Kapitän Haven saß an seinem Schreibpult, Papiere in Reichweite, den Rock über die Stuhllehne gehängt, und fächelte sein Gesicht mit dem Taschentuch.
«Also, Mr. Parris? Ich bin sehr beschäftigt.»
Parris überhörte die Abweisung. Havens Schreibfedern auf dem Pult waren alle sauber und trocken, er hatte nichts geschrieben. Doch sah es so aus, als hätte er seinen Besuch erwartet und sich trotz der Zurückweisung darauf vorbereitet.
Parris begann vorsichtig:»Es geht um die zwei Mann, die zur Bestrafung anstehen, Sir.»
«Welche zwei? Ich fange schon an zu glauben, daß sich alle Männer hier betragen, wie es ihnen gefallt.»
«Trotter und Dixon, Sir. Sie sind noch nie in Schwierigkeiten gewesen. Wäre der Fünfte Leutnant zu mir gekommen…»
Er kam nicht weiter, Haven unterbrach ihn:»Aber Sie waren nicht an Bord, Sir. Nein, Sie waren anderswo, glaube ich.»
«Auf Ihren Befehl hin, Sir.»
«Werden Sie nicht frech!«Haven drehte sich in seinem Stuhl um. Wie ein Angler, der merkt, daß ein Fisch angebissen hat, dachte Parris.
Haven sagte:»Die Leute betrugen sich abscheulich! Ich sah es, und wie gewöhnlich hatte ich das Treiben zu unterbinden!»
«Aber zwei Dutzend Hiebe, Sir! Ich könnte ihnen auch eine Woche Extraarbeit geben. Die Disziplin würde aufrechterhalten, und Mr. Priddie könnte daraus etwas lernen.»
«Aha, Sie wollen nun den jungen Leutnant tadeln. «Er lächelte, und Parris fühlte, wie ihn die Spannung fast zerriß.»Die Männer werden frech, und Mr. Priddie soll daran schuld sein. Gott verdamme Ihre Augen, Sir! Ich spucke auf Ihre Ansichten. Hier kommandiere ich, und man hat meinem Geheiß zu folgen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«brüllte er.
«Das haben Sie, Sir«, erwiderte Parris.
«Freut mich zu hören. «Haven beobachtete ihn, seine Augen waren wie Schlitze im Halbschatten.»Ihre Rolle bei dem Handstreich wird der Admiralität ohne Zweifel zur Kenntnis gebracht werden. Aber Sie können an den Rockschößen Ihres Admirals hängen, so lange Sie wollen, ich werde schon dafür sorgen, daß Ihre Unehrlichkeit und Ihre verdammte Arroganz voll berücksichtigt werden, wenn Sie wieder zur Beförderung anstehen!»
Parris fühlte die Kajüte schwanken.»Haben Sie mich unehrlich genannt, Sir?»
Haven kreischte fast:»Jawohl, Sie wollüstiges Schwein, das habe ich!»
Parris glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Er sah, daß sich der helle Spalt unten an der Tür durch den Schatten fremder Füße verdunkelte. Männer standen da draußen und lauschten. Mein Gott, dachte er verzweifelt, welche Chance haben wir noch nach alldem, wenn es einmal zum Gefecht kommen sollte? Er entgegnete:»Sir, ich glaube, wir haben uns wohl beide im Ton vergriffen.»
«Wagen Sie ja nicht, mich zurechtzuweisen! Ich vermute, daß Sie nachts in Ihrer Koje liegen und beim Gedanken an mich höhnisch lächeln — wegen der Gemeinheit, die Sie begangen haben. Na? Antworten Sie, verfluchter Hund!»
Parris wußte, daß er einen anderen Offizier hätte holen lassen sollen, weil er sonst Haven in den nächsten Sekunden niederschlagen würde. Etwas in seinem Unterbewußtsein warnte ihn, seinen Zorn und sein gekränktes Ehrempfinden überzubewerten. Er will, daß ich ihn schlage, dachte er. Er will mich als sein nächstes Opfer!
Haven ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen, als hätten ihn Kraft und Wut verlassen. Aber als er wieder aufschaute, loderte erneut der Haß in seinen Augen. Beinahe beiläufig fragte er:»Dachten Sie, ich würde es nicht herausbekommen? Sind Sie wirklich so dumm?»
Parris hielt den Atem an, sein Herz pochte. Und er hatte gemeint, daß ihn nichts mehr erschüttern könne!
Haven fuhr fort:»Ich kenne Ihre Eitelkeit, Ihre Eigenliebe. O ja, ich bin ja noch bei Verstand und habe Augen im Kopf. «Er zeigte auf das Porträt seiner Frau, behielt aber Parris im Auge und sagte heiser:»Die Schuld liegt klar zu Tage — auf Ihrem Gesicht!»
Wieder glaubte Parris, sich verhört zu haben.»Ich bin der Lady einmal begegnet, aber.»
