Keen und Allday sahen einander an. Allday entsann sich besser als jeder andere, wie Bolitho an Bord der kämpfenden Phalarope bei den Samtes die große Uniform getragen hatte, ein gutes Ziel für jeden Scharfschützen. Aber er wollte, daß die Männer ihn sahen. Allday wußte, es war unmöglich, ihm das auszureden.
Bolitho glitt in die Ärmel und wartete auf Ozzard, der sich auf die Zehen stellte und die glitzernden Epauletten mit den zwei Silbersternen anpaßte.
«Dies wird keine Schlacht, bei der man probeweise seine Kräfte testet, Val. Wir dürfen nicht einmal daran denken, sie möglicherweise zu verlieren. Der Sieg ist lebenswichtig, nehmt das zur Kenntnis.»
Keen lächelte schwach.»Ich weiß es.»
Ein Ruf vom Masttopp. Ein Leutnant kam vom Achterdeck gerannt und blickte Bolitho an.»Des Ersten Leutnants Respekt, Sir, und.»
Es fiel ihm schwer, die Augen von der Uniform des Vizeadmirals loszureißen und auf Keen zu richten.»Der Ausguck im Großmast meldet soeben: Feind in Sicht, steuert Südwest.»
Keen blickte Bolitho erwartungsvoll an. Der nickte.»Signal an alle: Feind in Sicht. «Dann winkte er Ozzard.»Räum die Kajüte aus. Der Bootsmann und seine Leute warten schon, um die Möbel ins Orlopdeck zu bringen. «Er legte ihm die Hand auf die knochige Schulter.»Geh mit ihm. Und keine Heldentaten heute. «Als Ozzard ihn trübsinnig ansah, fügte er hinzu:»Ich weiß nicht, was dich quält, aber ich werde es in Ordnung bringen. Verlaß dich drauf.»
Als Ozzard anfing, einige kleinere Gegenstände zu verstauen, unterbrach ihn Bolitho.»Nein, das nicht!«Er nahm Ozzard Catherines Fächer aus der Hand und steckte ihn in seine Rocktasche.»Nur eine Kleinigkeit, Val, aber es ist alles, was ich von ihr besitze.»
Allday folgte ihnen beim Verlassen der Kajüte. Noch einmal hielt er inne, den alten Degen in der Hand, und blickte zurück in den Raum, den er so gut kannte. Würde er ihn wiedersehen? Ihre Chancen standen schlecht, aber das war nichts Neues; wenigstens waren ihre Gegner Spanier. Allday hätte am liebsten ausgespuckt. Sogar die Franzosen kämpften besser. Er warf einen letzten Blick in die Runde und berührte dabei seine Brust an der Stelle, wo ihn die spanische Klinge verletzt hatte.
Die Kajüte war schon leergeräumt. Er drehte sich um, ärgerlich über seinen Trübsinn; aber es sah so aus, als würde sie für immer leer bleiben.
Draußen ging Bolitho zur Reling und nahm sich ein Fernglas vom ältesten Fähnrich. Dann musterte er ihn und die anderen Offiziere. Alle hatten sie ihre besten Uniformen angezogen. Er nickte ihnen anerkennend zu.
Als er das Fernglas ans Auge führte, hatte er fast sofort die Segel der Tybalt im Okular. Dann schwenkte er es weiter und sah die dunklen Unterbrechungen des sonst glatten Horizonts. Hyperions Wimpel wehte noch immer nach Backbord aus. Der Wind war stetig und nicht zu stark. Sein Vater hatte immer gesagt: ein guter Wind für ein Gefecht. Aber im Mittelmeer konnte sich das leicht ändern, wenn es der Zufall wollte.
Keen stand neben ihm, der Wind zauste sein Haar, wo es unter dem Hut hervorlugte, obwohl es nach moderner Art kurzgeschnitten war. Wie bei Adam. Bolitho packte die Reling mit beiden Händen, fühlte die Wärme des alten Holzes. Viele Hände hatten es vor ihm geglättet. An der Vorkante des Achterdecks stand Major Adams mit seinem Leutnant Veales und zwängte sich stirnrunzelnd in ein frisches Paar weißer Handschuhe.
Bolitho sagte:»Es wird Zeit.»
Keen hatte verstanden. Die Leutnants schauten einander an und fragten sich wahrscheinlich, wer von ihnen noch da sein würde, wenn sich der Pulverdampf verzog.
Keen bemerkte:»Der Wind steht durch, Sir Richard. Sie werden bis Mittag auf unserer Höhe sein.»
Penhaligon warf gleichmütig ein:»Schöner Tag für ein Treffen.»
Bolitho zog Keen beiseite.»Auf ein Wort, Val. Wir machen gleich gefechtsklar, danach werden unsere Aufgaben uns trennen. Aber Sie bedeuten mir nun einmal sehr viel, und das sollten Sie wissen.»
