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Die Schwamm-Händler suchten sich nur die Reichsten und Mächtigsten aus — oder ihre Kinder, wenn ihre Welt Familien kannte. Für den täglichen Schwammbedarf wurde nichts verlangt, o nein. Man tat nur, was sie verlangten, wenn sie etwas verlangten.

Es herrschte sogar der Verdacht, so viele Machthaber der Konföderation seien dem Stoff verfallen, daß das der Grund sei, weshalb man nie ernsthaft nach einem Gegen- oder Heilmittel gesucht hatte.

Denn Macht war das überragende Ziel der Schwamm-Händler.

Nathan Brazil fragte sich, wer Wu Julee war. Die Tochter eines hohen Machthabers oder Bankiers oder Industriellen? Vielleicht das Kind des Exekutivleiters der Konföderation? Sie war wohl eher eine Versuchsperson, dachte er. Es lohnte nicht, sich bloßzustellen.

Sie war zweifellos Hains absolute Sklavin. Die Krankheit hatte in ihr bis kurz vor dem Punkt Fuß fassen dürfen, wo sie unkontrollierbar wurde. Menschlich, ja, aber wahrscheinlich der Intelligenzquotient schon halbiert, ständig von leichten Schmerzen geplagt, die zunahmen, sobald die Wirkung des Schwamm-Antitoxins nachließ. Eine wirksame Demonstration, die es dem Händler ersparte, eine unschuldige Person zu infizieren und den Dingen freien Lauf zu lassen. Das geschah im Bedarfsfall natürlich auch — aber es war nicht gut, einen langen Zeitraum entstehen zu lassen, in dem den Agenten der Konföderation offenbar wurde, daß ein Schwamm-Händler frei herumlief.

Brazil fragte sich beiläufig, warum das Mädchen nicht Selbstmord beging. Er glaubte, daß er das in einem solchen Fall getan hätte. Ein Opfer ist aber wahrscheinlich schon zu hilflos, um daran zu denken, bis es begreift, daß Selbstmord der einzige Ausweg ist, entschied er.

Brazil blickte wieder auf den Bildschirm. Hain hatte den Koffer wieder verschlossen und weggestellt und legte sich schlafen. Raffiniert, der Koffer, dachte der Kapitän. Schwamm ist außerordentlich stark komprimierbar und braucht nur so viel Meerwasser, daß er feucht bleibt. Er wuchs sogar in dem Koffer, dachte er. Wenn man Stücke verteilte, wuchsen neue nach. Das war der Grund, warum ein Opfer stets nur die Mindestmenge erhielt — wenn man genug davon in die Hand bekam, konnte man ihn selbst züchten.

Wu Julee lag auf ihrem Bett, ein Bein hing herab. Sie atmete schwer, aber auf ihrem Gesicht war eine Art Idiotenlächeln zu sehen.

Linderung für einen weiteren Tag, der kleine Schwammwürfel geschluckt, während der Körper das Beweismaterial aufspaltete.

Nun drehte sich Brazil doch der Magen um.

Was warst du, Wu Julee, bevor Datham Hain ein Essen servierte? fragte er sich. Studentin oder Gelehrte oder Spezialistin wie Vardia? Eine verwöhnte Göre? Eine Jungfrau, die vielleicht eines Tages Kinder zur Welt zu bringen hoffte?

Alles fort, dachte er düster. Die Aufzeichnungen würden Hain eindeutig überführen — und das Syndikat der Schwamm-Händler würde ihn auch opfern. Im höchsten Fall hatte er von Zwangsselbstmördern gehört, wenn sie Psychosonden oder dergleichen über sich ergehen lassen mußten. Sie würden von ihm nichts bekommen als sein Leben.

Aber Wu Julee — ohne Schwamm brauchte sie, von ihrem Zielpunkt aus gerechnet, bei Höchstgeschwindigkeit achtzehn Tage, um die verdammte Planetenkolonie zu erreichen, und sie befand sich bereits vor oder am Stadium unkontrollierbarer Ausbreitung der Krankheit.

Sie würde als hirnlos vegetierendes Wesen ankommen, unfähig zu allem, was nicht vom autonomen Nervensystem gesteuert wurde, nachdem sie den Großteil der Reise als Tier zugebracht hatte. Ein, zwei Tage danach würde ihr Nervensystem zerfressen werden, und sie mußte sterben.

Man würde sich also nicht die Mühe machen, sondern sie einfach zur nächsten Todesfabrik schicken, um von ihr wenigstens noch etwas zu haben.

Man sagte, Nathan Brazil sei ein harter Mann: erfahren, tüchtig und kalt wie Eis, jeder Gedanke nur für sich selbst.

Aber Nathan Brazil weinte im Dunkeln allein auf der Brücke seines Schiffes.

