Obdurate wurde jetzt mehr denn je gebraucht. Die Fahrzeuge mit dem spanischen Schatz waren durch die gefährlichen Gewässer zu eskortieren, bis sie auf Sir Peter Folliots Geschwader stießen oder genügend freien Seeraum erreicht hatten, um für sich selbst zu sorgen. Bolitho hätte lieber gewartet, bis sein eigenes kleines Geschwader eintraf, aber der Wetterumschlag verzögerte dies.
Er trat beiseite und massierte im milden Licht der Laternen sein Auge. Seit dem törichten Test mit dem Sonnenlicht schmerzte es. Oder bildete er sich das bloß ein? Jedenfalls war er froh, wieder an Bord seines alten Schiffes zu sein. Somervell hatte das angedeutet, als Bolitho sich verabschiedete.
Der Generalinspekteur hatte erklärt, daß auch er und seine Frau nach dem Abgang des Goldtransports die Insel verlassen würden. An Bord eines großen Indienfahrers, den man täglich erwartete. Persönlicher Komfort wurde bei Somervell großgeschrieben. Bolitho bekam die andere Seite des Mannes zu sehen, als er ihn bat:»Ich würde mich gern auch von Lady Somervell verabschieden.»
«Unmöglich. Sie ist nicht mehr hier. «Somervell war seinem Blick herausfordernd begegnet. Bolitho konnte sich gut vorstellen, wie die gleichen kalten Augen bei Tagesanbruch über den Lauf einer Duellpistole zielten. Allerdings wußte man, daß er für derartige Abrechnungen den Degen vorzog.
Antigua war eine kleine Insel. Wenn Kate gewollt hätte, wäre es ihr leicht gefallen, ihn noch einmal zu sehen. Es sei denn, Somervell wäre des Katz-und-Maus-Spiels müde geworden und hätte es verhindert. Wie auch immer, es tat nichts mehr zur Sache.
Es klopfte, und Leutnant Lovering, der Offizier vom Dienst, trat ein.»Verzeiht, Sir Richard«, sein Blick wechselte zwischen Bolitho und Haven hin und her,»aber es ist eine Kurierbrigg gemeldet, die den Hafen ansteuert.»
Bolitho schlug die Augen nieder. Vielleicht von England, mit Briefen von zu Hause, mit neuen Nachrichten vom Krieg. Er dachte an seinen Neffen Adam, der selber eine Kurierbrigg führte und wahrscheinlich noch immer Depeschen für Nelson beförderte.
Das war eine andere Welt, weit weg von der Hitze und dem Fieber Westindiens.
Haven beugte sich gierig vor.»Falls es Post für mich gibt…«Er faßte sich wieder, und Bolitho dachte daran, daß Havens Frau ein Baby erwartete.
Er unterschrieb mehrere Briefe. Empfehlungen zur Beförderung wegen Tapferkeit, zur Versetzung auf andere Schiffe, Beileidsschreiben an Hinterbliebene. Der Leutnant zögerte.»Soll noch Post an Land, Sir Richard?»
Bolitho sah ihn an. Lovering war der Zweite Leutnant, der ebenfalls auf seine Beförderung wartete. Wenn Parris fiel…
Er verwarf den Gedanken sofort.»Ich glaube nicht.»
Das ging ihm leicht von den Lippen. War es denn so einfach, etwas zu beenden, das ihm einst so kostbar gewesen war?
Haven wartete, bis sich der Leutnant zurückgezogen hatte.
«Beim ersten Tageslicht also, Sir Richard.»
«Jawohl. Wecken Sie die Besatzung, wann Sie es für nötig halten, und teilen Sie unser Vorhaben der Obdurate und dem Hafenkommodore mit.»
Wenn Hyperion nach Antigua zurückkam, würde Somervells Indienfahrer schon auf und davon sein. Würden sie sich jemals wiedersehen, auch nur zufällig?
«Es wird den ganzen Tag in Anspruch nehmen, um aus dem Hafen zu gelangen, die Leute zu mustern und das Schiff wieder auf Vordermann zu bringen. Alles weitere hängt dann vom Wind ab.»
Wenn die Ciudad de Sevilla und ihr Geleit noch viel länger im Schutz von English Harbour blieben, konnten die Spanier oder ihre französischen Verbündeten vielleicht einen Gegenangriff versuchen, ehe das neue Geschwader eintraf.
Allein in der Kajüte, trank Bolitho noch mehr Wein. Zwar war sein Magen leer, aber er war außerstande, das von Ozzard zubereitete Mahl zu essen. Das ächzende alte Schiff, die anscheinend alle paar Minuten gerufene Wache, die immer wieder loses Zubehör sichern und festlaschen mußte, machten ihm Schlaf unmöglich. Aber der Wein war gut, und Bolitho fragte sich, wie Ozzard ihn so kühl hielt.