Keen erwiderte leise:»Ich weiß, was Sie sagen wollen, Sir Richard, aber es wird Ihnen nichts geschehen.»
Bolitho packte ihn fester.»Val, wie können wir das wissen? Es wird ein harter Kampf werden, vielleicht der schlimmste, den wir je durchzustehen hatten. «Er deutete auf die Schiffe in ihrem Kielwasser.»All diese Männer folgen uns wie hilflose Tiere, vertrauen darauf, daß ihr Admiral sie durchbringt, ungeachtet der Hölle, die auf sie wartet.»
«Sie werden auf Sie schauen.»
Bolitho lächelte flüchtig.»Das macht es nicht leichter. Val, was denken Sie, wenn die Dons uns umzingeln? Ohne mich wären Sie jetzt zu Hause bei Ihrer Zenoria.»
Keen sah Allday mit dem Degen erscheinen und entgegnete einfach:»Selbst wenn ich den heutigen Tag nicht überleben sollte, so habe ich doch wahres Glück kennengelernt. Nichts kann mir das nehmen.»
Allday hängte Bolithos Degen ein und lockerte ihn probeweise in der Scheide. Er brummte:»Dazu sag' ich Amen, Käpt'n!»
Sie sahen einander an. Keen grüßte Bolitho formell mit der Hand am Hut.»So sei es denn.»
Das laute Rasseln der Trommeln, die aus jeder Luke trampelnden Füße machten ihnen weiteres Reden unmöglich. Die Stückmannschaften stürzten sich auf ihre Kanonen, die Toppgasten schwärmten nach oben aus und riggten Schlingen und Netze auf. Selbst noch im Blutbad einer Breitseite würden sie die Schäden spleißen. Jenour tauchte auf, den Hut fest in die Stirn gedrückt, den schönen Degen an der Hüfte. Er sah ernst und irgendwie gealtert aus.
Als der Lärm der Vorbereitungen verhallte und sich wieder Stille über das Schiff senkte, schritt Parris nach achtern zum Kommandanten. Er trug ein Paar feine Stiefel.
«Schiff ist klar zum Gefecht, Sir!«meldete er.»Feuer im Kombüsenherd gelöscht, Pumpen bemannt.»
Keen zog seine Uhr nicht hervor, sondern sagte nur:»Neun Minuten, Mr. Parris, die beste Zeit bisher.»
Bolitho hörte es mit. Ob die Zeit stimmte oder nicht, spielte keine Rolle. Diejenigen, welche die Bemerkung aufgefangen hatten, würden Keens Lob in allen Decks verbreiten. Das war wenig genug, aber es half mit.
Keen trat zum Vizeadmiral.»Alles klar, Sir Richard.»
Bolitho sah sein Zögern.»Ist noch was, Val?»
«Ich überlege gerade, Sir Richard: Können wir nicht die Musikanten aufspielen lassen? Wie damals auf der Tempest.»
Wieder einmal verband sie eine gemeinsame Erinnerung. Bolitho war einverstanden.»Gut, machen wir das.»
Und so, während sich die alte Hyperion auf Backbordbug leicht schräg legte und der scharfe Horizont sich in Segel und Masten auflöste, bliesen die Pfeifer der Royal Marines einen anfeuernden Marsch. Begleitet von den Trommeln auf der Poop und dem Stampfen der Seeleute auf den mit Sand bestreuten Decks, marschierten sie hin und her, als ob sie vor ihrer Kaserne paradierten.
Bolitho fing Keens Blick auf und nickte; es war sogar die gleiche Melodie wie damals: Portsmouth Lass, Mädel aus Portsmouth.
Bolitho griff wieder zum Fernrohr und studierte die spanische Aufmarschlinie von einem Ende zum andern. Die beiden letzten Schiffe standen ziemlich weit vom Verband entfernt. Bolitho vermutete, daß sich das allerletzte Schiff absichtlich abseits hielt und das andere deckte, damit dieses Reparaturen ausführen konnte.
Er faßte die einzige Fregatte ins Auge. Es war leicht zu verstehen, daß der Kommandant der Mouette sich hatte täuschen lassen, denn es bedurfte schon mehr als nur einer fremden Flagge, um eine in England gebaute Fregatte zu tarnen. Bolitho wußte, daß die Consort am Medway vom Stapel gelaufen war, in der Nähe von Herricks Heim. Ob der jetzt wohl auch daran dachte?
Zwölf Linienschiffe. Das Flaggschiff an der Spitze war schon von Parris identifiziert worden, der es von früher kannte. Es war die mit neunzig Kanonen bestückte San Mateo, Flaggschiff von Admiral Don Alberto Casares, der die spanischen Geschwader in
Havanna befehligte. Casares mußte die Rolle der Hyperion beim Handstreich auf Puerto Cabello kennen. Und einige seiner Schiffe hatten wahrscheinlich auch die Schatzschiffe nach Spanien geleiten sollen.