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Sie führten Nathan danach hinunter und zeigten ihm seinen Körper. Wuju kam mit, aber ein kurzer Blick genügte, und sie hastete davon.

Er schwamm in einem Tank, an Hunderte von Instrumenten und Lebenserhaltungssystemen angeschlossen. Die Monitore zeigten autonome Muskeltätigkeit, aber keinerlei Gehirnaktivität. Der Körper selbst war zusammengeflickt worden, sah aber aus wie durch einen Fleischwolf gedreht. Das rechte Bein fast abgerissen, jetzt wieder angenäht, aber leblos. Die Riesenhand, die das Bein abgerissen hatte, hatte ihn auch kastriert.

Brazil hatte genug gesehen. Er verließ den Raum und stieg vorsichtig die Treppe hinauf. In die Aufzüge paßte er nicht.

Der Arzt hatte von Bat erfahren, daß Brazil schreiben konnte. Da es in Czill genug weichen Boden gab, hatte er eine große Sandkiste beschafft.

»Was sollen wir tun?« fragte der Arzt.

»KÖNNT IHR MIR SPRECHGERÄT BAUEN?« fragte Brazil.

»Vielleicht. Sie wissen, daß die Übersetzungsgeräte, die wir aus einem anderen Hex einführen, eingepflanzt und an Neuralwege zwischen Gehirn und Stimmapparat des Wesens angeschlossen werden. In Ihrem alten Körper hatten Sie eines. Wir haben nun nichts, wo wir das Gerät bei Ihnen anbringen können, aber wenn wir ein kleines künstliches Zwerchfell einsetzen und die elektrischen Impulse von Ihrem Gehirn über Kabel dorthin übertragen, könnten wir einen Sprechkasten montieren. Es wäre nicht ideal, aber man könnte Sie verstehen. Ich sage den Labors Bescheid. Die Operation ist einfach, und wir könnten sie morgen oder übermorgen durchführen.«

»JE FRÜHER, DESTO BESSER«, schrieb Brazil und wollte sich entfernen, aber der Arzt hielt ihn zurück.

»Solange wir allein sind, möchte ich etwas besprechen, das Sie vielleicht nicht wissen. Unsere Untersuchungen zeigen, daß Sie körperlich etwa viereinhalb Jahre alt sind. Den Unterlagen zufolge liegt die durchschnittliche Lebenszeit der Murithel-Antilope zwischen acht und zwölf Jahren, so daß Sie damit rechnen müssen, viel schneller zu altern. Sie haben noch vier bis acht Jahre zu leben, nicht länger. Aber das ist um ebenso viele Jahre länger, wie Sie ohne die Übertragung gelebt hätten.«

Das Tier legte den Kopf auf die Seite, als wolle es mit den Achseln zucken. Brazil ging zurück zum Sandkasten.

»VIELEN DANK«, schrieb er. »NICHT VON BEDEUTUNG.«Er ging.

Der Arzt starrte ihm verwirrt nach. Er wußte, daß nach Meinung aller Brazil die älteste lebende Person sei, die es gab, und er hatte zweifellos unfaßbare, übermenschliche Lebenskraft bewiesen. Vielleicht will er sterben, dachte der Czillaner. Oder vielleicht meint er, er könnte es selbst jetzt nicht.

* * *

Die Operation wurde mit örtlicher Betäubung durchgeführt. Das einzige Problem für den Chirurgen bestand darin, die richtigen Nervensignale in einem Tiergehirn, das für die Sprache so ungeeignet war, herauszuschälen. Man fand sie mit Hilfe der Computer in knapp einer Stunde. Dann blieb nur noch die Sorge des Bohrens im Geweih, aber dieses erwies sich als schmerzunempfindlich. Man verwendete ein kleines Transistorradio der Umiau, das viel aushielt und wasserdicht war. Man stellte Anschlüsse im Sockel des Geweihs her, und das winzige Radiogerät, nur an die sechzig Quadratzentimeter groß, wurde dort angeschraubt. Ein kosmetischer Eingriff und Plastik sorgten dafür, daß bis auf das Lautsprechergitter alles nahezu unsichtbar blieb.

»Sagen Sie jetzt etwas«, erklärte der Chirurg. »Tun Sie ganz so, als könnten Sie sprechen.«

»Wie ist das?«fragte Brazil. »Können Sie mich hören und verstehen?«

»Ausgezeichnet«, sagte der Chirurg begeistert. »Ein Markstein. Es gibt sogar Spuren von Betonung und Modulation.«

Brazil war hocherfreut, obwohl die Stimme hinter dem Gedanken ein wenig herhinkte, woran er sich erst noch gewöhnen mußte. Seine neue Stimme klang in seinen Ohren überaus seltsam und besaß nicht die innere Resonanz, die von Stimmbändern erzeugt wird.

