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Eine drückende Schwüle herrschte. Als sie die ersten Häuser der Stadt erreichten, stand die Sonne im Mittag. Straßen und Gassen lagen wie ausgestorben. Die Fenster waren zum Schutz gegen die Sonne mit weißen Tüchern verhängt. Ein nacktes braunes Armenierkind spielte unbekümmert um die Hitze im Staub der Straße. Ganz allein saß es da, schimpfte mit einem Stück Zedernholz, das ein störrisches Kamel während einer Rast in der Wüste darstellte.

Die beiden Männer blieben vor einer Schenke in der Nähe des Hafens stehen, schoben den Perlenvorhang zur Seite und traten in den halbdunklen Raum. Der Wirt erhob sich verschlafen, um die ärmlich gekleideten Gäste zu bedienen. Als sie allerdings den besten Wein und ein gutes Mittagsmahl verlangten, wurde er flink und diensteifrig.

Sie aßen und tranken. Der Ältere nahm seine Ledertasche, zog eine goldene Tafel heraus und legte sie vor sich hin. Der Wirt nahte sich auf Zehenspitzen und wollte seiner Verwunderung durch einen Schwall von Worten Ausdruck geben. Eine herrische Handbewegung des Jüngeren verscheuchte den allzu Neugierigen.

Die goldene Tafel trug das Zeichen des mächtigen Großkhans und war den beiden Reisenden als Geleitbrief überreicht worden. Diese Tafel hatte sie in den tatarischen Reichen geschützt. Jeder Statthalter war verpflichtet gewesen, sie auf ihrer Reise zu unterstützen, ihnen Diener und Soldaten beizugeben, Kamele und Maultiere zur Verfügung zu stellen und sie in jeder Weise zu fördern. Trotzdem hatte die Reise vom Hofe des Großkhans bis zur Küste des Mittelmeeres über drei Jahre gedauert; denn die goldene Tafel konnte den Wüstensturm und die Trinkwassernot nicht bannen. Und die steinigen Pfade in den Hochgebirgen, die schwankenden Brücken über Abgründe, die sengende Hitze mit den heißen, atemberaubenden Winden, die giftigen Insekten und tausend andere Unbilden der Natur ließen sich durch die goldene Tafel mit dem Zeichen des Großkhans nicht in einen angenehm kühlen und ungefährlichen Wanderpfad verwandeln.

Der Jüngere verstand, warum sein Begleiter die Tafel auf den Tisch gelegt hatte. Nicht, um dem Wirt Achtung vor seinen Gästen einzuflößen. Es war eine Erinnerung an eine erstaunliche, abenteuerliche Reise, ein Abschied von einem wichtigen Teil ihres vergangenen Lebens und zugleich eine mit Freude und Sorge gemischte Erwartung auf die erste Begegnung mit der Heimat.

Sie saßen sich schweigend gegenüber und tranken den kühlen, mit Wasser gemengten Wein. Der Wirt hatte sich wieder in seine Ecke gesetzt und wunderte sich über seine stummen Gäste. Er war es gewohnt, daß es laut und lebhaft an den Tischen zuging. Um die Mittagszeit allerdings kamen nur selten einmal einige Kaufleute, Händler oder Seeleute, sie zogen es vor, um diese Zeit in ihrem Quartier oder in einem schattigen Winkel zu schlafen.

Die sonnenverbrannten Hände des Älteren schoben sich unter die goldene Tafel und hoben sie etwas an.

Vor vierzehn Jahren hatte er mit seinem Bruder Byzanz verlassen. Sie trugen in ihren Taschen nichts anderes als Edelsteine, die sie für den Erlös aus dem Verkauf einer Schiffsladung eingehandelt hatten. Edelsteine waren begehrte Handelsartikel in allen Teilen der Welt. Bald sollte sich zeigen, daß ihre Rechnung, die Edelsteine günstig zu vertauschen, richtig gewesen war.

Kaiser Balduin II., der von ihrem Vorhaben, in das sagenhafte Reich des Mongolenherrschers zu reisen, gehört hatte, verabschiedete sie im Jahre 1255 von Byzanz. Sie segelten über das Schwarze Meer nach dem Hafen Soldaia und begaben sich von dort auf dem Landwege nach Bulgar an der Wolga und Sarai, zum Hofe Barkaikhans, des Beherrschers der westlichen Tataren. Die Reisenden aus Venedig wurden von dem tatarischen Fürsten ehrenvoll empfangen, er erwiderte ihre Geschenke, indem er ihnen Juwelen von doppeltem Wert und zahlreiche andere Gaben überreichen ließ.

