Wright preßte die Finger so hart zusammen, daß sie sich verkrampften. Der Kommandant stand am vorderen Ende der Laufplanke, seine Haltung verriet Sorglosigkeit.
«An Deck! Segel in Luv!»
Sinclair kam nach achtern, sein Mund war eine dünne Linie. Natürlich, der Ausguck oben würde das andere Schiff jetzt sehen können, wenn auch nur dessen Bramrahen über dem ziehenden Dunst. Der Mann brüllte wieder:»Englisches Kriegsschiff, Sir!»
Sinclair starrte in die weißen Wirbel.»Wer ist der Narr dort oben?»
«Tully, Sir, ein zuverlässiger Matrose.«»Das hoffe ich in seinem Interesse.»
Sonnenlicht enthüllte nun die zwei Batterien, die schmucken, sauberen Linien, die in ihrer Halterung völlig gleichhohen Enterspieße am Großmast, aufgestellt wie Soldaten zur Parade. Kein Wunder, daß es den Admiral beeindruckt hatte, dachte
Wright.
Sinclair schärfte ihm ein:»Stellen Sie sicher, daß unsere Erkennungsnummer klar zum Aufheißen ist. Kein hochnäsiger Vollkapitän soll an meinen Signalen etwas auszusetzen haben.»
Aber der Fähnrich, ein ängstlicher Junge, stand schon mit seinen Leuten bereit. Man blieb nicht mehr als einmal hinter den Erwartungen des Kommandanten zurück.
Das Vormarssegel begann sich zu blähen, der Segelmeister rief erleichtert:»Endlich Wind!»
«An die Brassen!«Sinclair deutete zur Reling.»Dort, den Namen des Mannes, Mr. Cox! Meine Güte, ihr bewegt euch heute wie die Krüppel!»
Der Schiffsrumpf neigte sich, Gischt spritzte über den Möwenkopf. Der Dunst flutete durch Wanten und Stagen und ließ an beiden Seiten blankes Wasser zurück. Der nackte Seemann riß den Kopf hoch und starrte wie blind zu den Segeln auf. Das Eisen hatte seine Hand- und Fußgelenke wundgescheuert.
«Klar auf dem Achterdeck, haltet das Erkennungssignal bereit!«wütete Sinclair.»Ich möchte nicht irrtümlich für einen Franzosen gehalten werden!»
Wright mußte zugeben, daß es eine kluge Vorsichtsmaßnahme war. Ein auf dieser Station neues Schiff konnte die ehemals französische La Mouette leicht für einen Gegner halten. Der Ausguck rief:»Es ist eine Fregatte, Sir! Läuft vor dem Wind!»
Sinclair brummte:»Auf gleichem Bug, in gleicher Richtung. «Er spähte angestrengt nach dem Windsack im Topp, doch der war noch durch letzte Schwaden verhüllt. Dann, als höbe sich ein Vorhang, lag die See klar und glänzend vor ihnen. Es sah aus, als wüchse das andere Schiff aus dem Wasser empor. Es war eine große Fregatte. Sinclair überzeugte sich, daß seine eigene Flagge an der Gaffel klar zu erkennen war.
«Sie hissen ein Signal, Sir!»
Sinclair sagte mit einem letzten Blick auf die Flagge der La Mouette: »Sehen Sie, Mr. Wright, wenn man die Leute trainiert, daß sie antworten wie vorgeschrieben.»
Seine Worte gingen unter, als jemand alles überschrie:»Um Gottes willen, sie fahren die Geschütze aus!»
An der Bordwand der Fregatte hatten sich auf einen Schlag alle Stückpforten geöffnet. Im strahlenden Sonnenschein steckten die
Rohre der Backbordbatterie ihre Nasen ins Freie. Wright rannte zur Reling und schrie:»Deckung!»
Dann explodierte ihre Welt in einem Getöse aus Flammen und wirbelnden Splittern. Getroffene Menschen und abgetrennte Gliedmaßen malten rote Lachen auf das Deck. Wright lag auf den Knien und erkannte unter all den schreienden Stimmen seine eigene. Sein betäubter Verstand erfaßte nur für Sekunden das entsetzliche Bild: den nackten Mann, der noch immer ans Geschütz gefesselt war, aber nicht mehr klagte, weil er keinen Kopf mehr hatte. Den über die Seite kippenden Vormast, den wie ein Hund winselnden Signalfähnrich.
Das Bild erstarrte und verblaßte. Wright war tot.
Commander Alfred Dunstan saß in der engen Kajüte der Phaedra am Tisch und studierte die Karte.