Er spielte mit der Idee, doch noch einen Brief an Catherine zu senden, ließ sie aber sofort wieder fallen. Solch ein Papier in den falschen Händen konnte sie ruinieren. Daß es seiner eigenen Karriere schaden würde, interessierte ihn nicht sonderlich.
Er hörte das Quietschen der Pumpen, ein Zeichen des Alters der Hyperion und ihrer vielen Einsätze. Es war wie eine zusätzliche Mahnung.
In seinem Lieblingssessel überfiel ihn schließlich der Schlummer. Trotzdem war er sofort wach, als ihn Ozzard am Arm berührte. Das Schiff lag noch im Dunkeln, es lärmte und stöhnte wie zuvor.
«Der Erste Leutnant möchte Sie sprechen, Sir Richard. «Bolitho wurde hellhörig. Warum nicht der Kommandant? Parris trat ein, durchnäßt von Spritzwasser. Sein braunes Gesicht war gerötet, aber er hatte nichts getrunken.»Was gibt's?»
Parris stützte sich auf einen Stuhl, als das Deck wieder schwankte.»Ich dachte, daß Sie es wissen sollten, Sir Richard. Das Wachboot meldet, daß ein Schoner den Hafen verlassen hat. Dem Anschein nach ist er eines von Kommodore Glassports Fahrzeugen.»
«Na und?«Bolitho ahnte, daß Schlimmeres kam.
«Lady Somervell ist an Bord. Ich fand heraus, daß sie beabsichtigt, nach St. John's zu segeln.»
Der Admiral fuhr auf. Der Wind war zum Sturm angewachsen, und das Wasser brandete wie bei Flut an den Schiffsrumpf.»Bei diesem Wetter, Mann!«Er tastete nach seinem Überrock.»Viscount Somervell muß benachrichtigt werden.»
Parris sah trübe zu.»Er weiß es. Ich habe es ihm selbst gesagt.»
Im Türrahmen erschien Haven mit einem Bootsmantel über dem Schlafgewand. Wütend fuhr er Parris an:»Was höre ich da? Darüber sprechen wir noch!»
Bolitho setzte sich. Wie konnte Somervell das zulassen? Als er ihm den Abschiedsbesuch bei ihr verweigert hatte, mußte er es schon gewußt haben. Ein so kleiner, vielleicht falsch gehandhabter Schoner konnte bei diesem Sturm leicht stranden.
Er versuchte sich zu erinnern, wer Glassports Kapitäne waren. Auch bei ruhigem Wetter war Unachtsamkeit zwischen den Inseln schon gefährlich. Und Piraten gehörten so zum Alltag, daß man sie kaum noch erwähnte. Für jeden Bukanier, der in Ketten oder am Galgen verfaulte, wuchsen in diesen Gewässern hundert andere nach. Er sagte:»Vor Tagesanbruch kann ich nichts tun. «Haven schien zu überlegen, empfahl sich dann aber.»Ich muß nach der Wache an Deck sehen, Sir Richard.»
Bolitho machte sich Vorwürfe. Das hatte er ihr angetan, seine Schroffheit war schuld. Plötzlich glaubte er, von den Wänden der Kajüte erdrückt zu werden. Er rief nach Ozzard.»Meinen Flaggleutnant, bitte. «Er wollte Jenour mit einer Botschaft zu Somervell schicken, egal ob der im Bett lag oder nicht. Wenn ich selber ginge, dachte er, würde es einer von uns beiden wahrscheinlich mit dem Leben büßen.
IX Die Korvette
Bolitho trat aufs Achterdeck hinaus. Der Sturm zerrte an seinem Bootsmantel, und über die Luvreling brach die Gischt wie Tropenregen herein. Er hielt sich an den Finknetzen fest und kniff die Augen zusammen. Der Sturm war heftig, aber feucht-kalt und tat seinen müden Knochen nicht gut. Vor zwei Tagen hatten sie sich mühsam aus English Harbour herausgewunden, um ihren kleinen, kostbaren Konvoi zusammenzustellen. Und seither waren sie kaum fünfzig Meilen vorangekommen.
Nachts hatten sie den Sturm mit wenig mehr als einem gerefften Großmarssegel abgeritten, während die vier Transporter und kleineren Fahrzeuge beigedreht lagen, so gut sie es unter den harten Wetterverhältnissen vermochten.
Geheimhaltung war nun zweitrangig. Hyperion brannte Flackerfeuer ab und setzte die Topplichter des Flaggschiffs, um den Konvoi beieinander zu halten. Nach der Morgendämmerung hatten sie stets den ganzen Tag gebraucht, um die weit verstreuten Schiffe aufs neue zu formieren. Alles und jeder war naß. Viele von denen, die sich oben mit den windzerzausten Segeln plagten oder taumelnd ihre Gefährten an den Bilgepumpen ablösten, mußten sich gefragt haben, was sie eigentlich noch über Wasser hielt.