sie die Heilkundige rufen. »Nehmt sie hinten. Captain Brazil, Sie ziehen, ich drücke. Wir müssen sehen, daß wir sie auf die Beine bringen.«
Sie strengten sich an und schafften es schließlich auch. Ohne meinen Beitrag, dachte Brazil. Mann, haben die Muskeln!
Sie stand unsicher auf den Beinen. Man schob ihr Bretter, umwickelt mit Tüchern, unter die Arme, damit sie sich stützen konnte. Sie zitterte immer noch.
»O Gott!«stöhnte sie.
»Alles ist gut, Wu Julee«, sagte Brazil leise. »Die Alpträume sind jetzt vorbei. Sie können dir nichts mehr tun.«
»Aber wie —«Sie erbrach sich wieder, und die Heilkundige scheuchte die Männer hinaus.
Sie gingen zu der Bar, deren Vorderwand wieder angebracht worden war. Es herrschte großes Gedränge, und sie mußten sich hineinquetschen. Brazil fürchtete, zwischen den Pferdeleibern zerdrückt zu werden.
Das Gespräch verstummte, und man starrte ihn argwöhnisch an.
»Freut mich, so willkommen zu sein«, sagte Brazil sarkastisch. »Kann man sich nicht irgendwo privat unterhalten?«fragte er die beiden anderen.
Yomax nickte.
»Gib mir drei, Zoder!«rief er, und der Barkellner füllte drei riesige Krüge mit Ale. Brazil ließ den seinen beinahe fallen, als er entdeckte, wie schwer er war. Er hielt ihn mit beiden Händen fest und folgte Yomax zu dessen Büro.
Nachdem Jol die Glut geschürt und Holz aufgelegt hatte, wirkte es gemütlich im Zimmer. Brazil seufzte tief und ließ sich auf den Boden sinken. Als es warm wurde, zog er den Pelzmantel aus und nahm die Mütze ab. Unter dem Mantel schien er nichts anzuhaben. Die beiden Zentauren zogen ihre Mäntel ebenfalls aus und starrten ihn an.
»Fangt bloß nicht damit an, sonst gehe ich ins Lokal zurück!«sagte er. Die anderen lachten, und alle lockerten sich. Brazil trank und fand das Ale nicht schlecht, wenngleich zwei Liter auf einmal ein bißchen viel für ihn zu sein schienen.
Brazil gab dem alten Mann von seinem Tabak ab, und Yomax rauchte ihn selig in seiner alten Pfeife.
»Gibt es hier ganz selten«, sagte Yomax.
»Ich habe ihn weit von hier gefunden — ich war in neun Sechsecken unterwegs, um herzukommen, nicht zu reden von einem Abstecher aus Zone in mein Heimat-Hex.«
»Die Nagetiere sind die einzigen in fünftausend Kilometer Umkreis mit Tabak«, sagte Yomax wehmütig. »Waren die das?«
Brazil nickte.
»Neben meinem Heimat-Hex.«
»Glauben Sie nicht, daß ich mich nicht erinnere«, sagte der Alte. »Abgesehen davon, daß ihr von den Hüften aufwärts wie wir ausseht, glaube ich nicht, daß ich einen wie Sie schon gesehen habe.«
»Kein Wunder«, erklärte Brazil traurig. »Meine Leute haben kein gutes Ende gefunden, fürchte ich.«
»He, Yomax!«rief Jol plötzlich. »Seine Mundbewegungen passen gar nicht zu dem, was er sagt!«
»Er benützt einen Dolmetscher, Dummkopf!«fauchte Yomax.
»Richtig«, bestätigte der kleine Mann. »Ich habe ihn von den Ambreza bekommen — den ›Nagetieren‹, die Sie erwähnt haben. Nette Leute, nachdem ich sie einmal davon überzeugt hatte, daß ich intelligent bin.«
»Warum war das ein Problem, wenn ihr Nachbarn gewesen seid?«fragte Jol.
»Nun, vor sehr langer Zeit gab es Krieg. Meine Leute waren aus einem Hoch-Tech-Hex und bauten eine sehr behagliche Zivilisation auf, den Überresten nach zu schließen. Aber das Leben war sehr verschwenderisch, es erforderte immense Ressourcen, und die gingen zu Ende, so daß sie sogar Nahrungsmittel einführen mußten. Sie schauten zu ihren Nachbarn hinüber. Zwei Hexe waren Ozeanwelten, in einem war es so kalt, daß sie nicht leben konnten, zwei lohnten die Mühe nicht. Nur das Ambreza-Hex war brauchbar, wenngleich völlig nicht-technologisch. Keine Dampfmaschinen, überhaupt keine Maschinen, wenn sie nicht von Muskelkraft betrieben wurden. Die Ambreza waren stille, primitive Farmer und Fischer, und sie schienen eine leichte Beute zu sein.«