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Giovanni grübelte nach, wie er dem Freund helfen könne, aber er sah keinen Ausweg. Manchmal sagte er sich sogar, daß das Schicksal es mit Marco vielleicht besser gemeint hatte, als dieser zunächst selbst glaubte. Wer weiß, wie es ihm in den fremden Ländern ergangen wäre. Wenn er aber an Marcos Sehnsucht nach der Ferne und seine kühnen Träume dachte, wußte er, was es für ihn bedeutete, auf Jahre hinaus hinter die Mauern des Klosters gesperrt zu werden.

Der Mond war aufgegangen, die Sterne leuchteten, und die Vögel schliefen. Gianninas Mutter zündete in der Stube die Kerzen an. Giovanni sah das Licht durch das Gebüsch schimmern.

Meister Benedetto hatte ihn heute gelobt und gesagt, daß er geschickte Hände und einen guten Blick für das Holz hätte, wie es für einen richtigen Bootsbauer erforderlich sei. Er soll sich aber ja nichts darauf einbilden. Dann hatte er Giovanni mit in seine Werkstatt genommen und das fertige Boot gezeigt. Er, Giovanni, durfte als erster das Boot sehen. Er verstand ja schon einiges vom Bootsbau und war ergriffen gewesen von der Schönheit der von der Hand des Meisters gebauten Barke. Sie war für die Personenbeförderung bestimmt und trug einen Aufbau, in dem vier Menschen bei Regen wie in einem Zimmer sitzen konnten. Aber das Schönste war ihre fein geschwungene Form.

«Bald wirst du viele solcher Barken auf den Kanälen in Venedig sehen», hatte der Meister gesagt und einen Schluck aus dem Krug genommen. «Und keiner wird bestreiten können, daß die erste dieser Art von Meister Benedetto auf Murano gebaut worden ist. Ich habe auch schon einen Namen für sie: Gondola! Na, wie klingt das? Doch nun schnell an die Arbeit, du Faulpelz!»

Aber Giovanni ließ sich nicht vertreiben. Er strich mit der Hand über die Rundungen des Holzes und sagte ernst: «Meister Benedetto, das Boot ist sehr schön… Ich kann gar nicht sagen, wie schön es ist.» Dann erst war er hinausgelaufen.

Wenn Giovanni an seine eigene Zukunft dachte, hatte er keine Sorgen. Er wollte aber auch, daß der Vater und der Freund froh würden. Die Nacht war dunkler, und der Mond war heller geworden. Giovanni hörte an dem Aufsetzen der Krücken, daß der Vater nach Hause kam. Er lief ihm entgegen.

«Hast wohl schon gewartet?» begrüßte Ernesto seinen Jungen. «Es ist ein bißchen spät geworden, aber der Fang hat sich gelohnt.»

Giovanni spürte den Weingeruch, der in den Kleidern saß, und sah an den glänzenden Augen, daß der Vater noch einen Schoppen Wein getrunken hatte. Er war auch lustiger als sonst und schien alle Sorgen von sich geworfen zu haben. In einem Beutel, den er um die Schulter gehängt trug, brachte er einige Fische mit. Giovanni nahm sie aus und bereitete das Abendessen für den Vater zu. Er erzählte von dem Lob, das er von Meister Benedetto erhalten hatte.

Ernesto hörte ihm zu und ließ sich das Abendbrot gut schmecken. Die Arbeit und der Wein hatten ihn müde gemacht, so daß er sich hinlegte und in kurzer Zeit einschlief. Er mußte ja morgen früh vor Sonnenaufgang wieder auf den Beinen sein. Auch Giovanni blieb nicht länger wach.

Bald war es still in dem kleinen Haus. Tiefe, regelmäßige Atemzüge zeugten davon, daß beide fest schliefen. Sie hörten nicht die leisen Schritte, die sich draußen näherten, und sahen auch nicht die dunklen Umrisse einer menschlichen Gestalt, die vorsichtig durch den Vorgarten schlich.

Ein Gesicht beugte sich zur Scheibe, zwei Augen versuchten das von mattem Mondlicht beleuchtete Zimmer zu durchdringen.

Ein Finger klopfte an das Fenster. Die Schläfer hörten es nicht. Wieder das leise, eindringliche Klopfen, bis sich im Zimmer etwas regte. Giovanni erwachte zuerst. Er richtete sich auf. Der Vater lag auf seinem Bett und schlief.

Was hatte ihn nur aufgeweckt? Kein Laut war zu hören, sicher hatte er geträumt. Er legte sich beruhigt zurück, schreckte aber gleich wieder hoch, als es abermals klopfte.

