Er befand sich in einer von Säulen gestützten Halle, deren schwere Gobelins im Widerschein zweier Kandelaber glühten. Es war ganz ruhig, selbst die Luft schien stillzustehen.
Über der geschnitzten Truhe bei einer anderen Tür entdeckte Bolitho einen Klingelzug und spielte mit der Idee zu läuten.
Während des letzten Gefechts auf dem Schatzschiff war der Tod sein Begleiter gewesen, und er war ihm auch sonst nicht fremd. Aber er hatte sich nicht gefürchtet, nicht einmal hinterher. Hatte der Mut ihn jetzt verlassen? Er faßte seinen Degen fester. Vielleicht hatte Glassport sich geirrt, und sie war wieder nach St. John's gegangen, wo sie Freunde besaß, diesmal über Land. Er dachte an Jenours Befürchtungen, an Alldays verdächtiges Schweigen, als er ihn zur Anlegebrücke rudern ließ. Einige Wachposten waren in eine Art Ehrenbezeugung verfallen, als sie den Vizeadmiral erkannten, der ohne Vorwarnung an Land gekommen war.
Allday hatte gemeint:»Ich werde warten, Sir Richard.»
«Nein. Wenn ich ein Boot brauche, kann ich eins rufen.»
Allday hatte ihm nachgesehen, wahrscheinlich genauso besorgt wie Jenour.
«Wer ist da?»
Bolitho drehte sich um und sah sie auf der breiten Treppe stehen, mit einer Hand am Geländer, die andere in den Falten ihres Gewandes verborgen. Sie trug einen hellen Überwurf und wirkte gegen die dunklen Wandbehänge wie eingerahmt. Sie bewegte sich nicht.
Endlich erkannte sie ihn.»Du! Ich — ich ahnte nicht…»
Sie machte noch immer keine Anstalten, sich ihm zu nähern, deshalb stieg Bolitho langsam die Stufen empor, ihr entgegen.
«Ich habe angenommen, du wärest abgereist. Aber wie ich dann hörte, segelte der Indienfahrer ohne dich. «Er hütete sich, den Namen Somervell zu erwähnen. Einen Fuß auf der nächsten Stufe, verhielt er aus Sorge, sie könnte sich zurückziehen.»Ich ertrage es nicht, dich hier allein zu wissen. «Sie machte eine Bewegung, und er entdeckte eine Pistole in ihrer Hand.»Gib sie mir.»
Er kam näher und streckte die Hand aus.»Bitte, Kate. «Die Pistole war gespannt und feuerbereit, er entwand sie ihren Fingern.»Jetzt hast du nichts mehr zu befürchten.»
Sie erschauerte.»Komm ins Wohnzimmer, dort ist es heller.»
Bolitho folgte ihr und wartete, bis sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Der Raum war anheimelnd, aber sehr unpersönlich. Er wurde zu oft von Besuchern, von Fremden benutzt.
Bolitho legte die Pistole auf den Tisch. Sie schloß die Fensterläden, vom Licht angezogene Motten tappten gegen das Glas.
«Setz dich, Richard. «Ohne ihn anzusehen, tastete sie nach ihrem Kopf.»Ich habe geruht und müßte mein Haar ordnen. «Doch dann wandte sie sic h ihm zu, mit einem sehnsüchtigen, nachdenklichen Blick, als suche sie Antwort auf eine unausgesprochene Frage.
«Ich wußte, daß er nicht warten würde«, berichtete sie.»Er nahm seinen Auftrag sehr ernst, er ging ihm über alles. Es war also mein Fehler. Ich wußte, daß ihm die Angelegenheit sehr am Herzen lag, und hätte nicht auf den Schoner gehen sollen. «Sie wiederholte:»Ich wußte, daß er nicht warten würde.»
«Warum hast du es dann getan?»
Sie blickte fort und berührte den Knopf der anderen Tür, die im tiefen Schatten lag.
«Ich hatte Lust dazu«, war ihre einfache Antwort.
«Es hätte dich das Leben kosten können, und dann.»
Sie fuhr herum, ihre Augen funkelten.»Was dann?«Verärgert warf sie den Kopf zurück.»Hast du dir die gleiche Frage gestellt, als du hinter der Ciudad de Sevilla her warst?«Der Name des Schiffes ging ihr glatt von der Zunge und gemahnte ihn rücksichtslos daran, daß sie mit einem Spanier verheiratet gewesen war.»Du mußt dir doch darüber klar gewesen sein, daß du ein furchtbares Risiko eingingst. Du wußtest es, ich sehe es dir an. Du hast auch gewußt, daß man einen Juniorkapitän damit hätte beauftragen können. So wie du damals ein Schiff gekapert hast, auf dem ich an Bord war — als ich dich zum erstenmal zu Gesicht bekam.»
