Maffio Polo zog einen Beutel mit Edelsteinen aus der Tasche und schüttelte sie vorsichtig auf dem Tisch aus. Sie fingen das Sonnenlicht und warfen ein gleißendes Farbbündel zurück, das die» Augen blendete.
Die Kaufleute, überwältigt von der Schönheit der Steine, stießen bewundernde Rufe aus. Sie schienen mit einem Male ihre Zweifel und spöttischen Bemerkungen vergessen zu haben. Der ältere Kaufherr griff nach einem großen Diamanten, legte ihn auf die Handfläche und betrachtete ihn mit Kennerblicken.
«Es war nicht böse gemeint», sagte er. «Verzeiht! — Wenn ich Euch einen guten Rat geben darf, so empfehle ich Euch, die kostbaren Steine während der überfahrt in Eure Kleider einzunähen.»
Die Reisenden neigten die Köpfe und sahen sich mit einem kurzen Blick an.
«Euer Rat ist gut», sagte Nicolo. «Wir danken Euch dafür.» In seinen Augen funkelten Lichter auf. Die Kaufleute hielten sie für den Widerschein der auf dem Tisch liegenden Diamanten. Wie konnten sie wissen, daß sich in den Nähten und geheimen Taschen der abgetragenen Reisekleider bereits Edelsteine befanden, die den Wert des Beutels um ein Vielfaches übertrafen?
Als Maffio Polo den Herren die goldene Tafel und die Briefe an den Papst vorlegte, schwanden auch die letzten Zweifel. Agnolo Nelli entschuldigte sich viele Male und stellte den Reisenden seine Wohnung mit der Dienerschaft zur Verfügung. Sie könnten bei ihm bleiben, solange sie Lust hätten, es sei ihm eine Ehre, ihnen dienen zu können.
Maffio und Nicolo Polo aber wollten so schnell wie möglich nach Italien zurück, um ihre Botschaft an den Papst oder seinen Stellvertreter auszurichten und dann nach Venedig zu reisen. Nicolo beantwortete die vielen Fragen, die an ihn gerichtet wurden, nicht allzu wortreich, obwohl er bei seiner ersten Schilderung gezeigt hatte, wie lebendig er berichten konnte. So verabschiedeten sich die Kaufherren bald, und Agnolo erbot sich, persönlich nach dem Hafen zu gehen, um zu erfahren, wann das nächste Schiff nach Italien auslaufe.
Die Reisenden hörten nach seiner Rückkehr, daß am kommenden Morgen eine kleinere französische Galeere ihre Fahrt nach Massilia antrete, bei der sie auch im Hafen von Tarent anlegen werde. Dann segele erst wieder in vierzehn Tagen ein Schiff zur italienischen Küste. Agnolo Nelli bot ihnen an, bis zur Abfahrt des zweiten Schiffes seine Gäste zu sein. Sie könnten doch nicht, kaum seien sie angekommen, sogleich wieder abreisen. Nicolo Polo aber meinte, sie seien es gewohnt, schnelle Entschlüsse zu fassen. Auch sein Bruder war für die sofortige Abreise. Sie dankten dem Landsmann für seine Gastfreundschaft und begaben sich zum Kapitän des Schiffes, einem lustigen Franzosen aus Tarascon, mit dem sie bald handelseinig wurden. Zwei Matrosen bekamen den Auftrag, im Laderaum einige Kisten zur Seite zu räumen, um einen behelfsmäßigen Aufenthaltsraum für die Gäste zu schaffen.
Am anderen Morgen stach das Schiff in See. Die venezianischen Kaufleute standen am Anlegekai und verabschiedeten die seltsamen Reisenden, die gestern erst vom Berg herabgestiegen waren, um heute schon wieder auf das Meer hinauszusegeln.
Ein sanfter Wind blähte die Segel, langsam glitt das Schiff aus der schützenden Bucht. Die Fahrt verlief unter günstigen Windverhältnissen. Der Kapitän freundete sich mit seinen Gästen an; oft saßen sie beim Würfelspiel zusammen, tranken guten französischen Wein und hörten den Seemannsgeschichten des weitbefahrenen Franzosen zu.
Maffio und Nicolo Polo aber hüteten sich, von ihren Reiseabenteuern zu erzählen. Die Erfahrungen mit ihren Landsleuten hatten sie vorsichtig gemacht, im übrigen war es nicht notwendig, daß Kapitän und Mannschaft von den Edelsteinen erfuhren, die sie mit sich führten.
Die Reisenden hielten sich meist auf Deck auf.
Die Insel Cypern lag bereits hinter ihnen. Tage und Nächte vergingen, bis an einem Nachmittag die gebirgige Insel Kreta vor ihren Augen aus dem blauen Meer aufstieg. An einer Stelle wichen die Berge in einem weiten Bogen zurück und gaben eine breite grüne Talsohle frei, die bis zum Meere reichte. Maffio wies auf die Häuser eines Städtchens, die von der Küste bis an die Berghänge gebaut waren. Menschen winkten, Äcker, Wiesen, weidendes Vieh, silbrige Olivenbäume und schlanke Zypressen. Griechische Frauen schritten mit Traghölzern zum Brunnen und gönnten dem Schiff verstohlene, sehnsüchtige Blicke.
