Bolitho nickte zufrieden.»Gewiß, Mylord, das Wort >wenn< kann für einen Marineoffizier alles bedeuten.»
Er vernahm, daß jemand ein Boot anrief, und vermutete, daß Somervell seinen Abgang wie seine Ankunft auf die Minute genau arrangiert hatte.
«Ich werde sofort Kapitän Haven informieren.»
Somervell hörte nur noch halb hin, meinte aber:»So vage wie möglich. Wenn zwei ein Geheimnis teilen, ist es kein Geheimnis mehr.»
Die Tür ging auf und Ozzard trat ein, Somervells Hut mit größter Sorgfalt balancierend.
Somervell bemerkte noch:»Es freut mich, daß wir uns kennengelernt haben. Aber ich kann mir um nichts in der Welt vorstellen, warum Sie darauf bestanden, diese Aufgabe selbst zu übernehmen. «Er verbeugte sich spöttisch.»War es etwa Todessehnsucht? Denn noch mehr Ruhm haben Sie bestimmt nicht nötig.»
Damit drehte er sich auf dem Absatz um und verließ die Kajüte.
Über die strammstehenden Seesoldaten an der Relingpforte sah er hinweg, desgleichen über Imries schlaksige Gestalt an der Pooptreppe.»Ich könnte mir denken, daß Lady Belinda diesen Drang zu weiteren Siegen, so bald nach dem letzten, ausgesprochen mißbilligt. «Mit einem schiefen Lächeln ging er von Bord.
Bolitho blickte der hübschen, von der Hyperion fortrudernden Barkasse nach. Was hatten sie besprochen und, mehr noch, was war ungesagt geblieben? Was hatte sich beispielsweise Somervell bei seinem Hinweis auf Belinda, seine Frau, gedacht? Wollte er ihn nur reizen, oder konnte er sich nicht zurückhalten, da keiner von beiden auch nur einmal Catherine erwähnt hatte? Haven näherte sich und tippte an seinen Hut.»Irgendwelche
Befehle, Sir Richard?»
Bolitho zog seine Uhr und ließ den Deckel aufspringen. Es war genau Mittag. Ihre Augen trafen sich, und Bolitho fühlte fast körperlich des anderen Zurückhaltung, ja Vorsicht. Er zögerte.»Alle Kommandanten sollen sich im Anschluß an die Nachmittagswache zur Besprechung bei mir melden. Führen Sie sie in meine Kajüte.»
Haven schluckte.»Der Rest unseres Geschwaders ist aber noch auf See, Sir.»
Bolitho sah sich um. Die Ehrenwache war schon weggetreten, nur der Unteroffizier vom Dienst war noch in der Nähe. Er sagte:»Ich habe die Absicht, innerhalb der Woche und sobald genügend Wind unsere Segel füllt, ankerauf zu gehen. Wir segeln nach Südwesten zum Festland und beziehen vor La Guaira Station.»
Havens rötliche, sonnengebräunte Wangen, die zu seiner Haarfarbe paßten, schienen zu erbleichen.»Das sind sechshundert Seemeilen, Sir! Mit diesem Schiff, ohne Unterstützung? Ich weiß nicht, ob.»
Bolitho fixierte ihn scharf.»Haben Sie keinen Mumm oder möchten Sie eine vorzeitige Verabschiedung?«Doch er zügelte sich, weil Haven nicht zurückschlagen konnte, und setzte ruhiger hinzu:»Ich brauche Sie, und auch dieses Schiff braucht Sie. Das ist alles.»
Beim Fortgehen bemerkte er Imrie.»Kommen Sie mit, ich möchte Sie Ihrer Ideen berauben. «Als ein Sonnenstrahl durch die Besanwanten auf ihn fiel, zuckte er zurück. Für Sekunden war sein linkes Auge völlig blind, und er mußte sich zusammennehmen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien.
Von Todessehnsucht hatte Somervell gesprochen. Bolitho ertastete sich den Weg ins Achterschiff, wobei ihn Bitterkeit überfiel. Zu viele hatten schon seinetwegen sterben müssen, und auch seine Freunde erlitten durch den Umgang mit ihm nur Schaden.
Imrie duckte sich unnötigerweise und begleitete ihn in das Dunkel des Achterdecks.»Ich habe nachgedacht, Sir Richard, und ein paar Einfalle.»
Seine einfachen Worte waren eine Art Rettungsleine für den Admiral.
Bolitho entgegnete:»Dann wollen wir unseren Durst löschen, während ich zuhöre.»
Als sie verschwunden waren, rief Haven nach dem Signalfähnrich und erklärte dem Jungen Art und Zeit der Übermittlung, wodurch die anderen Kommandanten an Bord gerufen werden sollten. Danach wandte er sich dem erst jetzt herbeieilenden Ersten Leutnant zu. Bevor dieser den Mund aufmachen konnte, fuhr ihn Haven an:»Muß ich auch noch Ihre Aufgaben übernehmen, verdammt noch mal?«Noch im Weggehen schimpfte er:»Bei Gott, wenn Sie sich nicht bessern, lasse ich Sie an Land setzen, für immer!»
