Allday sah Bolitho an.»O ja, ich glaub' dir, Kamerad. «Bolitho drängte:»Sag der Haushälterin, ich brauche sofort eine Droschke. Weißt du, wo dieses Waites liegt?«Allday verneinte.
«Ich führe Sie hin, Sir«, sagte Vanzell.
«Gut. «Bolithos Kopf war auf einmal so klar, als hätte man ihn mit eisigem Wasser übergossen. Er fragte Vanzelclass="underline" »Hätten Sie Lust, bei mir in Falmouth zu arbeiten? Es ist ein Häuschen dabei, ein oder zwei Veteranen von der Phalarope leben ebenfalls dort. Sie würden sich wie zu Hause fühlen.»
Er blickte beiseite, von Vanzells Dankbarkeit überwältigt.
Allday kam zurück und reichte ihm den Umhang. Er hatte inzwischen seinen besten blauen Rock mit den goldenen Knöpfen angezogen und trug ein Pistolenhalfter in der Hand. Nun betrachtete er Bolitho, der seinen Degen einhängte.»Es könnte trotzdem ein Irrtum sein, Sir Richard, eine Verwechslung.»
«Diesmal nicht, alter Freund. Bist du bereit?»
Allday wartete noch auf Vanzell, der sie zu einer schnellen Kutsche vor der Tür begleitete.
In Bolithos Ohr klangen immer wieder die gleichen Worte: nicht weggelaufen, eingesperrt, eingesperrt…
Das Frauengefängnis lag nördlich von London, und es war schon fast dunkel, als sie dort ankamen. Es war ein finsteres Gebäude, von hohen Mauern umgeben. Bei Tageslicht mußte es noch zehnmal schlimmer aussehen. Bolitho kletterte aus der Kutsche und sagte zu Vanzelclass="underline" »Warten Sie hier, Sie haben Ihren Teil getan.»
Er hämmerte an ein schweres Tor, das nach längerer Pause wenige Zoll breit geöffnet wurde. Ein unrasierter Mann in der gleichen Uniform wie Vanzell beäugte sie mißtrauisch.
«Wer klopft zu so später Stunde?«Als er eine Laterne hochhielt, ließ Bolitho seinen Umhang von den Schultern gleiten, so daß das Licht auf seinen Epauletten glitzerte.
«Melde dem Direktor, daß Sir Richard Bolitho ihn zu sprechen wünscht. «Er bemerkte des Mannes Bestürzung und drängte hinter ihm in den Hof.»Los!»
Sie folgten dem Wärter auf einem langen, unordentlichen Fußweg zum Hauptgebäude. Bolitho sah, daß auch er hinkte. Man fand es hier offenbar billiger, abgemusterte Soldaten zu beschäftigen. Ein zweites Tor, ein geflüsterter Wortwechsel, während Bolitho, die Hand am Degen, in einem feuchten Raum wartete, Alldays schweren Atem hinter sich.
Er zuckte zusammen, als ein durchdringender Schrei, dem Rufe und dumpfe Schläge folgten, durch das Gebäude hallte. Andere Stimmen fielen ein, bis der ganze Kerker sich in Qualen zu winden schien. Noch mehr wütendes Geschrei, jemand schlug mit etwas Schwerem dröhnend gegen eine Tür, und dann wurde es schließlich wieder still.
Eine Tür ging auf, der Wärter ließ den Admiral in eine Kanzlei eintreten. Der Kontrast überraschte: gute Möbel, ein großer, mit Hauptbüchern und Papieren bedeckter Schreibtisch und ein Teppich, der hier ebenso fehl am Platz schien wie der Mann, der nun aufstand, um Bolitho zu begrüßen.
Untersetzt, fröhlichen Blicks, mit einer Lockenperücke auf dem kahlen Haupt, hatte er ganz die Erscheinung eines Landgeistlichen.»Sir Richard, dies ist aber wirklich eine Ehre. «Er sah nach der Uhr und lächelte wie ein keckes Kind.»Und eine Überraschung zu so später Stunde.»
Bolitho übersah seine ausgestreckte Hand.»Ich bin wegen Lady Somervell gekommen. Keine lange Diskussion — wo ist sie?»
Der Mann schien verwirrt.»Wirklich, Sir Richard — ich würde einen so tapferen Gentleman niemals enttäuschen wollen, aber ich fürchte, da hat jemand ein grausames Spiel mit Ihnen getrieben.»
Bolitho hatte noch den furchtbaren Schrei im Ohr.»Wen halten Sie hier fest?»
Der kleine Mann entspannte sich ein wenig.»Wahnsinnige und solche, die Irrsinn geltend machen, um ihre Schulden gegenüber der Gesellschaft.»