Sie genügte. »Sie werden starke Kopfschmerzen haben, wenn die Narkose nachläßt«, sagte der Chirurg. »Im Geweih gibt es zwar keine Schmerzzentren, aber wir mußten in den Schädel eindringen, um die Anschlüsse herzustellen.«

»Das stört mich nicht«, erwiderte Brazil. »Den Schmerz kann ich verdrängen.«

Er ging hinaus, wo Wuju und die Fledermaus sorgenvoll warteten.

»Wie gefällt euch meine neue Stimme?«fragte er.

»Dünn, schwach und blechern, sehr mechanisch klingend«, sagte Bat.

»Sie klingt gar nicht nach dir, Nathan«, meinte Wuju. »Sie hört sich an wie ein winziges Taschenradio, wie der Computer sich anhört. Trotzdem ist etwas von dir daran — die Art, wie du Pausen machst, wie du etwas ausdrückst.«

»Jetzt kann ich an die Arbeit gehen«, sagte Brazils seltsame neue Stimme. »Ich muß mit dem Czill-Leiter des Skander-Projekts reden, mit einer maßgeblichen Person der Umiau, und ich brauche einen Atlas. Inzwischen besorgst du dir einen Dolmetscher, Wuju. Das ist bei dir wirklich ein leichter Eingriff. Ich will nicht plötzlich irgendwo dastehen, wo du mit keinem reden kannst.«

»Ich komme mit«, sagte die Fledermaus. »Ich kenne mich jetzt schon ganz gut hier aus. Die Stimme ist wirklich sonderbar, wissen Sie. Nicht nur, daß etwas so Wichtiges aus einem so großen Wesen kommt. Sie scheint keinen bestimmten Ursprung zu haben. Ich muß mich erst daran gewöhnen.«

»Das einzige von Wichtigkeit ist, daß Sie mich ein großes Wesen nennen«, sagte Brazil trocken. »Sie wissen nicht, was es bedeutet, durchs Leben zu gehen und kleiner zu sein als alle anderen.«

Sie gingen hinaus, und Wuju blieb allein und verwirrt zurück. Das lief ganz und gar nicht so, wie sie erwartet hatte. Er wirkte so kalt, so fern, so anders — das war nicht Nathan. Es lag nicht an der Stimme. Es war etwas in der Stimme, eine Manier, eine Kälte, eine Knappheit, die sie vorher nie gefühlt hatte.

»Besorg' dir einen Dolmetscher«, hatte er gesagt und war gegangen, ohne sich zu verabschieden oder ihr Glück zu wünschen.

* * *

»Ich will ein letztes Mal zum alten Körper hinunter«, sagte Brazil zu Cousin Bat, und sie stiegen in den Keller hinunter.

Auch Bat war eine Veränderung an ihm aufgefallen, und er machte sich Sorgen. Er fragte sich, ob die Verwandlung Brazils Gemüt verändert oder verwandelt hatte. Manche Formen des Wahnsinns und der Persönlichkeitsstörung sind organisch, dachte er. Wenn das Tiergehirn nun nicht das Richtige in ausreichenden Mengen liefert? Wenn er es nur zum Teil ist?

Sie betraten den Raum, wo sein Körper schwebte, nach all den Bildschirmen und Meßgeräten immer noch am Leben. Brazil stand am Tank und starrte den Körper lange an. Schließlich sagte er wehmütig:»Es war ein gutes Gefäß. Es hat mir lange, lange Zeit gedient. Nun, nicht zu ändern. Das neue ist auch gut zu gebrauchen. Laß es.«

Als er das letzte Wort aussprach, gingen alle Zeiger auf Null zurück, und die Schirme zeigten keine Lebenszeichen mehr an.

Wie auf Befehl war der Körper gestorben.

Brazil drehte sich um und ging wortlos hinaus.

* * *

»Es gibt keine Frage, daß Skander das Rätsel gelöst hat«, sagte der czillanische Projektleiter, der Manito hieß, zu Brazil und Cousin Bat. »Leider hat er die entscheidenden Erkenntnisse für sich behalten und den Computer gelöscht, als er fertig war. Was wir haben, ist nur das, was er schon enthielt, als er und Vardia entführt wurden.«

»In welcher Hauptrichtung forschte er?«fragte Brazil.

»Er war besessen von unserer Sammlung von Folklore und Legenden. Zumeist arbeitete er damit und gab den gemeinsamen Ausdruck ein: ›Bis Mitternacht am Schacht der Seelen‹.«

Brazil nickte. »Klar genug«, meinte er. »Aber Sie sagen, er hörte damit auf, als er zurückkam?«