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Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Ortega leise:»Ich weiß nicht, ob ich das alles glaube. Ich bin mein ganzes Leben Katholik gewesen, doch Gott war für mich nie ein kleiner hitziger Jude namens Nathan Brazil. Aber angenommen, es ist wahr, was Sie sagen — was ich nicht unbedingt akzeptiere —, warum haben Sie nicht alles weggeräumt und neu angefangen? Und warum geht unser schäbiges kleines Leben weiter?«

»Solange der Funke da ist, lasse ich den Dingen ihren Lauf«, erwiderte Brazil. »Der Zufallsfaktor, von dem ich sprach. Erst wenn er verschwindet, gehe ich, gebe ich auf, versuche ich es vielleicht noch einmal — sterbe ich vielleicht endlich. Ich möchte sterben, Serge — aber wenn ich es tue, nehme ich alles mit. Nicht nur sie, alle und alles, denn ich stabilisiere die universelle Gleichung. Und ihr seid alle meine Kinder, und mir bedeutet es etwas. Ich kann es nicht tun, solange der Funke bleibt, denn solange es ihn gibt, seid ihr nicht nur das Schlimmste, sondern auch das Beste an mir.«

»Ich glaube nicht, daß Sie Gott sind, Nate«, erwiderte Ortega ruhig. »Ich glaube, Sie sind verrückt. Jeder würde es werden, der so lange lebt. Ich glaube, Sie sind ein markovischer Rückschritt, verrückt nach einer Milliarde Jahren Getrenntsein von der eigenen Art. Wenn Sie Gott wären, warum schwenken Sie nicht einfach Ihre Greifarme und bekommen, was Sie wollen? Warum all diese Mühe und Qual?«

»Varnett!«rief Brazil. »Wollen Sie es mathematisch erklären?«

»Ich bin nicht sicher, ob ich nicht mit Ortega übereinstimme«, erwiderte Varnett. »Vom praktischen Standpunkt aus macht es allerdings keinen großen Unterschied. Ich begreife aber, was Sie meinen. Es ist dasselbe Dilemma, vor dem wir an der Steuertafel stehen. Sagen wir, Skander tut, was er möchte, er beseitigt die Kom-Welten«, fuhr der Junge fort. »Sagen wir, Brazil zeigt ihm, wie man das macht. Aber das Kom-Konzept und die Kom-Welten haben sich nach dem normalen menschlichen Fluß der sozialen Evolution entwickelt. Sie sind erzeugt von zahllosen historischen Ereignissen, Bedingungen, Ideen. Man kann sie nicht einfach verbannen; man muß die Gleichung so verändern, daß sie sich nie entwickelt haben. Man muß die ganze menschliche Gleichung verändern, alle früheren Ereignisse, die zu ihnen führten. Die neue Linie, die entstünde, wäre eine völlig neue Entwicklung. Konstruktion, Dinge, wie sie wären ohne jeden der entscheidenden Punkte, die zu den Koms geführt haben. Vielleicht war es ein Ventil, vielleicht, so schlimm es war, das einzige. Vielleicht hätte der Mensch sich vernichtet, wenn einer dieser Faktoren nicht vorhanden gewesen wäre. Vielleicht wäre schlimmer, was wir dann hätten.«

»Genau«, sagte Brazil. »Für alles Bedeutsame muß man die Vergangenheit ändern, die ganze Struktur. Nichts verschwindet einfach. Nichts erscheint einfach. Wir sind die Summe unserer Vergangenheit.«

»Was tun wir dann?«fragte Skander. »Was können wir tun?«

»Einiges«, entgegnete Brazil. »Ihr — vor allem ihr — habt Macht gewollt. Nun, das ist Macht.«Der Markovier ging auf die Steuerungstafel zu.

»Mein Gott! Er geht hinein!«schrie Skander. »Schießt, ihr Narren!«Die Umiau feuerte ihre Pistole auf den Markovier ab, die anderen folgten dem Beispiel und schossen gleichzeitig auf die Masse, mit einem konzentrierten Energiepuls, der ein großes Gebäude zerblasen hätte.

