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Das lag wahrscheinlich an Havens Verhalten bei ihrem ersten gemeinsamen Rundgang durchs Schiff an dem Tag, bevor sie in See stachen. Haven hatte es offenbar als merkwürdig empfunden, daß sein Admiral mehr zu sehen wünschte als nur seine Kajüte und das Achterdeck, ganz zu schweigen von seinem Interesse für die Batterien und den untersten Raum im Schiff, das Orlopdeck. Wie sollte Haven auch verstehen? Es war nicht seine Schuld.

Bolitho hatte Havens offensichtliche Unzufriedenheit mit diesem alten Schiff wie eine persönliche Kränkung aufgenommen.»Sie mag alt sein, Kapitän Haven, aber sie hat schon viele weit jüngere besiegt«, rügte er.»In der Chesapeake Bay, bei den Saintes, vor Toulon und in der Biskaya — ihre Verdienste im Kampf lesen sich wie eine Geschichte der Navy selbst!«Seine Reaktion war ungerecht gewesen, aber Haven hätte es besser wissen sollen.

Jeder Schritt auf diesem Rundgang hatte seine Erinnerungen wieder aufleben lassen. Die Gesichter und Stimmen paßten nicht mehr, aber das Schiff war noch immer dasselbe. Sie hatte neue Masten bekommen, auch die Kanonen, mit denen sie die Breitseiten von Lequillers Tornado erwidert hatte, waren zum größten Teil durch schwerere ersetzt, dazu leuchtende Farbe und sauber geteerte Decksnähte; doch nichts konnte ihm seine Hyperion entfremden. Er blickte sich um und sah sie wie zuvor. Dabei war sie immerhin zweiunddreißig Jahre alt. Als sie in Deptford von Stapel lief, war sie aus bester, abgelagerter kentischer Eiche gebaut. Aber die großen Tage des Schiffbaus waren für immer vorbei; heute waren die meisten Wälder ihres edelsten Holzes beraubt.

Ironischerweise war ihr großer Gegner Tornado noch neu gewesen, und trotzdem hatte man ihn vor vier Jahren zur Gefangenenhulk gemacht. Bolitho fühlte wieder sein linkes Auge und fluchte, als ein Schleier es zu trüben schien. Er dachte an Haven und an all die andern, die seinem alten Schiff Tag und Nacht dienten. Wußten sie, daß der Mann, dessen Flagge im Vortopp wehte, auf dem linken Auge fast blind war? Bolitho ballte die Fäuste, als er sich jenes Augenblicks entsann, da ihn Sand, von einer feindlichen Kanonenkugel verspritzt, an Deck warf und blendete. Dann beruhigte er sich wieder. Nein, Haven schien außer auf seine Obliegenheiten auf nichts zu achten.

Bolitho stützte sich auf einen der Stühle und grübelte. Soviel von ihm steckte in diesem Flaggschiff. Sein Bruder war auf dem Achterdeck gestorben, gefallen, um seinen einzigen Sohn Adam zu retten. Und der gute Inch, der es bis zum Ersten Leutnant der Hyperion gebracht hatte. Er sah ihn wieder vor sich mit dem offenen Grinsen auf seinem Pferdegesicht. Nun war auch er tot wie so viele. Wie Cheney — sie war ebenfalls über diese Decksplanken gegangen. Er stieß den Stuhl beiseite und trat verärgert an die Heckfenster.

«Sie haben gerufen, Sir Richard?»

Das war Ozzard, sein Steward. Was wäre das Schiff ohne ihn? Bolitho drehte sich um. Er mußte Cheneys Namen laut ausgesprochen haben. Wie oft und wie lange würde er sie noch so vermissen?

Er sagte:»Ich. Tut mir leid, Ozzard.»

Ozzard faltete seine Hände unter der Schürze wie Pfötchen und blickte auf die glitzernde Reede hinaus.»Alte Zeiten, Sir Richard?»

«Aye. «Bolitho seufzte.»Wir sollten lieber in der Gegenwart bleiben.»

Ozzard hielt ihm den schweren Rock mit den glänzenden Epauletten hin. Draußen vor der Tür hörte Bolitho das Trillern der Pfeifen und das Knarren der Taljen, als die Boote ausgeschwungen wurden.

Landgang! Das war auch für ihn einmal ein Zauberwort gewesen.

