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Paolo erinnerte sich an das Geschenk, das er für Giovanni bei sich trug. Er zog es aus der Tasche, die er mit sich führte, und sagte: «Du hast mir einmal einen Dolch geschenkt, Giovanni. Ich hab ihn gut aufbewahrt. Heute habe ich dir einen anderen dafür mitgebracht. Nimm ihn!»

Er reichte Giovanni die Waffe, deren Griff aus Elfenbein mit eingelegter Silberverzierung bestand.

Giovanni betrachtete den Dolch mit ehrfürchtigem Blick. Er wagte nicht, nach ihm zu greifen. «Nimm ihn nur», ermunterte Paolo den Jungen.

Da nahm Giovanni die kostbare Waffe und strich mit der Hand über das mattglänzende Silber.

«Ich habe nun zwei Dolche», sagte er. «Auch Marco hat mir einen geschenkt… Ich danke dir, Paolo.»

Giovanni freute sich sehr, aber er konnte seiner Freude nicht Ausdruck geben. Es gab zuviel Ungeklärtes zwischen ihnen. Paolo war anders geworden; nicht nur, weil er vornehme Kleider trug, seine Bewegungen waren freier, und seine Augen blickten durchdringend und kühn.

«Du hast ein teures Geschenk mitgebracht, Paolo», sagte Ernesto, «ich kann das nicht so recht verstehen…» Er stand auf und hüpfte zum Fenster, um es einen Spalt weit zu öffnen. «Du darfst es nicht falsch auffassen», setzte er seine Rede fort, «wenn du schweigen willst, denke ich nichts Schlechtes von dir.»

Paolo rückte an den Tisch heran, legte beide Arme auf die Holzplatte und beugte den Oberkörper vor. «Ich werde dir alles erzählen, was mir widerfahren ist, Ernesto. Auch Giovanni soll zuhören. Und ihr könnt selbst entscheiden, ob ich recht gehandelt habe oder nicht… Ach, Ernesto, daß ich wieder in Venedig bin!»

Paolo schaute über die Gesichter der beiden hinweg in das trübe Öl-licht. Und er berichtete von seinen Erlebnissen, ohne etwas hinzuzufügen oder etwas wegzulassen. Ernesto und Giovanni verfolgten jedes Wort. Durch den Fensterspalt drangen leise Nachtgeräusche. Ein Zweig knackte, oder ein Vogel schlug verschlafen mit den Flügeln. Ganz fern bellte ein Hund. Die Geräusche schlichen wie auf Katzenpfoten durch die Nacht.

Giovannis Augen waren groß vor Staunen und schweigender Bewunderung über Paolos Abenteuer.

«Tausend Dukaten gab mir Angiolino zum Abschied. Fünfhundert waren für Alberto und Isabella bestimmt und fünfhundert für mich. 'Gott allein weiß, wie es dir in Venedig ergehen wird', sagte Angiolino. Ich habe ihn liebgewonnen wie einen Freund, aber irgend etwas trieb mich nach Venedig zurück; ich tauge wohl nicht für das Leben in den Bergen…»

Paolo schwieg. In der Stube roch es nach billigem Lampenöl und dem schwarzgebrannten Docht. Eine atemlose Stille herrschte, in der man den Herzschlag zu hören glaubte. Giovannis Augen glühten, er konnte kaum die Antwort des Vaters abwarten. Er hatte Furcht davor, daß sie nicht so ausfallen würde, wie er sie sich wünschte.

Ernesto räusperte sich. «Wie konntest du anders handeln?» sagte er, als spräche er zu sich selbst. «Es war nicht deine Schuld, die dich auf die Landstraße Kinausgetrieben hat… du hast nun ein Stück Welt gesehen, und dein Herz hat dich wieder nach Venedig zurückgeführt. Sei willkommen, Paolo!»

Giovannis Freude machte sich in lauten Ausrufen bemerkbar; und Ernesto mußte ihn zur Ruhe mahnen. Elena im Nachbarhaus hatte einen leichten Schlaf. Es war nicht notwendig, daß sie sogleich von dem nächtlichen Besuch Kunde bekam.

Giovanni dachte nun auch an Marco und Giannina. Wie würden sie sich freuen, wenn sie morgen von Paolos Rückkehr erfuhren. Vielleicht wußte Paolo einen Rat, wie Marco vor dem Besuch der Klosterschule bewahrt werden konnte. Er wollte sogleich vom Schicksal des Freundes erzählen, wurde aber durch eine Frage Paolos abgelenkt. «Wie geht es dir, Ernesto?»

«Wie soll es gehen?» antwortete Ernesto bitter. «Mit dem Beruf ist es vorbei. Ich habe mir einen Kahn gekauft und fahre jeden Tag zum Fischen hinaus.»