Eine tiefe, vertraute Stimme rief: «Giovanni! Giovanni!» Der Junge warf die Decken von sich, lief zum Fenster und preßte sein Gesicht gegen die Scheibe. Noch wußte er nicht genau, ob ihm seine Augen ein Phantasiebild vorgaukelten oder ob das, was er sah, Wirklichkeit war.

Vor dem Fenster, vom Licht des Mondes beschienen, stand ein vornehm gekleideter Herr, der Paolo ähnlich sah. Jetzt lächelte er und bedeutete dem Jungen, er solle doch die Tür öffnen und ihn einlassen. Und als Giovanni das Lächeln sah, wußte er, daß es Paolo war, der draußen stand. Er sprang zur Tür und stieß mit dem Bein einen Stuhl um. Giovanni spürte keinen Schmerz.

«Papa!» rief er. «Paolo ist gekommen. Wacht doch auf, Papa! Ach, ich kann die Klinke nicht finden.»

Endlich gelang es ihm, aus dem Zimmer zu kommen. Er öffnete die Haustür. «Paolo!» schrie er in die Dunkelheit hinein. «Ich wußte doch immer, daß du einmal wiederkommst.»

Paolo umarmte den Jungen, hob ihn hoch und trug ihn in das Haus hinein. «Nicht so laut, Giovanni!» flüsterte er.

«Was geht da vor sich?» tönte Ernestos Stimme durch die Stube. Giovanni, atemlos von der Umarmung und mit Freudentränen in den Augen, rief fast empört: «Aber Papa, Paolo ist doch gekommen, hört Ihr es denn nicht?»

Er eilte voraus in die Stube, faßte den Vater, der sich halb aufgerichtet hatte, um die Schultern und sagte: «Seht doch, Papa, Paolo ist wieder bei uns!»

Inzwischen war auch Paolo eingetreten. «Ich bin es wirklich, Ernesto, und bitte dich, mich diese Nacht aufzunehmen.»

«Aber du kannst doch hierbleiben, solange du willst, Paolo», mischte sich Giovanni ein. Er ließ die beiden kaum zu Worte kommen. «Immer kannst du bei uns bleiben, nicht wahr, Papa, sagt es ihm doch.»

Ernesto nickte. «Natürlich kann Paolo bleiben, solange er Lust hat. Aber nun setz dich, Paolo, und ruhe dich aus, du hast sicher einen weiten Weg hinter dir. Und du, Giovanni, solltest ihm einige Fischlein braten.»

Paolo hielt Giovanni, der schon in die Küche eilen wollte, zurück. Er hätte keinen Hunger, sagte er. Und Giovanni blieb gern in der Stube; denn er wollte kein Wort von dem verlieren, was Paolo erzählen würde, und hatte ihm ja auch selbst so viel mitzuteilen.

Ernesto war inzwischen aufgestanden und hatte die Lampe angezündet. Mit Erstaunen betrachtete er Paolos schöne Kleider.

«Gut siehst du aus, Paolo. Aber nun erzähle uns, wie es dir ergangen ist. Wir waren sehr traurig über dein Verschwinden… Aber jetzt bist du ja wieder da.»

«Auch Kapitän Matteo wird sich freuen», redete Giovanni dazwischen. Vor lauter Freude konnte er seine Zunge nicht im Zaume halten.

«Kapitän Matteo?» fragte Paolo und runzelte die Stirn. «Hat man ihn denn nicht eingesperrt?»

Giovanni und Ernesto wurde es mit einem Male klar, warum Paolo nach seinem Sprung über Bord so spurlos verschwunden war.

«Du hättest nicht wegzugehen brauchen, Paolo», sagte Ernesto. «Kapitän Matteo ist auf seiner Schmugglerfahrt den Schergen entronnen.»

Eine Weile war es still in der Stube. Das Lampenlicht warf die Schatten der Köpfe auf den Tisch.

Paolo sah nachdenklich in Giovannis Gesicht. Er war ernster und reifer geworden durch die Erlebnisse, die hinter ihm lagen.

Ernestos Worte riefen viele Gedanken in Paolo hervor. Er konnte sich in Venedig frei bewegen, brauchte nicht wie ein Dieb in der Nacht an die Fenster zu klopfen? Er könnte am hellen Tage zu der Fischersiedlung am Lagunenstrand fahren, in Dimitros Hütte treten und sagen: Seht, da bin ich wieder, Dimitro und Giulia. Ich habe Euch eine Kleinigkeit mitgebracht, weil ihr so freundlich zu mir wart. Für Euch, Dimitro, einen Satz damaszener Schnitzmesser und für Euch, Giulia, ein goldenes Armband und eine Perlenkette.