Parris starrte ihm nach, nur seine geballten Fäuste verrieten seinen Groll.»Gott verdamme dich!»
Er sah, daß der Fähnrich große Augen machte. Hatte er sich etwa laut ausgelassen? Er grinste müde.»Der Seemann hat ein feines Leben, Mr. Mirrielees, vorausgesetzt, er hält sein Maul!»
Um acht Glasen nachmittags, also um vier Uhr, wurde das Signal an der Rah vorgeheißt. Es fing an.
IV Sturmwarnung
Bolitho stand im leeren Bootsschuppen und gewöhnte seine Augen an die Formen und Schatten. Es war ein großes, baufälliges Gebäude, von einigen wenigen Lampen schwach erleuchtet. Um die Feuersgefahr zu verringern, hingen die
Laternen an langen Ketten und pendelten jetzt leise, was den Eindruck erweckte, als bewege sich der Schuppen wie ein Schiff.
An diesem Abend war die Dunkelheit lebendig und voller Geräusche: dem Rascheln und Klatschen der Palmwedel, dem unruhigen Plätschern des Wassers unter der groben Aufschleppe, wo man den Leichter für seine Reise in den Süden hergerichtet hatte. Der Bootsschuppen war ein wimmelnder Bienenkorb gewesen, in dem Schiffbauer und Seeleute gegen die Zeit arbeiteten, um zusätzliche Bilgepumpen einzubauen und Scharniere entlang der Verschanzung einzusetzen, damit man diese bei Bedarf niederlegen konnte.
Bolitho fühlte losen Sand vom Strand in seinen Schuhen, während er zum hundersten Mal seine Pläne durchdachte. Jenour hatte ihm Gesellschaft geleistet, aber sein Verlangen nach Alleinsein respektiert.
Bolitho lauschte dem Plätschern des Wassers, dem sanften Stöhnen des Windes über dem vom Wetter zerrissenen Dach. Sie hatten um Wind gebetet, aber nun konnte er zunehmen und sich gegen sie kehren. Wenn der Leichter vollschlagen sollte, bevor er sein Ziel erreichte, mußte er sich zu einer Planänderung entschließen. Entweder würde er dann Thor ohne Unterstützung an die Küste schicken oder den Angriff abbrechen müssen. Er dachte an den Zweifel in Somervells Augen. Nein, er würde nicht umkehren, es war sinnlos, andere Möglichkeiten zu erwägen.
Er sah sich im dräuenden Schatten des Schuppens um: Skelette alter Boote, Spanten von neuen, der Geruch nach Farbe, Teer und Tauwerk. Eigenartig, daß er nach so vielen Jahren auf See seine anregende Wirkung auf ihn immer noch nicht verfehlte.
Bolitho entsann sich der Schuppen in Falmouth, wo er und sein Bruder und manchmal auch seine Schwestern alle Winkel erforscht hatten und sich wie Piraten und Prinzessinnen vorgekommen waren. Er fühlte einen Stic h im Herzen, als er an seine Tochter Elizabeth dachte, wie sie, unbeholfen auf den Arm genommen, an seinen Epauletten und blanken Knöpfen gezupft hatte.
Doch statt ihn und Belinda wieder zu vereinen, war das Gegenteil geschehen. Eine ihrer Auseinandersetzungen hatte sich um Belindas Absicht gedreht, eine Gouvernante und ein passendes Kindermädchen für ihre Tochter zu engagieren. Dies und ihr Vorschlag, nach London zu ziehen, hatten den Streit entzündet. Sie hatte ihm erklärt:»Nur weil du selbst in Falmouth mit den Dorfkindern aufgewachsen bist, kannst du nicht von mir verlangen, daß ich Elizabeth die Möglichkeit vorenthalte, sich im Leben zu verbessern und von deinen Leistungen zu profitieren.»
Es war eine schwierige Geburt gewesen, während Bolithos Abwesenheit auf See. Die Ärzte hatten Belinda vor einem zweiten Kind gewarnt, und als Folge davon war eine Entfremdung zwischen den Eheleuten eingetreten, die Bolitho nicht verstand und als ungerecht empfand. Ein andermal hatte Belinda spitz geäußert:»Ich habe dir von Anfang an erklärt, ich bin nicht Cheney. Hätte ich ihr nicht so ähnlich gesehen, wären wir jetzt wohl kaum verheiratet.»
Bolitho hatte versucht, die Barriere zwischen ihnen niederzureißen, Belinda an sich zu ziehen und ihre Angst zu beschwichtigen. Er wollte ihr von seiner Augenverletzung erzählen und von dem, was sie bedeuten konnte. Statt dessen hatten sie sich in London getroffen, und es war zu unerklärlichen, bitteren Feindseligkeiten zwischen ihnen gekommen, die beide später bedauerten.