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Das Leben regte sich wieder in den Straßen und Gassen der Hafenstadt. Kamele und Maulesel zogen zum Marktplatz, verschleierte Frauen eilten leichtfüßig über die Straße, und die Händler priesen in den Basaren ihre Waren an. Das Meer war spiegelglatt und schimmerte in durchsichtigem Blau. In der Hafenbucht lagen nur wenige Schiffe, und keines trug die Flagge mit dem goldenen Löwen von San Marco. Layas war ein kleiner, unbedeutender Hafen, besaß aber eine Niederlassung der venezianischen Kaufleute.

Maffio und Nicolo gingen an dem Posten vorbei durch das Tor in den Fondaco. Sie kamen auf einen viereckigen Hof, der von Häusern, Marktbuden und Warenmagazinen umgeben war. Sie unterschieden die Wohnungen der Kaufleute, ein Schlachthaus, ein Backhaus, ein Bad und ein Gerichtshaus. Neben der Kaufhalle, einem Holzgebäude, stand eine kleine Kirche, die Nicolo an San Giacomo auf Rialto erinnerte, obwohl sie nicht die geringste Ähnlichkeit mit dieser Kirche besaß.

Auf dem Hof, besonders vor den Warenmagazinen und Marktbuden, und in der Kaufhalle herrschte reges Leben. Maffio und Nicolo Polo näherten sich einer Gruppe weiß gekleideter Araber, die um einen venezianischen Kaufherrn herumstanden und mit lebhaften Gebärden verhandelten. Ein Dolmetscher übersetzte mit ruhiger Stimme die italienischen Worte ins Arabische.

Die beiden Reisenden blieben stehen und versuchten einen Blick auf die Gesichter ihrer Landsleute zu werfen. Die heimatlichen Laute berührten sie so stark, daß es ihnen schwerfiel, sich zu trennen.

Der Dolmetscher sah den beiden nach und wußte nicht, in welche Gruppe er sie einordnen sollte. Ihre Gesichter waren dunkel — braun wie die der Araber, aber der Gesichtsschnitt verriet, daß sie Italiener waren. Er hatte keine Zeit, lange nachzudenken. Sein Geschäft nahm ihn bald wieder ganz in Anspruch.

Maffio und Nicolo schritten durch die Kaufhalle. Auch hier befanden sich mehr fremde Verkäufer als Venezianer. Das Geschwader, das auf seiner Reise nach Cypern und Damaskus auch Layas berühren sollte, traf frühestens in dreißig Tagen ein, aber die Händler aus der Stadt und der Umgebung waren schon jetzt bemüht, ihre Waren als Tauschobjekt mit großem Stimmaufwand anzubieten.

Der Kaufherr, den Maffio und Nicolo Polo nach höflichem Gruß ansprachen, hörte erstaunt ihre Worte.

«Wer seid Ihr?» fragte er. «Ihr sprecht die venezianische Mundart, aber Eure Rede ist mit fremdartigen Worten gemischt, die keiner in Venedig verstehen würde. - Verzeiht, daß ich Euch in der ersten Überraschung ausfragte», sagte er lächelnd. «Darf ich Euch in meine Wohnung einladen? Ihr habt sicher eine weite Reise hinter Euch.»

Er machte eine einladende Handbewegung und bat die Fremden, ihm zu folgen. Nicolo und Maffio Polo nahmen die Einladung an. Auf dem Wege nach der Wohnung des Kaufherrn überlegten sie sich die Sätze, mit denen sie sich vorstellen wollten, und bemerkten überrascht, daß sie nach den einfachsten Worten in der heimatlichen Mundart suchen mußten.

In dem Fondaco lebten zu dieser Zeit nur fünfundzwanzig Venezianer, darunter fünf Kaufherren, die von hier aus des öfteren nach Aleppo, Antiochia oder nach den cyprischen Häfen reisten, um die Handelsgeschäfte für die ankommenden venezianischen Schiffe vorzubereiten. Die anderen Bewohner des Fondaco waren Schreiber und Handwerker.

Der Kaufherr, ein jüngerer Mann von etwa dreißig Jahren, schwarzhaarig, mit schmalen Schultern und schnellen Bewegungen, stellte sich als Agnolo Nelli vor. Er klatschte in die Hände und befahl dem Diener, ein Mahl zu bereiten. Die beiden Reisenden sagten, sie hätten gerade gegessen; der Kaufherr aber meinte, daß ein kleiner Imbiß mit ein wenig Wein nicht schaden könne.