Das markovische Wesen hielt an, schien aber die Energie in sich aufzunehmen. Sie feuerten in es hinein, selbst Wuju.

Es war immer noch da.

Die Lichter des Erahners blinkten blitzschnell, zwei Strahlen Schossen heraus und trafen den Markovier. Sein Umriß leuchtete gleißend, das Licht erlosch.

Brazil war noch da.

Sie hörten auf zu feuern.

»Ich habe euch gesagt, ihr könnt mir nichts tun«, erklärte Brazil.

»Keiner von euch kann mir etwas tun.«

»Unsinn!«fauchte Ortega. »In Murithel ist Ihr Körper zerfetzt worden, warum nicht auch hier?«

»Natürlich!«rief Skander. »Dieser Körper ist eine direkte Konstruktion des markovischen Gehirns, ihr Narren! Das Gehirn läßt nicht zu, daß er Schaden davonträgt, weil er Teil des Gehirns selbst ist.«

»So ist es«, antwortete Brazil. »Ich brauche auch dort gar nicht hineinzugehen. Ich kann das Gehirn von hier aus anweisen. Ich konnte das, seit wir in den Schacht gegangen sind. Ich wollte euch nur etwas vorführen.«

»Wir scheinen Ihnen ausgeliefert zu sein«, sagte Der Rel. »Was haben Sie vor?«

»Ich kann von hier aus alles beeinflussen«, entgegnete Brazil. »Ich gebe die Daten durch diesen Kontrollraum in das Gehirn ein; das genügt. Es gibt zwar für jeden Typ einen Kontrollraum, aber sie sind Allzweck-Anlagen, für den Fall, daß Probleme auftreten. Jeder Kontrollraum kann auf jede Struktur geschaltet werden.«

»Aber Sie sagten —«, begann Ortega.

»Um mit Serge Ortega zu reden — ich habe gelogen«, erwiderte Brazil mit einer Spur von Belustigung in der Stimme.

Wuju lief auf ihn zu und warf sich zitternd vor ihm nieder.

»Bitte«, flehte sie, »bitte, tu uns nichts.«

»Ich tue dir nichts, Wuju«, sagte er mit unendlicher Sanftheit. »Ich bin derselbe Nathan Brazil, den du von Anfang an gekannt hast. Ich habe mich nicht verändert, nur körperlich. Ich habe dir nichts getan, nichts, um das zu verdienen. Du weißt, daß ich dir nichts tun würde. Ich könnte es nicht. Ich habe nicht auf dich geschossen, Wuju«, sage er unendlich tief verletzt und gequält.

Sie begann zu weinen.

»O Gott, Nathan! Es tut mir so leid. Ich habe versagt. Statt Vertrauen habe ich dir Angst bewiesen. O Gott! Ich schäme mich so. Ich möchte sterben«, klagte sie.

Vardia lief hin, um sie zu trösten, aber sie stieß das Mädchen weg.

»Hoffentlich sind Sie zufrieden«, fuhr Vardia ihn an. »Hoffentlich freuen Sie sich jetzt. Tun Sie mit mir, was Sie wollen, aber quälen Sie sie nicht mehr.«

Brazil seufzte.

»Niemand kann so etwas quälen«, sagte er leise. »Wie ich, kann man sich nur selbst quälen. Willkommen in der Menschheit, Vardia. Sie haben Mitleid bewiesen, ohne an sich selbst zu denken. Das wäre bei der alten Vardia undenkbar gewesen. Wenn von euch noch immer keiner begreift — ich habe vor, etwas für euch, nicht gegen euch zu tun.«Er wandte sich allen zu. »Ihr seid nicht vollkommen, keiner von euch. Vollkommenheit ist das Ziel des Versuches, nicht der Bestandteil. Quält euch nicht, flüchtet nicht vor euren Ängsten. Bekämpft sie! Stellt euch ihnen! Kämpft mit Güte, Barmherzigkeit, Mitleid! Überwindet sie!«