Bolitho ging um den Tisch herum und sagte leise, aber drohend:»Sie ist hier, das wissen wir beide. Wie können Sie eine Lady in diesem ekelhaften Haus festhalten? Ich frage nicht danach, welchen Namen man ihr gegeben hat oder unter welchem Vorwand sie hier sitzt. Wenn Sie sie nicht sofort freilassen und mir übergeben, lasse ich Sie festnehmen und zeige Sie an wegen Mißbrauchs Ihres Amtes und Beteiligung an einem Komplott, um ein Verbrechen zu vertuschen. «Er umfaßte den Griff seines Degens.»Und ich will keine weiteren Lügen mehr hören!»
Der Mann bat:»Vielleicht läßt sich morgen feststellen.»
Bolitho fühlte, daß ihn letzte Gewißheit überkam. Catherine war hier! Einen Moment hatte des Mannes Selbstsicherheit ihn zweifeln lassen. Nun schüttelte er den Kopf.»Nein, sofort!»
Morgen mochte man sie längst woanders hingebracht haben. Bis dahin konnte ihr alles mögliche zustoßen. Er befahl barsch:»Führen Sie uns zu ihr.»
Der kleine Mann riß eine Schublade auf und keuchte vor Angst, als Allday sofort reagierte und seine Pistole zog. Mit zitternder Hand hob er fast unter Tränen einen Schlüssel hoch.»Bitte, wir wollen doch vorsichtig sein.»
Bolitho stockte der Atem, als sie durch einen schwach beleuchteten Korridor gingen. Auf dem Boden lag Stroh, die Wände troffen vor Feuchtigkeit. Der Gestank war zum Übergeben. Es roch nach Unrat, Armut und Verzweiflung. Sie hielten vor der letzten Tür, und der kleine Mann flüsterte:»Bei allen Heiligen, ich habe nichts damit zu tun. Sie wurde mir überantwortet, bis ihre Schulden bezahlt sind. Aber wenn Sie sicher sind, daß.»
Bolitho hörte gar nicht hin. Er spähte durch ein kleines, vergittertes Fenster, dessen Stäbe von tausend verzweifelten Fingern glattpoliert waren. Eine Laterne wie jene, die in der Waffenkammer eines Schiffes hingen, beleuchtete die höllische Szene.
Ein altes Weib hockte an der Wand, sich von einer Seite zur anderen wiegend. Speichel rann aus ihrem Mund, als sie ein
Kinderlied vor sich hinsummte. Ihre Haut war dreckig, ihre zerrissene Kleidung voller Flecken.
Ihr gegenüber saß Catherine auf einer schmalen Holzbank, die Beine gespreizt, die gefalteten Hände zwischen den Knien. Ihr Kleid war aufgerissen wie an dem Tag, als sie an Bord der Hyperion gekommen war. Sie war barfuß. Ihr langes, ungekämmtes Haar verhüllte das Gesicht und fiel ihr über die teilweise entblößten Schultern. Weder bewegte sie sich, noch schaute sie auf, als der Schlüssel im Schloß knirschte und Bolitho die Tür aufstieß.
Leise wisperte sie:»Wenn ihr mich anfaßt, bringe ich euch um.»
Bolitho streckte die Arme aus.»Kate, hab' keine Angst. Komm zu mir.»
Sie hob den Kopf und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Noch immer blieb sie still sitzen, sie schien ihn nicht zu erkennen. Einen Moment fürchtete Bolitho, daß sie vor Entsetzen ebenfalls verrückt geworden sein könnte.
Da stand sie auf und machte ein paar unsichere Schritte auf ihn zu.»Bist du's? Bist du es wirklich?«flüsterte sie. Dann schüttelte sie abwehrend den Kopf und warnte:»Rühr mich nicht an! Ich bin unsauber.»
Bolitho faßte sie um die Schultern und zog sie an sich. Ihr Widerstand wich einem hemmungslosen Schluchzen. Er fühlte ihre Haut durch den Stoff des Kleides, sie hatte nichts darunter an. Trotz der dumpfen, abgestandenen Luft war sie kalt wie Eis. Er hüllte sie in seinen Umhang, so daß nur ihr Gesicht und die bloßen Füße zu sehen waren.
Als sie den Gefängnisleiter im Türrahmen stehen sah, versteifte sich ihr ganzer Körper. Bolitho herrschte ihn an:»Ziehen Sie den Hut in Gegenwart einer Dame, Sir!«Des Mannes Furcht ekelte ihn an, aber er schloß:»Oder, bei Gott, ich fordere Sie auf der
Stelle!»
Der Direktor wich zurück, sein Hut fegte fast den schmutzigen Boden. Bolitho führte Catherine den Korridor hinunter. Einige
Gefangene spähten durch die Zellenfenster, ihre Hände umklammerten die Stäbe wie Klauen. Diesmal schrie niemand.»Deine Schuhe, Kate?»
Sie drängte sich an ihn, als ob er sie gegen alles und jedes schützen könnte.
«Was ich hatte, habe ich für Essen verkauft. «Sie hob den Kopf und sah ihn prüfend an.»Aber ich bin schon früher barfuß gegangen.»
Ihr plötzlicher Trotz ließ sie noch zerbrechlicher erscheinen.»Gehen wir wirklich hier fort?«Bolitho nickte nur.