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Bolitho hörte, wie Parris einem Mann im Besanmast etwas zurief. Er war unermüdlich und nicht zu stolz, beim Brassen oder Heißen mit anzupacken. Mit ihm hatte Bolitho eine gute Wahl getroffen.

Thor war dem schwerfälligen Schatzschiff gefolgt, wahrscheinlich ebenso erstaunt über ihren Erfolg wie alle. Doch so groß dieser auch war, er hatte seinen Preis gefordert und Trauer hinterlassen wie nach jedem Gefecht.

Leutnant Dalmain war ums Leben gekommen, aber seine Leute waren von Thor abgeborgen worden. Die beiden Mörser mußten aufgegeben werden, ihr wuchtiger Rückstoß hatte den lecken Leichter bis auf den Kiel zerschlagen. Dalmain hatte seine Leute in Sicherheit gebracht und war noch einmal zurückgekehrt, um etwas zu holen. Dabei war der Leichter plötzlich vollgelaufen und weggesackt. Nun lag Dalmain bei seinen geliebten Mörsern.

Vier Mann waren beim Angriff gefallen, drei weitere schwerverwundet worden. Einer der letzteren war Seemann Laker, der einen Arm und ein Auge verloren hatte, als eine Muskete ihn auf Nahschußdistanz beschoß. Bolitho hatte gesehen, wie Parris über ihm kniete, als der Mann krächzte:»Besser als ausgepeitscht, nicht wahr, Sir?«Dann hatte er nach der Hand des Leutnants getastet.»Konnte ein kariertes Fell noch nie leiden, schon gar nicht seinetwegen.»

Wahrscheinlich meinte er Haven. Wenn sie die Hyperion bald trafen, würde deren Chirurg ihn vielleicht retten können.

Bolitho dachte an die Fracht unter seinen Füßen: Kisten und Kästen voll Gold und Silber, juwelenbesetzten Kruzifixen und Schmuckstücken. Im Licht von Alldays Laterne glitzerten die Schätze fast ordinär. Sie hatten Glück gehabt, dachte er müde. Dem spanischen Kapitän war eine Information entschlüpft: An eben jenem Morgen sollte sich eine Kompanie Soldaten auf der Ciudad einschiffen, um den Schatz zu begleiten, bis er in spanischen Gewässern entladen wurde. Eine Kompanie regulärer, disziplinierter Soldaten aber hätte ihren Handstreich zum Gespött gemacht.

Er dachte an den kleinen Schoner Spica und seinen Kapitän, der versucht hatte, Alarm auszulösen. Sein Schiff war heil, aber die Spanier würden kaum andere Schiffe abstellen, um ihn in sichere Gewässer zu geleiten. Vielleicht sahen sie in ihm sogar den Schuldigen. Eines war sicher: Er würde nie wieder mit dem Feind Handel treiben, ob neutral oder nicht.

Bolitho gähnte herzhaft und massierte seine Stirnnarbe. Samuel Lintott, der imponierende Bootsmann der Hyperion, würde einige Flüche loslassen, wenn er den Verlust der Jolle und der beiden Kutter entdeckte. Vielleicht konnte ihn das hohe Prisengeld trösten, das allen winkte. Der Admiral bemühte sich, nicht einzunicken. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt ungestört geschlafen hatte.

Das Schiff und seine reiche Ladung würden in der City von London Freude auslösen, und natürlich bei seiner Britannischen

Majestät, dem König, der sich nicht einmal an seinen Namen erinnert hatte, als er ihn mit dem Schwert zum Ritter schlug. Doch vielleicht bedeutete der Schatz für diejenigen, die so viel besaßen, gar nichts Besonderes.

Man konnte einen Krieg auch anders führen, als mit Kanonen Blut zu vergießen. Aber weder das eine noch das andere schien ihm richtig zu sein; er fühlte sich unbehaglich. Nur der Stolz ließ ihn durchhalten und der Gedanke an seine Männer. An solche, die ihre Leute retteten und selbst untergingen wie Dalmain. Oder an jene wie Seemann Laker, der Schulter an Schulter mit seinen Freunden gefochten hatte, weil sie mehr für ihn bedeuteten als irgendeine Flagge oder Beute.

England kam ihm in den Sinn, und er fragte sich, wie Belinda wohl ihre Zeit in London verbrachte. Er sah ihr Bild wie durch ein salzbeflecktes Teleskop, farblos und verschwommen, und fühlte sich vage schuldig. Dann schweiften seine Gedanken zu Viscount Somervell, obwohl das nur ein Umweg war, der ihn wieder zu Catherine führte. Würden sie nun Westindien verlassen, nachdem der Schatz oder doch ein großer Teil davon erbeutet war?