Giovannis Gedanken waren augenblicklich bei dem, was den Vater bedrückte. «Messer Celsi hat uns zweihundert Zechinen geliehen…»

«Schweig doch, Giovanni», unterbrach ihn der Vater. Giovanni sah den Vater verständnislos an. Warum sollte er Paolo nicht von ihren Sorgen erzählen? Er war doch wie ein großer Bruder, der zur Familie gehörte. Aber es war nicht nötig, mehr zu sagen. Paolo wußte wohl, was es bedeutete, wenn man sich von einem Mann wie Messer Celsi Geld leihen mußte.

«Ich habe oft an euch beide gedacht», sagte er und suchte nach den Worten, mit denen er Ernesto seine Hilfe anbieten konnte. «Wie mag es Ernesto und Giovanni gehen, habe ich mich gefragt…»

«Uns geht es schon gut, brauchst dir keine Sorgen zu machen», sagte Ernesto.

Giovanni spürte, daß er sich in das Gespräch jetzt nicht einmischen durfte.

«Ich kann mir denken, wie dir zumute ist», sagte Paolo. «Den Messer Celsi kenne ich. Du darfst nicht länger sein Schuldner bleiben, Ernesto. Morgen bringst du ihm seine zweihundert Zechinen zurück.»

Paolo zog aus der Ledertasche seinen Geldbeutel hervor und zählte die Dukaten auf den Tisch. Er kümmerte sich nicht um Ernestos Protest.

«Ich handle so, wie Angiolino gehandelt hätte», sagte er. In dieser Nacht kehrte neue Lebensfreude in das Haus auf Murano ein. Zweihundert Golddukaten lagen auf dem Tisch.

«Nun bin ich dein Schuldner, Paolo.» Ernesto reckte sich auf. «Der Herr wird Augen machen, wenn ich ihm sein Geld zurückbringe.» Paolo sah lächelnd vor sich hin. Er fühlte sich daheim. Die vergangenen Erlebnisse verblaßten. Morgen wollte er nach der Fischerhütte am Strand des Lido fahren und die Fischer fragen, ob sie ihn in ihre Gemeinschaft aufnehmen würden.

Er schlief kaum in dieser Nacht, lag mit offenen Augen auf dem Bett und dachte nach. Giovanni hatte ihm von Marco erzählt, der in seiner Stube eingesperrt war und bald auf Jahre hinaus seiner Freiheit beraubt werden würde.

Aber Marco war noch zu jung, um allein in die weite Welt hinauszugehen.

Sollte er ihm zur Flucht verhelfen? Paolo fand keine Antwort auf diese Frage.

DIE GOLDENE TAFEL

ZWEI MÄNNER IN ABGETRAGENEN REISEKLEIDERN, Gesichter und Hände von der sengenden Wüstensonne verbrannt, waren nach einer langen, langen, beschwerlichen Reise an die Küste des Mittelmeeres gelangt. Ihrer Gestalt und ihren Gesichtern nach mußte man sie für Brüder halten, deren Ähnlichkeit in gemeinsam erlebten Gefahren noch deutlicher geworden war. Der Ältere, von hohem Wuchs und kräftigem Körperbau, wies mit einer weiten Handbewegung auf den Seehafen am Fuße der Berge.

«Ein Hafen wie jeder andere», sagte er, «Schiffe, Lastträger, Händler und Tavernen. Bis hier oben hörst du das Geschrei der Menschen.»

Sie standen auf halber Höhe des Berges, an dessen Fuße die weißen Häuser und winkligen Gassen der Stadt lagen.

«Wir sind wohl etwas menschenscheu geworden», erwiderte der Jüngere, der etwa vierzig Jahre zählen mochte und von schlanker Gestalt war.

Sie stiegen zur Stadt hinab. Nur selten wechselten sie ein Wort. Sie waren es gewohnt, sich mit wenigen Worten und Gesten, mit einem schnellen Blick, durch eine Bewegung der Mundwinkel oder der Augenbrauen zu verständigen.

Vor ihnen, still und weit, lag das blaue Meer. Es sah nicht anders aus als die Indischen Gewässer, die um die Küsten des riesigen Mongolenreiches spülten.

Aber es war das heimatliche Meer, dem sie vor vierzehn Jahren den Rücken gekehrt hatten, um in das Innere Asiens einzudringen.

Sie beschleunigten ihre Schritte. In Layas gab es eine Niederlassung ihrer Landsleute. Die wollten sie aufsuchen, zum ersten Male wieder die heimatlichen Laute der weichen venezianischen Mundart vernehmen.