Damit schwebten Der Erahner und Der Rel über die Grenze. Vardia folgte, dahinter kamen Hain und Skander.
Skander und Vardia hatten schlagartig das gleiche Gefühclass="underline" als befänden sie sich plötzlich in Kerosin. Der Geruch durchdrang ihre Körper und ihre Atmung. Die Luft wirkte schwer, beinahe flüssig und schien gegen ihre Haut wie eine Flüssigkeit zu klatschen, wiewohl sie unzweifelhaft ein Gas war. Außerdem brannte sie ein wenig, wie starker Alkohol. Sie brauchten einige Zeit, um sich daran zu gewöhnen.
Der Rel führte mit einer Geschwindigkeit, die Vardias schnellstem Schritt entsprach, und Hain folgte mit einer Geschwindigkeit zwischen acht und zehn Kilometern in der Stunde. Nach weniger als einer Stunde erreichten sie eine Straße, deren Pflasterung aussah wie ein einziges langes Band aus glattpolierter Jade. Auch auf dieser Straße gab es Verkehr.
Der erste Gedanke, den sie hatten, war, daß keine zwei Bewohner Der Nation gleich aussahen. Es gab hohe, dicke, dünne, kurze, sogar lange Exemplare. Sie bewegten sich auf Rädern, Raupen, zwei, vier, sechs und acht Beinen und hatten alle vorstellbaren und ein paar nicht vorstellbare Arten von Gliedmaßen oder Anhängseln. Obwohl alle offenkundig Maschinen aus stumpfsilbernem Metall waren, sahen sie alle so aus, als wären sie auf einen Schlag geschaffen worden. Keine Schrauben, Nieten oder sonstige Verbindungsstücke waren zu sehen; sie bogen und bewegten das Metall wie Haut, und in jeder Richtung, die ihnen behagte.
Vardia verstand und bestaunte es.
Jedes Exemplar war für einen einzigen Zweck geschaffen, um ein einzelnes Bedürfnis der Gesellschaft zu erfüllen. Es war die praktischste aller Gesellschaften, die sie gesehen hatte, dachte sie, die Vervollkommnung von Ordnung und Nützlichkeit.
Sie hätte nur gerne begriffen, was die Bewohner Der Nation eigentlich taten.
Es gab Gefüge, gewiß, immer mehr davon, als sie weiter eindrangen. Manche waren erkennbar als Gebäude, wenngleich so verschiedenartig und seltsam geformt wie die Bewohner dieses seltsamen Landes. Andere Gebilde schienen Skelette zu sein oder verkrümmte Metallformen. Nach ihrer Funktion konstruierte Arbeiter huschten hin und her. Manche bauten, andere schienen Löcher auszugraben und wieder zu füllen, während wieder andere Sandhaufen von einer Stelle zur anderen beförderten. Sinn ergab nichts davon.
Sie zogen stundenlang durch die Landschaft, ohne daß eines der Wesen auf sie geachtet hätte. Mehr als einmal mußten Hain und Vardia ausweichen, um nicht von einem Wesen oder seiner Last überrannt zu werden.
Sie kamen zu einem Gebäude, das aus demselben Material zu bestehen schien wie die Wesen selbst, äußerlich aber einer großen Scheune glich. Der Erahner und Der Rel überraschten sie damit, daß sie auf den Eingang zusteuerten und vor einem großen Knopf anhielten. Auf ein Zeichen hin drückte ihn Vardia hinein. Die Tür glitt zur Seite, und das sonderbare Wesen, das sie führte, schwebte hinein. Sie folgten ihm in eine große, nackte Kammer. Die Tür glitt zu, und sie befanden sich in völliger Dunkelheit, in der man nur die Lichter Des Erahners blinken sah.
Ringsum hörten sie ein Surren, Knacken und Rauschen, das einige Minuten anzuhalten schien, dann öffnete sich eine Innentür vor einer ähnlichen Kammer mit indirekter Beleuchtung an der Decke. Sie gingen hinein.
»Ihr könnt jetzt eure Atemapparate abnehmen«, sagte Der Rel. »Skander, helfen Sie Mar Hain? Danke. Hain, entfernen Sie jetzt ganz vorsichtig die beiden Schläuche aus den Beinen von Bürger Chon. Ja, gut.«
Sie atmeten alle frische Luft ein, die nur Vardia nicht zu schätzen wußte.
»Es wird gleich besser werden, Bürger Chon«, versicherte Der Rel. »Die Atmosphäre besteht fast nur aus Sauerstoff, mit Spuren von Kohlendioxyd, aber letzteres wird durch unsere Begleiter und auf künstliche Weise hinzugefügt werden.«
Es zischte wieder, dann kam eines der metallenen Wesen aus einer kaum sichtbaren Seitentür. Es war humanoid, ungefähr so groß wie Vardia, 150 Zentimeter, und bis auf einen dreieckigen Schirm am Kopf ohne Merkmale.