Der Steuermann wechselte den Kurs, um von der gefährlichen Nähe der Küste wegzukommen. Menschen, Häuser und Bäume wurden klein wie Kinderspielzeug, bald waren nur noch die Umrisse der Berge zu sehen, eine Schattierung dunkler als das Blau der unendlichen Wasserfläche.
Nicolo Polo ging zum Bug des Schiffes. Er kämpfte gegen eine bange Ahnung, die ihn befallen hatte, als das Schiff von dem trauten Bild des an den Berg geschmiegten Städtchens weg auf das offene Meer hinaussegelte. Seine Gedanken versuchten, sich die Heimkehr, die ersten Schritte über den Hof, das öffnen der Haustür vorzustellen — aber als er weiterdenken wollte, stand plötzlich das Bild der in der Ferne verschwindenden Häuser und winkenden Menschen vor seinen Augen.
Die Wellen schlugen gegen den Leib des Schiffes. Ein guter Wind trug sie dem größer werdenden, sinkenden Sonnenball entgegen.
«Wie wäre es mit einem Spielchen, Monsieur Polo?» fragte der Kapitän. «Es hat keinen Sinn, stundenlang aufs Wasser zu starren.»
«Buono, Kapitän. Ihr habt recht. Wir kommen dadurch nicht schneller und nicht langsamer voran», erwiderte Nicolo Polo.
Anfang April des Jahres 1269 erreichten die beiden Reisenden nach vierzehnjähriger Abwesenheit zum ersten Male wieder italienischen Boden, standen im Hafen von Tarent, hörten italienische Laute, gingen wie im Traum durch die Stadt und fanden an einem verfallenen, grünumrankten Griechentempel ihren nüchternen Sinn für die Wirklichkeit und die erprobte Entschlußkraft zurück. Es bedurfte keiner Worte, um ihren Plan für die Weiterreise festzulegen. Sie versahen sich, indem sie einige Diamanten verkauften, mit den nötigen Geldmitteln, erwarben eine Kutsche mit zwei schnellen Pferden, mieteten fünf Kriegsknechte und fuhren schon nach zwei Tagen los. Im Königreich Neapel und auch im Kirchenstaat soll ein Straßenräuber sein Unwesen treiben, erzählte man, vor dem kein vornehmer Reisender sicher sei. Nicolo hatte die Gerüchte mit spöttischem Lächeln quittiert, der umsichtige Maffio aber harte gemeint, daß sie nicht vierzehn Jahre durch die ganze Welt gereist seien, um am Ende ausgeraubt zu werden. Deshalb also reisten sie in Begleitung der Bewaffneten und hatten auch für sich selbst Armbrust und Degen in Bereitschaft.
Sie reisten auf der Via Appia, der alten römischen, vielbefahrenen Heerstraße, zum Gesandten Teobaldo de Visconti, der sie mit großer Freundlichkeit empfing, ihren Bericht anhörte und die Briefe des Großkhans Kublai entgegennahm. Er ließ die Siegel öffnen und bat die beiden Reisenden, die tatarischen Sätze ins Lateinische zu übersetzen. Aufmerksam lauschte er auf jedes Wort. Seine Hand mit dem schmalen Gelenk kam aus dem Hermelinbesatz und stützte das Kinn. Er hatte ein kluges, energisches Gesicht mit einer drohenden, senkrechten Stirnfalte über der Nase. Die Botschaft des sagenhaften Herrschers kam ihm in seinem Bestreben, den Papststuhl zu besteigen, sehr gelegen. Er befahl seinen Ratgebern, den Raum zu verlassen.
Den beiden Poli bedeutete er in der folgenden kurzen Unterredung mit vorsichtigen Worten, daß er, wenn er zum Papst gewählt würde, das Anerbieten des Großkhans, gelehrte Mönche in sein Reich zu schicken, annehmen werde.
Maffio und Nicolo verließen den Gesandten mit dem befreienden Gefühl, ihre Botschaft an die rechte Stelle weitergeleitet zu haben.
Am nächsten Tage setzten sie sich wieder in ihre Kutsche und reisten der Heimat entgegen. Noch immer trugen sie ihre Reisekleidung, auch beim Besuch des Gesandten hatten sie ihre alten Kleider nicht abgelegt.
Sie sahen das siebenhundertjährige Kloster auf dem Monte Cassino, fuhren nichtsahnend am Schlupfwinkel der Truppe des Königs der Felder vorbei und kamen, die Grenze des Kirchenstaates überschreitend, in die Toscana, deren Hügel, Wiesen und Felder sie wie ein großer, blühender Garten umfingen.