Seine Stirn berührte den Unterarm, und er fuhr jäh hoch, weil er am Tisch eingenickt war. Gleichzeitig hörte er die Stimme des Ausgucks im Masttopp. Als Parris antwortete und der Ausguck abermals brüllte, war er schon auf den Füßen und blickte durchs Oberlicht.

«Achtung, Deck! Zwei Segel in Nordwest!»

Bolitho durchschritt ihm fremde Türen und passierte eine Reihe verlassener Kabinen. Die Reste der spanischen Schiffsbesatzung waren im Laderaum eingeschlossen, wo sie weder das Schiff zurückerobern noch den Rumpf beschädigen konnten, ohne ihr eigenes Leben zu gefährden. Alle Leute der Hyperion befanden sich an Deck oder hoch oben in der Takelage. Neben einem Bücherbord hing das Porträt eines spanischen Edelmannes, den er für den Vater des Kapitäns hielt. Vielleicht war es auch bei ihm so wie in dem alten grauen Haus in Falmouth, auch er hatte Gemälde, die eine Familiengeschichte erzählten.

An der Backbordseite des Achterdecks standen Parris, Jenour und Skilton, der Meistergehilfe, jeder mit einem Fernglas. Parris sah ihn und grüßte.»Noch nichts Neues, Sir Richard.»

Der Horizont bildete eine scharfe Linie, er glich der Krone eines Deiches, hinter der man nichts sehen konnte. Bis es dunkel war, würden noch Stunden vergehen. Das alles dauerte viel zu lange.

«Vielleicht ist's die Hyperion, Sir Richard.»

Doch beide glaubten es nicht. Bolitho meinte:»Bei diesem günstigen Wind hätten wir schon mittags mit ihr zusammentreffen müssen«, und setzte nach einer Pause hinzu:»Benachrichtigt Thor, Imrie dürfte die Fremden noch nicht gesehen haben.»

Er machte ein paar Schritte hierhin und dorthin, das Kinn in der Halsbinde vergraben. Das gab ihm Zeit zum Überlegen. Er mußte sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß der Feind ihm auf den Fersen war. Bei der Ciudad de Sevilla aber handelte es sich weder um ein Kriegsschiff, noch verfügte sie über die Bewaffnung eines Indienfahrers. Die Geschütze mit ihren verzierten Lafetten und demonstrativen Bronzemäulern machten zwar einen kriegerischen Eindruck, waren aber nutzlos außer gegen Piraten und Freibeuter.

Er musterte einige Seeleute in seiner Nähe. Das Gefecht hatte ihnen genug abverlangt. Freunde waren verwundet und getötet worden, doch ihr Überleben und der Traum vorn Prisengeld hatten sie in Hochstimmung versetzt. Nun kam es wieder anders. Ein Wunder, daß sie nicht nach achtern eilten, sich alles aneigneten und flohen. Nur Bolitho und zwei Leutnants hätten sie daran hindern können.

Der Ausguck rief:»Zwei Fregatten, Sir! Dem Aussehen nach Spanier!»

Bolitho stockte der Atem, alle sahen ihn an. Irgendwie hatte er geahnt, daß Haven mit der Hyperion nicht rechtzeitig kommen und ihm helfen würde. Es mutete wie ein Witz an, daß er ihm selbst einen ehrenvollen Ausweg eröffnet hatte.

Parris sagte gleichmütig:»Nun, wie man hört, ist die See unter unserm Kiel zwei Meilen tief. Die Dons kriegen das Gold nicht wieder, es sei denn, daß sie so tief tauchen können. «Niemand lachte.

Bolitho schaute Parris an. Die Entscheidung liegt allein bei mir, dachte er. Sollte Thor sie und das Gold an Bord nehmen? Da sie nur noch die Hälfte der Boote verfügbar hatten, würde das zu lange dauern. Sollte man das große Schiff mit all seinen Schätzen anbohren und auf Thor fliehen, in der Hoffnung, die Fregatten aussegeln zu können, wenigstens bis zum Anbruch der Nacht?

Ein Sieg, der sozusagen in die Binsen ging.

Jenour trat näher.»Laker ist eben gestorben, Sir.»

Bolitho drehte sich mit blitzenden Augen um.»Für wen — das wollten Sie doch fragen? Müssen jetzt alle sterben, nur wegen der Arroganz eines Vizeadmirals?»

Überraschenderweise wich Jenour nicht zurück.»Lassen Sie uns kämpfen, Sir Richard.»

Bolitho ließ die Arme fallen.»Mein Gott, Stephen, Sie meinen es wirklich ernst, wie?«Er lächelte, sein Ärger war verraucht.»Aber ich will nicht, daß noch mehr sterben. «Sein Blick ging zum Horizont. »Thor soll beidrehen, dann holt die Gefangenen an Deck.»