Ozzard beschäftigte sich mit dem Rock, nahm aber keinen der beiden Degen aus dem Gestell. Er und Allday waren enge Freunde, obwohl manche sie eher für Feuer und Wasser hielten. Allday erlaubte es keinem anderen, Bolitho den Degen umzuschnallen. Er war wie das alte Schiff, dachte Bolitho, ein Herz aus bester englischer Eiche; wenn er einmal abtrat, würde keiner seinen Platz einnehmen.

Ozzard schien bestürzt darüber, daß er den alten Zweidecker gewählt hatte, obwohl er ein Schiff der Ersten Klasse hätte haben können. Auf der Admiralität hatten sie leise angedeutet, daß Hyperion, nach dreijähriger Reparatur und Ausrüstung wieder seetüchtig, sich von der letzten Schlacht trotzdem nie ganz erholen würde.

Merkwürdigerweise war es Nelson gewesen, den Bolitho niemals getroffen hatte, der die Angelegenheit entschied. Irgendjemand mußte dem kleinen Admiral geschrieben und von Bolithos Ersuchen berichtet haben. Nelson hatte Ihren Lordschaften mit der für ihn typischen Kürze in einer Depesche mitgeteilt:»Man gebe Bolitho jedes Schiff, das er verlangt. Er ist Seemann, kein Landmann!»

Es hätte» Nel «amüsiert, dachte Bolitho. Hyperion war bis zu ihrer Wiederverwendung vor wenigen Monaten eine ausgemusterte Hulk gewesen. Aber Nelson selbst hatte seine Flagge auf der Victory gesetzt, einem Schiff der Ersten Klasse, das er als eine vor sich hinfaulende Gefangenenhulk vorgefunden hatte. Seltsamerweise hatte er gewußt, daß nur sie als Flaggschiff für ihn in Frage kam. Soweit sich Bolitho entsann, war die Victory sogar acht Jahre älter als seine Hyperion. Irgendwie schien es nur richtig, daß die beiden alten Schiffe wieder auflebten, nachdem man sie trotz allem, was sie geleistet hatten, gedankenlos verstoßen hatte.

Die Tür öffnete sich, und Daniel Yovell, Bolithos Sekretär, trat verdrossen ein. Bolitho wurde wieder weich. Wegen seiner schlechten Stimmung war es für keinen von ihnen leicht gewesen. Sogar Yovell, rundlich, gebeugt und so penibel in seiner Arbeit, hatte sich während der vergangenen dreißig Tage sorgfältig auf Distanz gehalten.

«Der Kommandant wird gleich hier sein, Sir Richard.»

Bolitho schlüpfte mit den Armen in den Galarock und zwängte sich schulterzuckend in die bequemste Haltung.

«Wo ist mein Flaggleutnant?«Er mußte lächeln. Anfangs war es ihm schwergefallen, einen persönlichen Adjutanten zu akzeptieren. Jetzt, nach zwei Vorgängern, fand er sich leichter mit diesem hier ab.

«Wartet auf die Offiziersbarkasse. Danach — , «Yovells Schultern hoben sich,»- danach müssen Sie die örtlichen Würdenträger aufsuchen. «Er deutete Bolithos Lächeln als Wende zum Besseren, denn nach der einfachen Denkart seiner Landsleute aus Devon sollte alles so sein wie immer.

Bolitho erlaubte es Ozzard, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und seine Halsbinde zurechtzurücken. All die Jahre war er vom Wort der Admiralität oder des jeweiligen Vorgesetzten abhängig gewesen, wo immer er sich auch befand. Es fiel ihm noch schwer zu glauben, daß diesmal keine übergeordnete Instanz zu fragen oder zufriedenzustellen war. Jetzt war er der ranghöchste Offizier. Natürlich würde sich am Ende der ungeschriebene Marinekodex durchsetzen: Wenn er erfolgreich war, würden andere das Verdienst beanspruchen. Lag er falsch, konnte er ebensogut gleich die Schuld auf sich nehmen.

Bolitho besah sich im Spiegel und schnitt eine Grimasse. Sein Haar war noch schwarz, abgesehen von der silbernen Strähne, welche die alte Narbe bedeckte. Die Falten in den Mundwinkeln hatten sich vertieft. Sein Spiegelbild erinnerte ihn an das Ölporträt seines älteren Bruders Hugh, das in Falmouth hing wie so viele ehemalige Bolithos aus dem großen grauen Steinhaus. Jetzt stand es bis auf seinen treuen Verwalter Ferguson und die Diener leer. Er unterdrückte einen plötzlichen Anfall von Depression.

Nun war er hier und hatte, was er sich gewünscht hatte: Hyperion. Sie wären beinahe zusammen gestorben.