Bolitho sprang auf. Mehrere Sekunden standen sie sich schweigend gegenüber, beide gekränkt und deswegen beschämt. Sie sagte abrupt:»Geh nicht fort«, und verschwand durch die Tür, ohne daß Bolitho es sah.
Was hatte er erwartet? Er war ein Narr und mehr als das. Aber als sie zurückkam, klang ihre Stimme versöhnlicher.»Ich mußte mein Haar aufmachen. «Sie wartete, bis er sie ansah.»Es sitzt immer noch nicht richtig. Gestern und heute bin ich am Ufer spazieren gegangen, und die Seeluft ist zu uns eitlen Frauen unnachsichtig.»
Sie trug noch den langen hellen Umhang und kam wie ein Geist durch den Schatten.»Du hast mir einmal ein Band für mein Haar geschenkt. Siehst du es, oder hast du es vergessen?»
Sie schüttelte den Kopf, so daß eine Schulter unter der langen, dunklen Haarfülle verschwand.
Er entgegnete leise:»Vergessen? Niemals! Du hattest Grün so gern, ich mußte es dir einfach schenken.»
Er brach ab, als sie mit ausgebreiteten Armen auf ihn zulief. Es geschah von einem Augenblick zum anderen. Eben noch stand sie, ein blasser Schemen, an der anderen Tür. Eine Sekunde später klammerte sie sich an seine Schultern, das Gesicht an seiner Brust versteckt, um ihre Verlegenheit zu verbergen.
«Sieh mich an, Richard. Ich habe dich belogen, merkst du's nicht?»
Bolitho senkte seine Wange auf ihr Haar. Es war nicht das Band, das er ihr in London gekauft hatte. Dieses hier glänzte blau.
Ihre Hand streichelte seinen Nacken und berührte dann sein Gesicht. Ihre Augen waren voll Mitgefühl. Sie flüsterte:»Ich habe es nicht gewußt, Richard. Erst bevor der Geleitzug auslief, hörte ich — einiges davon, wie du — wie du. «Nun hielt sie sein Gesicht zwischen ihren Händen.»Oh, liebster Mann, ich mußte es doch wissen.»
Bolitho zog sie an sich. Es konnte nur Allday gewesen sein, er allein würde zwischen ihnen vermitteln.
«Wie schlimm ist es?«hörte er sie flüstern.
«Ich habe mich daran gewöhnt«, entgegnete er.»Nur manchmal läßt mich das Auge im Stich, so als du vorhin im Schatten standest. «Er lächelte.»Ich habe dich noch nie überlisten können.»
Sie lehnte sich in seinen Armen zurück und musterte ihn.»Auch als du beim Empfang fast über die Stufen gestolpert wärst. Schon damals hätte ich es merken müssen.»
Ihr Gesicht gab ihre Gefühle preis. Sie war groß und schlank, und er wurde sich ihrer körperlichen Nähe sehr bewußt. Deshalb sagte er schnelclass="underline" »Ich gehe, wenn du es wünschst.»
Aber sie schob wortlos eine Hand unter seinen Arm. Wie ein Liebespaar durch einen stillen Park schritten sie durch den Raum. Sie überlegte:»Es muß doch Leute geben, die uns helfen können.»
Er drückte ihre Hand fester an seine Rippen.»Mach dir nichts vor.»
Sie wandte sich ihm zu.»Versuchen wir's! Es gibt doch immer eine Hoffnung.»
Bolitho erwiderte:»Zu wissen, daß dir soviel an mir liegt, bedeutet mir schon alles. «Sie unterbrach ihn nicht, sondern blieb still stehen, ihre Hände in den seinen. Ihre verschmolzenen Schatten schienen über die Wände zu tanzen.
«Jetzt, da wir endlich wieder zusammen sind, will ich dich nicht mehr verlieren. Das mag sich verrückt anhören, wie das Gestammel eines närrischen Jungen. «Die Worte flossen ihm von den Lippen, sie merkte, daß ihn lange Unausgesprochenes gequält hatte.»Ich dachte, mein Leben wäre ruiniert, und erkannte, was ich dir angetan hatte. «Da setzte sie zum Sprechen an, aber er ließ sie noch nicht zu Wort kommen.»Doch, es ist wahr. Ich war verliebt in Cheneys Geist, und diese Erkenntnis zerriß mich. Jemand meinte, ich litte an Todessehnsucht.»
Sie nickte.»Ich kann mir denken, wer das war. «Sein forschender Blick vermochte sie nicht zu verwirren.»Aber ist dir auch klar, was du sagst, Richard? Wieviel auf dem Spiel steht?»
Auch er nickte.»Für dich ist es noch schlimmer, Kate. Ich erinnere mich, was du über Nelsons Liaison sagtest.»