Jahrelang lebten sie am Hofe des Khans, unternahmen Reisen und bekamen einen Begriff von der Größe des westlichen Teils des Mongolenreiches. Ein Krieg zwischen Barkaikhan und seinem Bruder Hulagu zwang sie, sich auf den Weg nach Bokhara zu begeben. Sie durchquerten, nachdem sie den Sir Darja überschritten hatten, in siebzehn Tagesreisen die Wüste von Kirsil-Kum. Drei Jahre verbrachten sie in Bokhara, und sie nutzten diese Zeit, um ihren Bestand an Edelsteinen zu vermehren.

Sie lernten am Hofe Barkaikhans den Gesandten des Großkhans kennen, der weit im Osten Chinas, in Kangbahli, seinen Wohnsitz hatte. Die beiden Reisenden erfuhren, daß der mächtige Herrscher Kublaikhan inmitten seiner Hauptstadt einen Palast bewohnen solle, in dessen Halle sich sechstausend Personen aufhalten können. Man sagte, daß dieser gewaltige Bau mit den ihn umgebenden Parkanlagen einen Umfang von acht chinesischen Li (221/2 km) einnehme.

Über den märchenhaften Reichtum am Hofe des Großkhans gab es die unwahrscheinlichsten Berichte; aber die italienischen Reisenden wollten sich mit eigenen Augen überzeugen und nahmen deshalb die Einladung des Gesandten, mit ihm an den Hof seines Gebieters zu reisen, erfreut an. Sie brauchten über ein Jahr für die beschwerliche Reise; die Erwartungen, die sie im stillen gehegt hatten, wurden durch die Wirklichkeit noch übertroffen.

Der Großkhan empfing sie als die ersten Italiener an seinem Hofe mit großem Wohlwollen und ließ sich von den Fürsten und Völkern des Abendlandes erzählen. Er interessierte sich besonders für die Art der Kriegführung und für den Papst und die Lehren der christlichen Kirche.

Eines Tages schlug er den beiden Italienern vor, sie möchten als seine Gesandten nach Rom reisen und den Papst bitten, ihm hundert Gelehrte zu senden, die den Gelehrten seines Reiches die Lehren des Christentums offenbaren sollten, um auch seine Völker für diesen Glauben zu gewinnen. Die beiden Reisenden stimmten freudig zu, schon lange hatte sich in ihren Herzen der Wunsch geregt, wieder in die Heimat zurückzukehren.

Kublaikhan überreichte ihnen am Tage vor ihrer Abreise die goldene Tafel und Briefe in tatarischer Sprache für den Papst. Reich beschenkt verließen sie in Begleitung eines Offiziers den Hof. Den Offizier mußten sie schon nach der zweiten Tagesreise, da er schwer erkrankt war, zurücklassen. So zogen sie allein weiter, und die goldene Tafel öffnete ihnen die Grenzen der Reiche und die Pforten der Städte.

Drei Jahre brauchten sie bis zum Gestade des heimatlichen Meeres. «Woran denkst du, Maffio?» fragte der Jüngere.

Maffio Polo nahm die Tafel und steckte sie wieder in seine Ledertasche.

«Es geht mir wie dir, Nicolo», erwiderte er. «Ich kann die Zeit nicht mehr erwarten, nach Venedig zu kommen, und doch kleben meine Gedanken wie Vögel auf einer Leimrute an dem fernen Land mit seinen stillen Seen zwischen den wilden, blütengeschmückten Bergen.»

«Wir waren vierzehn Jahre weg», sagte Nicolo Polo. Er stützte den Kopf in die Hände. Gewaltsam versuchte er sich von den Gedanken zu befreien, die ihn während der ganzen langen Reise begleitet hatten. Es gelang ihm nicht; es gelang ihm auch nicht, die geheime Sorge um das Wohlergehen der Gattin und des Sohnes, der damals eben geboren worden war, abzuschütteln. Vierzehn Jahre! Was nützten die ewigen Selbstvorwürfe? Der Drang, immer tiefer einzudringen in das riesige Reich, die spöttischen Bemerkungen seines Bruders, wenn er zur Umkehr gemahnt hatte, waren stärker gewesen.

«Grüble nicht länger», sagte Maffio und schlug ihm auf die Schulter, «bald sind wir zu Hause. Was sind denn vierzehn Jahre? Denke daran: Wir kommen nicht mit leeren Händen.» Er schlug auf die Ledertasche. «Die Diamanten sind soviel wert wie drei Schiffsladungen. Komm nur, laß uns gehen. Die Fahrt übers Mittelmeer ist nicht mehr als ein Sprung für uns.»

«Recht hast du, Maffio, das Grübeln bringt nichts ein.» Nicolo Polo sprang auf und hängte sich seine fremdartig aussehende Tasche um. Ein mongolischer Lederhandwerker hatte sie für ihn angefertigt.

Der Wirt begleitete seine Gäste bis zur Tür, schob eilfertig den Perlenvorhang zur Seite und flehte den Segen Allahs für sie herab.