»Ich hoffe, alles ist zufriedenstellend«, sagte es mit einer freundlichen und unerwartet melodischen Stimme.
»Der Grüne da, der Czillaner, ist eine Pflanze, nicht ein Tier«, sagte Der Rel. »Er benötigt mindestens nullkommafünf Prozent Kohlendioxyd. Würden Sie dafür sorgen?«
»Oh, das tut mir sehr leid. Wird sofort behoben.«
Vardia spürte augenblicklich eine zunehmende Besserung, vermochte leichter zu atmen und sah keine Schwärze mehr vor ihren Augen.
»Welche Umwelten benötigen Sie?«fragte das Wesen.
»Typ Zwölf, Einunddreißig, Einssechsundzwanzig und Dreizehnvierzig«, sagte Der Rel. »Nebeneinander, mit privater Sprechanlage, bitte.«
»Wird vorbereitet«, sagte der Roboter und verbeugte sich ein wenig.
»Was für ein Ort ist das überhaupt?«fragte Skander scharf.
Der Roboter zuckte zurück, und Vardia hätte schwören mögen, daß auf dem leeren Gesicht Betroffenheit zu erkennen war.
»Das ist natürlich ein Hotel ersten Ranges für Durchreisende, versteht sich«, erwiderte er. »Was sonst?«
Sie wurden einzeln von kleinen Roll-Robotern, die Platz für Gepäck und dergleichen hatten, in ihre Zimmer geführt.
Starke Hände hoben Skander vorsichtig aus dem Sattel und auf eines der Fahrzeuge. Die Wissenschaftlerin wurde mit hoher Geschwindigkeit durch einen beleuchteten Tunnel gefahren und vor einem Raum abgesetzt. Die Tür öffnete sich automatisch, der Wagen glitt hinein und hielt.
Skander war fassungslos. Es war ein Schwimmbecken mit Rutschbahn, die sanft in blaues Wasser führte, das immer tiefer wurde, je mehr es der Rückwand zuging — das Becken war etwa fünfzehn mal zehn Meter groß. Im Wasser schwammen, deutlich sichtbar, mehrere der kleinen Fische, die den Umiau am besten schmeckten, und Büschel von dem blaugrünen Tang, von dem sie sich ebenfalls ernährten.
Skander rollte sich vom Wagen und sprang glücklich ins Wasser. Es war an der tiefsten Stelle nur vier Meter tief, aber herrlich.
Zwei kleine Wagen gemeinsam beförderten als nächstes Hain zu einer Tür daneben; das Zimmer war mit den besten Pelzen ausgelegt und verfügte über eine beträchtliche Menge an saftigen weißen Würmern.
Danach wurde Vardia in einen Raum mit fettem, schwarzem Boden und starkem künstlichem Sonnenlicht geschafft. Von der Decke hing eine Kette mit der czillischen Aufschrift: ›Ziehen, wenn Dunkelheit gewünscht wird. Alle Gäste werden acht Stunden nach Eintritt der Dunkelheit oder zwölf Stunden nach dem Betreten des Raumes geweckt.‹ In einer Ecke gab es ein kleines Becken mit klarem Wasser, und in einer anderen sogar einen kleinen Schreibtisch mit Papier und Schreibstift.
Als Vardia sich umsah, krächzte es leise, dann hörte sie, wie die drei anderen, die Stimme des Rel.
»Bitte, genießt diese Nacht auf Kosten des Barons«, sagte sie. »Morgen sorge ich für Transport, der uns zur Grenze bringt. Später werden wir es nicht mehr so behaglich haben, also genießt es. Ab morgen wird es hart.«
Vardia trank durstig, dann senkte sie ihre Wurzeln in den Boden und drehte das Licht ab.
Skander schlief als letzte, da sie die Unbeschwertheit im Wasser genoß. Endlich kroch auch sie an den Beckenrand und löschte das Licht.
Sie schliefen alle fest (mit Ausnahme vielleicht von Erahner und Rel, die keinen Schlaf zu brauchen schienen) und wurden nicht nur durch das automatische Einschalten der Beleuchtung, sondern auch durch die Stimme des Rel geweckt. Sie klang unerwartet erregt.
»Es stimmt etwas nicht«, sagte Der Rel schnell. »Wir werden aus irgendeinem technischen Grund aufgehalten. Wir können heute nicht fort.«
»Soll das heißen, daß wir festgenommen sind?«fragte Skander ungläubig.
»Es hat den Anschein«, erwiderte Der Rel. »Ich kann es nicht begreifen.«