«Wagen Sie es nicht, in meiner Gegenwart von ihr zu sprechen!«Haven torkelte auf die Füße.»Sie mit Ihrer glatten Zunge und den geschniegelten Manieren. Genau jene Sorte, der sie zuhören würde.»
«Sir! Sprechen Sie bitte nicht weiter, wir könnten es beide bedauern!»
Haven ging nicht darauf ein.»Sie haben sie verführt, als ich mit diesem Schiff vollauf zu tun hatte. Ich arbeitete mich krank, um diesen verdammten Pöbel zu einer Mannschaft zu machen. Dann hißten sie darauf die Flagge eines ganz ähnlichen Weiberhelden, der denkt, daß er jede haben kann, die er will!»
«Ich darf das nicht mehr mit anhören, Sir. Es ist nicht wahr. Ich sah…«Parris zögerte und schloß:»Ich habe Ihre Frau niemals angerührt, das schwöre ich bei Gott!»
Doch Haven hörte nicht zu, er sagte kläglich:»Und das nach alldem, was ich ihr gab.»
«Sie haben unrecht, Sir. «Parris schaute zur Tür. Kam da nicht endlich jemand? Das ganze Achterdeck mußte doch den Wortwechsel hören.
Haven brüllte plötzlich los:»Es ist dein Kind, du verfluchter Beschäler!»
Das war es also. Parris ballte die Fäuste.»Ich gehe jetzt, Sir. Ich habe genug von Ihren Beleid igungen. Und was Ihre Frau betrifft, so kann ich nur sagen, daß sie mir leid tut.»
Er drehte sich um und wollte gehen, als Haven kreischte:»Du gehst nirgendwohin, Gott verdammich!»
Der Knall der Pistole in dem engen Raum war ohrenbetäubend. Und wie der Schlag mit einer Eisenstange. Dann fühlte Parris den Schmerz, die heiße Nässe des Blutes, als er zu Boden fiel. Dunkelheit hüllte ihn ein, Rauch und Nebel, die nur einen klaren Fleck freiließen: darin versuchte der Kommandant eine neue Ladung in seine Pistole zu zwängen.
Ehe der Schmerz ihn überwältigte, drang noch in Parris' gequältes Bewußtsein, daß Haven lachte. Er lachte, als könne er nie mehr aufhören.
XIV Für oder gegen
Am frühen Morgen eines schönen Junitages hißte Bolitho aufs neue seine Flagge auf der Hyperion und bereitete das Geschwader vor, den Hafen zu verlassen.
Während der schnellen Passage nach Gibraltar, an Bord der Firefly, hatten Bolitho und Keen viel zu erörtern. Falls die Tatsache, daß er Flaggkapitän eines Geschwaders geworden war, ohne es zu kennen, Keen verunsichert hatte, so zeigte er es kaum. Für Bolitho war es die Rückkehr eines Freundes, der ihn hervorragend ergänzte.
Auf Ersuchen des Hafenkommandanten hatte er Haven in seiner Haft an Land aufgesucht. Er hatte erwartet, ihn im Schock vorzufinden oder bereit, eine Erklärung vorzubringen, warum er Parris kaltblütig niedergeschossen hatte. Doch ein Arzt der Garnison teilte Bolitho mit, daß Haven sich an nichts erinnere und alles verdränge — oder sich nicht darum schere — , was vorangegangen war.
Als Bolitho Havens Zelle betrat, war dieser aufgestanden und hatte gemeldet:»Das Schiff ist bereit, Sir Richard. Ich habe Schritte unternommen, damit Hyperion, ob alt oder nicht, mit ihrer Artillerie jedem Franzosen ebenbürtig ist, wenn es dazu kommt.»
Bolitho hatte erklärt:»Sie sind abgelöst. Ich schicke Sie nach England.»
Haven hatte ihn fixiert.»Abgelöst? Ist meine Beförderung da?«Da war er wortlos gegangen.
Bei der Rückkehr an Bord war Bolitho ein an Haven adressierter Brief ausgehändigt worden, den das Postschiff eben von Spithead gebracht hatte. Unter den gegebenen Umständen entschloß sich Bolitho, ihn zu öffnen. Vielleicht konnte er jemandem in England die bittere Wahrheit über Haven ersparen, bis die Fakten beim unvermeidlichen Kriegsgerichtsverfahren offenbart wurden.
Hinterher war Bolitho doch nicht sicher, daß er ihn hätte lesen sollen. Der Brief kam von Havens Ehefrau. Fast beiläufig besagte er, daß sie ihn verlassen hätte, um mit einem reichen Spinnereibesitzer zu leben, der Uniformen fürs Militär herstellte. Sie und sein Kind wären dort gut aufgehoben. Also sah es aus, als ob der Betreffende auch Vater des Neugeborenen war, jedenfalls stammte es gewiß nicht von Parris. Falls Haven schließlich wieder zu Verstand kam, würde das für ihn am schwersten zu ertragen sein.