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Der Erste Leutnant war wohl unter einem glücklichen Stern geboren. Die für sein Herz bestimmte Pistolenkugel war im Halbdunkel zu hoch gezielt gewesen, hatte den Knochen zersplittert und lag in der Schulter eingebettet. Er mußte entsetzliche Schmerzen gelitten haben, als Minchin sie zu entfernen versuchte.

Keen fragte Bolitho:»Möchten Sie ihn an Bord behalten? Die Wunde braucht Wochen, um zu heilen, und ich fürchte, er wurde stümperhaft behandelt. «Er entsann sich wahrscheinlich noch des großen Splitters in seiner Leiste. Statt ihn einem betrunkenen Chirurgen zu überlassen, hatte Allday das gezackte Holz selbst herausgeschnitten.

«Parris ist ein erfahrener Offizier, ich hoffe auf seine Beförderung. Gott weiß, daß wir geschickten Nachwuchs in den Kommandostellen brauchen können.»

Keen hatte zugestimmt.»Es dürfte auch die anderen Leutnants anspornen.»

Und so begab sich das Geschwader auf die Reise ins Mittelmeer, das so viele Gefechte gesehen hatte und in dem Bolitho fast gestorben wäre.

Mit Hyperion an der Spitze, die Admiralsflagge im Vortopp, die anderen Linienschiffe im Kielwasser und alle zusammen in einem steifen Nordwest heftig arbeitend, liefen sie aus und weckten wahrscheinlich ebenso viele Spekulationen wie bei ihrer Ankunft. Bolitho hatte die berühmte Silhouette des Felsens betrachtet, bis sie sich im Dunst verlor. Die in den klaren Himmel aufsteigende, eigenartige Dunstwolke war eine gewohnte Erscheinung, wenn der Wind die erhitzten Steine abkühlte, so daß der Felsen aus der Entfernung wie ein schwelender Vulkan wirkte.

Der größte Teil der Hyperion — Besatzung kannte sich schon seit der neuerlichen Indienststellung des Schiffes. Keen war fast der einzige Fremde unter ihnen. Doch als ein Tag dem anderen folgte und jedes Schiff Segelmanöver und Geschützexerzieren übte, war Bolitho dem Schicksal dankbar, daß es ihm Keen zurückgebracht hatte.

Im Gegensatz zu Haven kannte er Bolithos Eigenarten und Maßstäbe. Er hatte als Fähnrich und als Leutnant unter ihm gedient, ehe er schließlich sein Flaggkapitän wurde. Die

Mannschaft spürte das Band zwischen dem Kommandanten und dem Admiral. Die älteren Leute nickten und erkannten es an, daß Keen nicht zu stolz war, sie zu fragen, wenn er etwas über das Schiff nicht wußte. Es kam Bolitho nicht in den Sinn, daß Keen damit vielleicht seinem Beispiel folgte.

Oft dachte er an Catherine und an ihren Abschied. Sie hatte darauf bestanden, ihn die ganze Strecke nach Portsmouth zu begleiten, als er sich wieder auf der kleinen Firefly einschiffte. Keen hatte sich schon früher verabschiedet und war mit Adam in einer anderen Kutsche vorausgefahren. Neben den in der Sonne dampfenden Pferden hatte sich Catherine an ihn geklammert und sein Gesicht gesucht, es mit Zärtlichkeit und Trauer gestreichelt, als Allday meldete, daß das Boot warte. Er hatte sie gebeten, in der Kutsche zu bleiben, doch sie war ihm zu der hölzernen Treppe gefolgt, wo so viele Seeoffiziere das Land verließen.

Wie immer hatte sich dort eine kleine Gruppe Schaulustiger eingefunden, sehr wenige unter ihnen im dienstpflichtigem Alter, denn nur ein Narr hätte die Begegnung mit einer Preßgang riskiert. Die Leute hatten ihnen Beifall gespendet und Bolitho erkannt. Einer hatte gerufen:»Viel Glück, Dick, und der Lady ebenfalls!»

Zum erstenmal hatte er Tränen in Catherines Augen gesehen.»Sie beziehen mich mit ein.»

Als das Boot von den Stufen ablegte, hatte Bolitho sich umgedreht, aber da war sie schon verschwunden. Und doch, als sie über das unruhige Wasser des Solent schaukelten, spürte er, daß sie ihn bis zur letzten Sekunde beobachtete.

Es fiel ihm ein, wie Belinda sie in ihrem Zorn beschimpft hatte. Allday dagegen hatte Catherine eine Seemannsbraut genannt — und das stimmte. Bei ihm war es das größte Kompliment von allen.

