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Der Vater war gerade von einem Gang nach der Piazzetta zurückgekehrt und befand sich allein in seinem Zimmer, als Marco klopfte und um die Erlaubnis bat, den Freund vorzustellen.

«Bring ihn nur herein, wenn er schon hier ist», sagte Nicolo Polo, belustigt über den Eifer seines Jungen.

Marco schob Giovanni, der verlegen und mit klopfendem Herzen hinter der Tür stand, in des Vaters Stube. «Das ist Giovanni, Vater», sagte er.

Giovanni verbeugte sich und sah Messer Polo frei an. Die Verlegenheit fiel von ihm ab. Er war ein Bootsbauer, und Meister Benedetto hatte ihn gelehrt, daß die Bootsbauer die wichtigsten Menschen in ganz Venedig seien und sogar im Paradiese den besten Platz zugewiesen bekämen. Noch nie sei, Meister Benedettos Wissen nach, ein Bootsbauer in die Hölle gekommen, selbst die Faulpelze Aurelio, Filiberto und Alberto brauchten keine Angst zu haben, einmal am Bratspieß eines Teufels zu schmoren. Giovanni machte sich selber Mut, indem er an die lustigen Reden Meister Benedettos dachte.

Nicolo Polo betrachtete den Knaben mit den hellen Augen und dem feinen Gesicht mit großem Wohlwollen, und er wußte mit einem Male, daß sein Junge durch den Umgang mit den Handwerkerkindern auf einem guten Boden aufgewachsen war. Diese plötzliche Einsicht verstärkte sich noch in dem folgenden Gespräch:

«Ihr müßtet ihn einmal singen hören, Vater», sagte Marco, dem das Schweigen peinlich wurde.

«So, singen kannst du auch?» fragte Nicolo Polo. «Marco hat mir erzählt, daß du bei Meister Benedetto in der Lehre bist.»

«Wir bauen jetzt ein großes Schiff», sagte Giovanni, «ich helfe schon hier und da ein bißchen mit.»

Es ergab sich zwischen Nicolo Polo, dem Weitgereisten, und Giovanni, der vom Mittelpunkt der Erde kam, ein fachmännisches Gespräch über arabische, indische, normannische und venezianische Schiffstypen, in dem Giovanni die letzte Scheu ablegte. Er hätte nicht geglaubt, daß man mit Messer Polo so gut sprechen könne.

Am Schluß der Unterhaltung ging Nicolo Polo zur Truhe, die in der Ecke stand, schloß sie auf und holte einen Beutel mit Diamanten hervor. Er schüttete sie vor den staunenden Augen Giovannis auf den Tisch und sagte zu ihm, er solle sich einen aussuchen als Dank dafür, daß er seinem Sohn das Leben gerettet hätte.

Marco, der an das Kleiderbündel dachte, das der Freund seinerzeit zurückgewiesen hatte, bekam ein wenig Angst, als er sah, wie Giovanni, geblendet von der Pracht, einen Schritt zurückwich. Aber das war doch heute etwas ganz anderes.

«Nimm nur, Giovanni», sagte er, «der Vater schenkt es dir doch.» Und er führte den Freund, der ihm willig folgte, an den Tisch. Auch Nicolo forderte ihn noch einmal auf, einen der Diamanten, die er einst vom Großkhan bekommen hatte, als Geschenk und Erinnerung an den Freund anzunehmen, der doch bald für lange Zeit Venedig verlassen würde.

Giovanni, noch immer ganz benommen, suchte sich aus dem Haufen funkelnder Steine den kleinsten heraus. Nicolo Polo aber gab ihm einen größeren und sagte scherzend, den solle er später einmal, wenn er erwachsen sei, seiner Braut schenken.

Giovanni wußte kaum, wie er zur Tür hinauskam vor lauter Freude über das Geschenk und die freundliche Behandlung und fragte Marco, ob er auch nicht vergessen hätte, sich zu bedanken. Aber der Freund beruhigte ihn.

Als Giovanni an diesem Abend nach Hause fuhr, nahm er sich vor, den Diamanten an einem bestimmten Tage Giannina zu schenken.

Die beiden Brüder waren nun schon länger als ein Jahr wieder in Venedig und warteten ungeduldig auf eine Nachricht Teobaldo di Viscontis. Das Reisefieber meldete sich in ihnen, und keiner war wohl unruhiger als Marco. Obwohl Nicolo und Maffio Polo nur mit wenigen vertrauten Freunden über ihre Erlebnisse gesprochen hatten, war doch in den Kreisen der Kaufleute bekanntgeworden, welche Reichtümer sie mitgebracht hatten. Und eines Tages meldete sich der ehrenwerte Schwager Pietro Bocco bei ihnen, der mit seinen Geschäften nicht so schnell vorwärtskam, wie er gern wünschte und bei seinen Verwandten anfragen wollte, ob sie bereit wären, ihm eine größere Summe für den Abschluß eines vorteilhaften Handelsvertrages zu leihen.