Während Maffio und Nicolo Polo ihre Hände in die Fingerschalen tauchten, schickte der Gastgeber nach den beiden anderen im Fondaco anwesenden Kaufleuten und ließ ihnen die Ankunft der Reisenden melden. Bald kamen sie auch in die Wohnung des Agnolo Nelli, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Es war in dem abgelegenen Layas ein Ereignis, neue Gesichter zu sehen, das man sich nicht entgehen lassen konnte. Leider kannte keiner der Kaufleute die Familie Polo; denn sie wohnten am anderen Ende der Stadt, im Sestier di Castello. Venedig war groß, über hundertfünfzigtausend Seelen lebten auf den Laguneninseln, die Zeit, da einer den anderen kannte, war längst vorbei.

Maffio und Nicolo Polo erfuhren neben anderen Neuigkeiten, daß der Papst Clemens IV. Ende des vergangenen Jahres gestorben und noch kein neuer gewählt worden sei. Seine Geschäfte nähme inzwischen der Gesandte zu Acre, Teobaldo de Viscoti, wahr, der zu dieser Zeit auf seiner Burg im Süden Italiens weilte.

Die drei Kaufherren hatten es sich um den Tisch bequem gemacht und waren begierig, die Geschichte der Reisenden zu erfahren.

Nicolo ergriff das Wort und begann von ihrer langwierigen Reise und ihren Erlebnissen am Hofe des mächtigsten aller Fürsten zu sprechen. Er mußte im Anfang nach den Worten suchen, aber je länger er sprach, um so leichter fiel es ihm und um so deutlicher klang die heimatliche Mundart hindurch, allerdings noch oft mit fremden Ausdrücken durchsetzt.

Die Kaufleute hörten schweigend zu, wechselten von Zeit zu Zeit Blicke, um sich zu vergewissern, daß sie wohl einer Meinung über die Erzählung ihrer Landsleute in den abgeschabten Reisekleidern seien.

Nicolo Polo schilderte die von Gold und Silber schimmernde riesige Halle im Palast des Kublaikhans, sprach von den weidenden Hirschen, Rehen und Gazellen und dem Teich mit den Goldfischen inmitten des den Palast umgebenden Parkes, in dem es einen künstlichen Berg gebe, auf dem die schönsten Bäume des Landes zur Zierde eines auf seinem Gipfel befindlichen grünen Palastes gepflanzt worden seien. Kein anderer Herrscher der Erde gebiete über so gewaltige Armeen und habe so große Besitzungen und Reichtümer aufzuweisen wie Kublaikhan, der übrigens sehr gebildet sei und sie mit großen Ehren aufgenommen habe.

Der lebhafte Agnolo Nelli bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl hin und her und ermunterte mit seinen Blicken die beiden Kaufherren, doch endlich dem lügnerischen Prahlen der Abenteurer ein Ende zu machen. Er als Gastgeber mußte sich, so schwer es ihm fiel, noch zurückhalten.

Als Nicolo eine Pause machte und in seinen Erinnerungen nach einem Erlebnis suchte, das geeignet sein könnte, den Landsleuten die fremde Welt lebendig zu machen, sagte der ihm gegenübersitzende ältere Kaufherr mit spöttischem Unterton:

«Der Reichtum des mächtigsten Herrschers der Erde scheint auf Euch nicht abgefärbt zu haben?»

Die anderen lachten auf.

Maffio Polo zog seine Mundwinkel nach unten und sah die Spötter mit schmalen Augen an. Aber er sagte nichts. Die Heiterkeit der drei Zuhörer legte sich. Agnolo Nelli, dem Gastgeber, wurde es unbehaglich zumute. Das plötzliche Schweigen forderte zu einer versöhnlichen Bermerkung heraus.

«Entschuldigt, daß wir Euren Worten nicht folgen können», sagte Agnolo, «es ist so ungewöhnlich, was Ihr uns erzählt.»

Der ältere Kaufherr sah ihn unwillig an. «Ungewöhnlich?» fragte er. «Ihr drückt Euch sehr vorsichtig aus, Agnolo.»

«Ihr haltet uns also für Lügner?» fragte Nicolo Polo mit zornrotem Gesicht und stand auf. Sein Bruder legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter, und Agnolo Nelli bat ihn, ein offenes Wort nicht übelzunehmen.

Maffio Polo wandte sich an den älteren Kaufmann. «Ihr meintet, der Reichtum des mächtigen Herrschers habe auf uns nicht abgefärbt», sagte er ruhig. «Da habt Ihr recht. Unsere Kleider sehen nicht zum Besten aus. Durch die Wüsten und über die Gebirge geht man nicht in Samt und Seide gekleidet wie ein Bischof zur Prozession oder wie ein Kaufherr im Fondaco von Layas.» Er sah sein Gegenüber fest an und konnte nicht vermeiden, daß sich sein Mund in feinem Spott verzog, als er fortfuhr: «Trotzdem ist unsere Reise nicht ganz vergeblich gewesen. Seht, was wir mitgebracht haben. Ein wenig hat der Reichtum doch abgefärbt…»