Während die Fregatte Tybalt und die Korvette Phaedra nun jeden Küstenfahrer und Händler jagten und durchsuchten, der dumm genug war, sich in Reichweite ihrer Kanonen zu begeben, studierten Bolitho und Keen die knappen Berichte. Tag für Tag drangen sie weiter ins Mittelmeer vor.

Man sagte, daß Nelson sich im Atlantik mit seinem Freund und Zweiten Befehlshaber, Vizeadmiral Collingwood, vereinigt hätte. Nelson war wahrscheinlich zu der Überzeugung gelangt, daß der Feind die britischen Geschwader durch List und schnelle Vorstöße zu zersplittern suche. Erst wenn ihm das gelang, würde Napoleon zur Invasion über den Kanal ansetzen. Yovell hatte gemeint:»Wenn das stimmt, Sir Richard, sind Sie jetzt der ranghöchste Offizier im Mittelmeer.»

Bolitho hatte das noch kaum in Betracht gezogen. Doch falls es zutraf, bedeutete es für ihn eins: Wenn ihm der Feind über den Weg lief, brauchte er keinen erst lange zu fragen. Das machte die Last der Befehlsgewalt erträglicher.

Eines Vormittags sah er beim Spaziergang auf dem Achterdeck Leutnant Parris, der sich unsicher am Schanzkleid Bewegung verschaffte. Sein Arm war an der Seite festgeschnallt. Parris hatte sich seit Havens mörderischer Attacke mehr in sich zurückgezogen. Keen meinte, er wäre wohl zufrieden, ihn als Ersten zu haben, könne sich aber noch kein Urteil erlauben.

Parris ging langsam zur Leeseite des Achterdecks und suchte Halt an einem Want, um dem Flug einiger Seevögel zuzusehen. Bolitho trat zu ihm.»Wie fühlen Sie sich?»

Parris versuchte, sich aufzurichten, zuckte aber schmerzlich zusammen und bat um Entschuldigung.»Es geht nur langsam aufwärts, Sir Richard. «Sein Blick wanderte zu den geblähten Segeln und den winzigen Gestalten hinauf, die im Rigg arbeiteten.»Ich würde mich weitaus besser fühlen, wenn ich da oben wieder herumklettern könnte.»

Bolitho betrachtete sein ausgeprägtes Zigeunerprofil. War das ein Frauenheld?

Unter dem prüfenden Blick wurde Parris verlegen.»Ich möchte mich dafür bedanken, daß ich an Bord bleiben durfte, Sir Richard, auch wenn ich im Augenblick nutzlos bin.»

«Die letzte Entscheidung hatte Kapitän Keen.»

Parris verstand, seine Augen verloren sich in Erinnerungen.»Er macht dieses alte Schiff wieder lebendig. «Er zögerte, schien zu überlegen, wie weit er gehen konnte.»Ich hörte von Ihren Schwierigkeiten in London. Es tut mir leid.»

Bolitho schaute über das blaue Wasser; sein verletztes Auge fing an, sich in der feuchten Luft leicht zu trüben.»Die kühnsten Maßnahmen sind gewöhnlich die sichersten. Ich glaube, auch das ist eine von Nelsons Redensarten.»

Parris trat zurück, als Keen erschien.»Ich wünsche Ihnen viel Glück, Sir Richard. Ihnen beiden.»

Keen traf Bolitho bei den Hängemattsnetzen.»Wir werden Malta morgen während der Vormittagswache sichten. «Er deutete auf die kräftige Gestalt des Segelmeisters.»Mr. Penhaligon hat mich überzeugt.»

Bolitho lächelte.»Ich unterhielt mich soeben mit dem Ersten Leutnant. Ein merkwürdiger Bursche.»

Keen lachte.»Ich weiß, ich sollte nicht darüber scherzen. Trotzdem, ich habe schon Kommandanten gehabt, die ich liebend gern erschossen hätte. Aber niemals war es umgekehrt.»

Unten auf dem Bootsdeck drehte sich Allday um. Er hörte sie lachen. Keens alter Bootsführer war auf ihrem letzten Schiff, der Argonaute, gefallen. Allday hatte einen neuen Mann für ihn ausgesucht, aber insgeheim gewünscht, es hätte sein Sohn sein können. Keens neuer Mann hieß Tojohns. Vorher war er für den Vortopp verantwortlich gewesen. Jetzt stand er neben ihm und blickte ebenfalls nach achtern.»Die Hyperion ist ein neues Schiff, seit er an Bord gekommen ist. Kennst du ihn schon lange?»