Maffio, das Oberhaupt der Familie Polo, empfing ihn mit undurchdringlichem Gesicht und bat ihn, Platz zu nehmen. Messer Pietro Bocco wollte eine liebenswürdige Unterhaltung beginnen, wurde aber von dem Schwager durch eine Handbewegung unterbrochen. Maffio Polo stand auf, ging zur Tür und befahl Maria, Nicolo Polo zu rufen.

Er setzte sich wieder und sagte gleichmütig zum Schwager, er solle sich ein wenig gedulden. Sie wechselten ein paar nichtssagende Worte, bis Nicolo Polo erschien, der Pietro Bocco zurückhaltend begrüßte.

Messer Pietro Bocco begann ein Gespräch, in dem er den beiden Kaufherren Komplimente machte über die kluge Art, ihre Geschäfte zu führen, nachdem sie doch so lange von Venedig entfernt gewesen waren. Die Brüder warfen nur hin und wieder einen Satz ein und ließen ihn reden.

Marco hatte recht, er hat kalte Augen, die seine Freundlichkeit Lügen strafen, dachte Nicolo und war stolz auf die gute Beobachtungsgabe seines Sohnes.

Endlich kam Messer Pietro Bocco nach einer geschickten Vorbereitung auf den eigentlichen Grund seines Kommens. Er bat die Brüder, ihm zu einem niedrigen Zinssatz — sie seien doch Verwandte — zweitausendfünfhundert Dukaten zu leihen.

Nicolo Polo schwieg. In diesem Augenblick ging ihm noch einmal alles durch den Kopf, was er von Marco und Paolo erfahren hatte, und es tat ihm im Angesicht des lächelnden Heuchlers leid, daß er keine sicheren Beweise in Händen hatte. Drohend zogen sich seine starken Augenbrauen zusammen.

Maffio Polo stand auf und kam hinter dem Tisch hervor.

«Zweitausendfünfhundert Dukaten wollt Ihr?» fragte er, und im Ton seiner Stimme klang etwas, das Pietro Bocco aufhorchen ließ.

«Wieviel habt Ihr denn mit Eurer nächtlichen Schmuggelfahrt verdient?» fragte Nicolo Polo plötzlich. «Ihr erinnert Euch an die fünfzehn Säcke Salz?»

Messer Pietro Bocco erbleichte. Der Angriff war zu unerwartet gekommen. Und schon holte Nicolo Polo zum zweiten Hieb aus: «Ihr habt mir erzählt, welche Fürsorge Ihr meinem ungehorsamen Sohn angedeihen ließet», sagte er mit schneidendem Hohn, «ich danke Euch dafür, Pietro Bocco.» Er beugte sich nieder und brachte seine zornsprühenden Augen in die Nähe des zurückweichenden, bleichen Gesichtes. «Der Dolchstoß ist danebengegangen. Schade, Pietro Bocco, was?»

Maffio Polo faßte den Bruder an den Schultern und zog ihn mit sanfter Gewalt zurück, weil er nicht wollte, daß Nicolo in das verhaßte Gesicht schlug.

Pietro Bocco fand seine Fassung wieder und sprang auf. «Was sind das für unsinnige Beschuldigungen?» rief er unsicher. «Ihr habt Euch eigentümliche Sitten angewöhnt», sagte er, mit einem Versuch zu spotten.

«Wir werden dafür sorgen, daß Ihr für den Salzschmuggel zur Rechenschaft gezogen werdet», sagte Maffio. «Geht aus unserem Hause. Laßt Euch hier nicht mehr sehen. Wir kennen Euch nicht mehr, Pietro Bocco. Ihr seid ein Verbrecher und kein ehrlicher Kaufmann!»

Er ließ den angst- und zornbebenden Pietro Bocco nicht mehr zu Worte kommen, ging drohend auf ihn zu, bis dieser sich umdrehte und schnell aus dem Zimmer flüchtete.

Maffio und Nicolo Polo standen am Fenster und sahen ihm mit finsteren Mienen nach.

«Ich hätte ihn niederschlagen sollen», sagte Nicolo und trat in das Zimmer zurück.

GIOVANNI SINGT

DER HERBST DES JAHRES 1271 SETZTE MIT HEFTIGEN Stürmen ein, das unbändige Meer warf sich brüllend gegen die Befestigungsanlagen und riß ganze Teile des natürlichen Strandes des Lido weg. Über Nacht wurde es plötzlich still, und am Morgen schien die Sonne.