Weder Hain noch Wu Julee kamen noch einmal zum Essen, obwohl er den dicken Mann oft sah und dieser die Vorspiegelung unschuldiger Freundschaft aufrechterhielt.

Vardia erinnerte ihn eines Tages daran, daß er versprochen habe, ihr die Brücke zu zeigen.

»Gewiß«, sagte er. »Warum nicht gleich?«

Sie machten sich auf den Weg vom Aufenthaltsraum im Heck nach vorn, auf dem großen Laufgang über der Fracht.

»Ich möchte nicht neugierig sein«, sagte er zu ihr, »aber ist Ihr Auftrag von lebenswichtiger Bedeutung?«

»Sie meinen, Krieg oder Frieden, etwa in diesen Begriffen?«erwiderte Vardia. »Nein, das kommt nur selten vor. Sie können ruhig wissen, daß ich nichts von den Botschaften weiß, die ich überbringe. Sie sind blockiert, und nur der Schlüssel bei unserer Botschaft auf Coriolanus kann freisetzen, was ich zu sagen habe. Dann wird die Information gelöscht, und ich werde heimgeschickt, mit oder ohne einer Antwort. Aber am Tonfall und Gesichtsausdruck der Leute, die mir die Botschaft übergeben, kann ich gewöhnlich erkennen, ob es etwas Ernstes ist, und das trifft diesmal gewiß nicht zu.«

»Möglicherweise hängt es mit der Ladung zusammen«, meinte Brazil, als sie die Messe betraten, hindurchgingen und einen zweiten, kürzeren Laufgang überquerten. Die gewaltigen Motoren, die das Echt-All-Kraftfeld um sie aufrechterhielten, pulsierten unter ihnen. »Wissen Sie, wie schlecht es auf Coriolanus steht?«

»Nicht allzu schlimm«, meinte sie achselzuckend. »Es herrscht noch keine umfassende Hungersnot. Das wird erst in einigen Monaten der Fall sein, wenn die Ernte nicht eingebracht werden kann, weil es das letzten Mal nicht geregnet hat und der Boden zu hart ist. Dann wird man diese Fracht brauchen. Warum fragen Sie?«

»Ach, nur aus Neugier«, erwiderte er gepreßt.

Sie betraten die Brücke, und Vardia sah sich alles an, eifrig wie ein Kind, wollte alles erklärt und vorgeführt haben.

Den Computer bestaunte sie besonders.

»Ich habe noch nie einen gesehen, bei dem man schreiben und lesen muß«, erklärte sie ihm mit der Ehrfurcht, die echten Altertümern gebührte.

»Nun, man gewöhnt sich daran«, erwiderte er. »Er ist genauso modern und leistungsfähig wie ein anderer. Ich habe es ausprobiert und komme mit diesem besser zurecht. Obwohl ich wenig zu tun habe, muß ich im Notfall in Sekundenbruchteilen entscheiden. Es ist besser, in einer solchen Lage instinktiv anzuwenden, was man weiß.«

Sie entdeckte seine Taschenbücher mit den bunten Umschlägen, und er fragte sie, ob sie lesen könne, aber sie sagte, nein, wozu auch? Bestimmte Berufe auf ihrer Welt verlangten natürlich die Fähigkeit zu lesen, aber nur sehr wenige.

Er war jedenfalls froh darüber, daß sie nicht lesen konnte. Er hatte einen sehr beunruhigenden Augenblick durchgemacht, als sie an den Computer getreten war und er bemerkte, daß er vergessen hatte, die Anzeige abzuschalten.

Der Computer hatte seine übliche halbstündliche Warnung ausgespuckt.

UNERLAUBTE KURSÄNDERUNG‹, stand auf dem Schirm. ›DIESE MASSNAHME IST NICHT GERECHTFERTIGT. DER KURS WIRD AUFGEZEICHNET UND DER KONFÖDERATION NACH ERREICHEN DES ZIELES SOFORT MITGETEILT.‹ Und sie fragte sich, warum er keinen sprechenden Computer hatte.

So flogen sie auf neuem Kurs weiter, ohne daß außer Brazil oder dem Computer jemand etwas von ihrem neuen Ziel ahnte.

Ein Geniestreich, gratulierte er sich, nachdem Vardia gegangen war. Die Antworten der Kurierperson hatten sein Gewissen erleichtert, was Coriolanus anging. Sie würden ihr Korn bekommen — eben verspätet. Inzwischen würde Hain Wu Julee weiter mit Schwamm versorgen, bis der Tag kam, an dem sie die Schwamm-Welt selbst erreichten. Dort würde er zwei Passagiere verlieren — Wu Julee würde leben, und Hain würde der Kolonie als Drogenhändler vorgestellt werden.

Brazil glaubte, daß kein Marinegericht der Galaxis ihn verurteilen würde; außerdem hatte er schon die größte Zahl von mündlichen und schriftlichen Verweisen aller Kapitäne.