Ihm gegenüber wartete der Erste Leutnant Joshua Meheux, mit halbem Ohr beim Ächzen und Klappern der Takelage, auf einen Entschluß des Kommandanten. Durch die offenen Heckfenster konnte er sehen, wie der weiße Nebel der Korvette folgte. Er hörte, daß der Zweite erneut den Ausguckposten im Mast ablösen ließ. Bei schlechter Sicht, Dunst oder Nebel erlag selbst der beste Ausguck nach einer Weile optischen Täuschungen und sah nur das, was er zu sehen erwartete. Ein dunkler Fleck im Nebel verwandelte sich dann für ihn in eine Küstenlinie oder in das Marssegel eines anderen Schiffes auf Kollisionskurs. Er beobachtete seinen Vetter. Unglaublich, wie gut es Dunstan verstand, seiner Besatzung zu erklären, worauf es ankam.
Er sah sich in der kleinen Kajüte um, in der sie so viele Diskussionen gehalten, Pläne gemacht, Gefechte und Geburtstage gefeiert hatten. Dann erblickte er die großen Körbe mit Orangen und Limonen, die einen Teil des Raumes füllten. Phaedra war auf einen Genueser Frachter gestoßen, kurz bevor der Seedunst sie eingehüllt hatte.
Sie waren knapp an Wasser, bedrohlich knapp sogar, aber die Menge frischer Früchte, die Dunstan» organisiert «hatte, glich den
Mangel im Augenblick aus. Dunstan schaute von der Karte hoch und lächelte.»Es riecht hier wie in Bridport an einem Markttag, nicht wahr?»
Sein Hemd war fleckig, aber besser so, als daß die Mannschaft glaubte, den Offizieren würde das Wasser nicht rationiert und sie könnten ihre Kleidung waschen.
Dunstan tippte mit dem Zirkel auf die Karte.»Noch einen Tag, dann müssen wir umkehren. Wir werden dringend beim Geschwader gebraucht. Wahrscheinlich steht Kapitän Sinclair ganz woanders. Wenn es nicht dunstig wäre, hätten wir sein Schiff schon gestern sichten müssen.»
Meheux fragte:»Kennst du ihn?»
Dunstan beugte sich tiefer über seine Berechnungen.»Nein, ich habe nur von ihm gehört.»
Der Leutnant lächelte. Dunstan war Kommandant, er wollte über einen anderen Kommandanten nichts weiter sagen. Nicht einmal seinem Vetter.
Dunstan lehnte sich zurück und fuhr sich durch das widerspenstige, rotblonde Haar.»Meine Güte, das juckt wie bei einer krätzigen Hure. «Dabei grinste er.»Ich glaube, Sir Richard will sich der Flotte Nelsons anschließen. Aber er wird alle Schuld auf sich nehmen müssen, wenn ihm die Franzosen zuvorkommen und im Hafen verschwinden.»
Mit einem Griff holte er eine Karaffe Rotwein unter dem Tisch hervor.»Auf jeden Fall besser als Wasser. «Er goß zwei große Gläser ein.»Ich wette, daß unser Vizeadmiral bald in der Tinte sitzt. Aber ein Mann, der freiwillig den Zorn der Admiralität und ihres stutzerhaften Generalinspekteurs auf sich zieht, ist wohl aus hartem Holz geschnitzt.»
«Wie war er als Kommandant?»
«Tapfer, höflich, ohne Dünkel.»
«Du mochtest ihn?»
Dunstan trank einen Schluck, die beiläufige Frage durchbrach seine Zurückhaltung.»Ich liebte den Boden, auf dem er ging. Alle in der Messe taten das. Ich würde ihm jeden Tag beistehen, ohne lange zu fragen.»
Es klopfte, ein Fähnrich in noch schmutzigerem Hemd spähte durch die Tür.»Empfehlung des Zweiten Leutnants, Sir, und er denkt, daß es bald aufklaren wird.»
Sie schauten hoch, als das Deck leise erzitterte und der Rumpf schwach murmelnd gegen den Anstoß protestierte.
«Bei Gott, es kommt Wind auf!«Dunstans Augen leuchteten.»Ein Kompliment an den Zweiten Leutnant, Mr. Valliant, und ich komme gleic h hinauf. «Er hob die Karaffe und zog eine Grimasse, denn sie war fast leer.»Dieses Schiff ist trockener als üblich, fürchte ich. «Dann wurde er wieder ernst und sachlich.»Nun hör' zu, was ich vorhabe. Also. «Er kam nicht weiter.
Meheux starrte die Karaffe an, deren Stöpsel sekundenlang rasselte. Ihre Blicke trafen sich. Meheux sagte:»Was war'n das — Donner?»
Dunstan griff schon nach seinem schäbigen Hut.»Nein, diesmal nicht. Dies war Kanonendonner, mein Lieber!»
Er schlüpfte mit den Armen in seinen Rock und kletterte die Leiter im Niedergang hoch an Deck.